Kurkuma und Estragon: Neuer Geschmack für Sommercocktails
Von Ingrid Teufl
Orson Welles kannte sich mit Barzutaten aus. „Bitterstoffe sind hervorragend für deine Leber. Gin ist schlecht für dich. Gemeinsam gleichen sie einander aus.“ Damit beschrieb er zwar 1947 konkret den klassischen italienischen Cocktail Negroni.
Die erwähnten Ingredienzen gehören allerdings 2019 zu den am häufigsten verwendeten Barzutaten. Anders gesagt: Der anhaltende Gin-Boom geht weiter, seit einiger Zeit sind Bitterstoffe gefragt.
Für Katharina Schwaller ist der Trend sehr erfreulich. Die 30-jährige Bar-Leiterin im „Heuer am Karlsplatz“ bevorzugt selbst die bitteren Noten im Cocktail. Schon seit jeher sind diese „Bitters“ (wie der Klassiker Angostura aus Alkohol und Kräuter) eine wichtige Cocktailzutat, die alle anderen Geschmacksnoten erst richtig abrundet.
Experimentieren mit Essenzen
Schwaller experimentiert hinter ihrer Bar viel mit unterschiedlichen Essenzen und setzt viel in Eigenregie an: „Wir stellen einen Großteil selbst her, weil wir keine chemischen Geschmäcker in unseren Drinks wollen.“ Oft ist Weißwein die Basis, die dann mit verschiedenen Kräutern versetzt wird.
Das führt uns zu einen weiteren unübersehbaren Trend in der Barszene: Wer auf sich hält, tüftelt und würzt seine Cocktail-Kreationen mit eigenen Essenzen und (Bitter-)Likören. Ein deutlicher Hinweis: In den Bars sind große Ballonflaschen und Rexgläser nicht versteckt, sondern gut sichtbar positioniert.
Apropos Kräuter: Die finden sich heuer noch öfter in Cocktails. Und da reden wir jetzt nicht vom obligaten Minzezweig als Dekoration. Inspirationen holen sich die Bartender rund um den Globus – von Goji-Beeren über Bockshornklee bis zum Sellerieknollen und Estragon. Der herbe Geschmack von Letzterem wird gerne für diverse Gin Tonic-Varianten genutzt. Fans empfehlen eher milde Sorten, da Estragon eine kräftige Note beisteuert.
Die Ideen rund um den Klassiker, der sich schon seit Jahren an der Spitze der Sommerdrinks hält, gehen den Barkeepern offensichtlich noch immer nicht aus – Gin Tonic bleibt weiterhin ein Bar-Bestseller. Ihn mit Pfeffer, Basilikum, Rosmarin oder Thymian oder auch Earl Grey-Tee zu mixen, gehört fast schon zum Standardrepertoire.
Von der Küche ins Cocktail-Glas
In New Yorker Bars steht momentan ein exotisches Gewürz hoch im Kurs: Kurkuma. Damit hat es nach Ingwer erneut ein Gewürz vom Kochtopf ins Cocktailglas geschafft, und dafür gibt es mehrere Gründe. Ein gewichtiger: Der Geschmack der knallgelben Knolle ist als Hauptzutat von Curry-Gewürzmischungen aus der Ethno-Küche wohlbekannt.
Dazu kommt das Image als Superfood, was Gesundheitsbewussten den Griff zu diesem Cocktail möglicherweise erleichtert. Für Bar-Experten zählt freilich der Geschmack. Bereits eine oder zwei Prisen reichen, um eine andere Geschmacksnote hinzuzufügen, schwärmte Jillian Vose, Bardirektorin vom „Dead Rabbit“ in New York jüngst in der New York Times. Die Bar wird immer wieder unter die besten der Welt gelistet.
Die Barchefin mischt Kurkuma neben anderen Zutaten mit Whiskey, Brandy und Joghurt. Für die Gäste sei das öfters eine höchst ungewöhnliche Mischung, der neugierig macht. Vose beobachtet, dass die Gäste schlückchenweise trinken, um den zugrunde liegenden Geschmack herauszuschmecken.
Je heißer, umso leichter
Geschmäcker sind zwar bekanntlich verschieden, für Cocktails gibt es aber eine Konstante: Je wärmer es wird, desto leichtere Drinks sind gefragt. „Momentan werden viele Cocktails mit Wein bestellt, die sind bei Hitze sehr beliebt“, berichtet Katharina Schwaller.
Wein? Ja! Cocktails müssen nicht zwingend Früchte, Säfte oder Schlagobers enthalten. Die kommen mittlerweile weniger gut an. „Diese Cremigkeit mögen die Leute nicht mehr.“
Verjus statt Zitrone
Dafür ist als geschmacklicher Ausgleich mehr Säure gefragt. Hier arbeitet Schwaller besonders gerne mit Verjus. Der Saft aus unvergorenem Traubensaft erlebt seit rund zehn Jahren eine Renaissance als Getränk oder Würze. „Es gibt ihn in sehr unterschiedlichen Säuregraden. Den sehr sauren Verjus verwenden wir als Zitronenersatz“, erklärt die Expertin.
Was einen Cocktail ausmacht
Per Definition besteht ein Cocktail aus mehreren Zutaten, von denen einer oder zwei alkoholisch sind. Zudem werden sie vermischt – etwa mittel Cocktail-Shaker. In dieser Kategorie haben auch altbewährte Klassiker wie Americano (Campari, Vermout rosso, Soda) oder Tom Collins (Gin, Zuckersirup, Zitronensaft, Soda) immer Saison.
Mojito geht immer
Was in noch so experimentierfreudigen Bars immer geht, ist ein Mojito. Der Cocktail aus kubanischem Rum, Rohrzucker, Limette und Soda „ist ein Fixstarter, wenn es heiß ist“. Womit die Bar-Tüftlerin kein Problem hat. „Wir machen jeden Cocktail gerne, Klassiker haben immer ihre Berechtigung.“
Nur einen besonders sommerlich klingenden Drink sollte man bei Schwaller nicht ordern. Der Mix-Klassiker Swimmingpool (Vodka, Rum, Blue Curaçao, Ananassaft, Obers) kommt ihr nicht über die Theke.