Flüchtlinge kochen: Wo man bei Fattoush ins Gespräch kommt
"Wenn Halima kocht, geht locker ein Kilo Knoblauch an einem Abend weg", sagt Gabriel Zirm und lacht. Halima ist eine von vier Köchinnen, die diesen Sommer am Wiener Donaukanal Gerichte aus ihrer Heimat kochen. Zusammen mit Fatima aus Afghanistan, Giulia aus Georgien und Shireen aus Syrien bildet die Somalierin das Herzstück des Projekts "Speisen ohne Grenzen".
Vor knapp einem Jahr hat Zirm den dazugehörigen Verein gegründet. Ursprünglich, um Mittagsmenüs an Büros auszuliefern. Mit dem Donaukanal, genauer gesagt dem Lokal Adria Wien, hat "Speisen ohne Grenzen" eine neue Zweigstelle bekommen.
Gut gewürzt
Zurück zum Knoblauch. Die in Massen vom Markt angekarrten Knollen verkocht Halima zu Sambosas (Teigtaschen, wahlweise mit Erdäpfeln, Kichererbsen oder Rindfleisch gefüllt), Baasto iyo Suugo (Nudeln mit würzigem Gemüseeintopf) oder Digaag iyo Basal (Huhn mit Paradeiser-Reis).
Die Teigtaschen sind fester Bestandteil der Speisekarte für Abendgäste. Komplettiert wird diese vom georgischen Hochzeitsteller Pchalis und syrischem Fattoush-Salat. Neben der fixen Karte gibt es wechselnde Tagesgerichte. Und natürlich Süßspeisen.
Desserts sind die Spezialität von Shireen. Seit zwei Jahren lebt die Syrerin mit ihrem Mann und ihren Kindern in Österreich. Seit drei Monaten kocht sie bei "Speisen ohne Grenzen" mit. "Bei mir zu Hause gibt es immer etwas Süßes, mein Mann isst am liebsten Ma'amoul", sagt sie. Den Teig für das süße Gebäck macht Shireen aus Grieß, Mehl, Butter, Staubzucker und warmer Milch. Hinein kommt eine Füllung aus Nüssen, Zuckerwasser, Pistazien "und Datteln für mehr Süße". Letztere kauft sie beim syrischen Stand am Brunnenmarkt. "Ein Geheimtipp", flüstert sie.
Neben der Beschaffung der Zutaten ist auch die Organisation in der Küche eine Herausforderung. In dem kleinen Holzhäuschen direkt am Wasser ist nur wenig Platz. Vormittags werden die Tagesmenüs zum Ausliefern zubereitet. Danach geht es an die Vorbereitung der Abendgerichte.
Ab dem späten Nachmittag ist eine der Köchinnen für das Abendgeschäft verantwortlich. "Das ist dann die Chefin sozusagen", sagt Naré Jalil. Jalil betreibt einige Straßen vom Donaukanal entfernt das Café Katscheli. Für die Umsetzung des Projekts hat Zirm die Gastronomin ins Boot geholt.
Stärken fördern
Mit ihrem Projekt wollen Zirm und Jalil in fremde Geschmackswelten entführen, doch es geht um mehr: "Was wir unseren Köchinnen mitgeben können, ist das Know-how, wie in der Gastronomie gearbeitet wird, und das notwendige Selbstvertrauen, um sich irgendwann beruflich eigenständig umzuorientieren", sagt Zirm. Das Konzept hat sich bewährt: "Ich weiß jetzt, wie man sehr viele Zwiebeln schnell auf einmal schält", sagt Shireen und schmunzelt.
In der Küche hat jede Köchin ihren Zuständigkeitsbereich. Durch die Zusammenarbeit haben sich die Frauen einiges voneinander abgeschaut. Wie die würzige Soße für die Sambosas gemacht wird, hat Shireen "vom Zusehen gelernt". Sogar afghanischen Reis traut sie sich zu. "Das ist nicht leicht", sagt Fatima – und liefert sogleich den Beleg.
Damit der Reis wie in ihrer Heimat schmeckt, müssen die Körner am Vortag zusammen mit Safran in kaltem, gesalzenem Wasser eingeweicht werden. Am Folgetag wird der Reis gekocht, abgeseiht, mit karamellisiertem Zucker vermengt – und nochmals gekocht. "Zum Schluss bohrt man mit dem Löffel ein Loch in den Reis und lässt ihn am Ofen stehen, bis es knistert", sagt Fatima.
Traditionen bewahren
Neben Reis sind Linsen bei der Afghanin ein großes Thema, etwa für Linsensuppe oder Khoresht Rheimeh (Eintopf mit faschierten Bällchen, Erdäpfel und Linsen). "Sie braucht für jedes Gericht eine andere Sorte und ich bin anfangs jedes Mal mit der falschen angekommen", erinnert sich Zirm.
Welche Linsen sie für welche Speise benötigt, hat Fatima, die vor drei Jahren nach Österreich gekommen ist, von ihrer Mutter gelernt. Auch den anderen Frauen wurde die kulinarische Begabung früh in der Familie mitgegeben.
Ihre Kochleidenschaft legen die Frauen auch zu Hause nicht ab. Im Gegenteil: "Dort wird weiterexperimentiert und es kommt vor, dass man spätabends ein Foto von Kokoskuchen bekommt", scherzt Jalil. Gefragt nach den Zutaten für einen somalischen Kokoskuchen, genannt Busbusa, zählt Fatima selbstbewusst Kokosraspeln, Zucker, Butter und Grieß auf. "Kokoskuchen mit Reis? Sicher nicht!", entgegnet Halima mit hochgezogenen Brauen – bis ihr auffällt, dass sie fälschlicherweise "Reis" statt "Grieß" verstanden hat. Sie lacht.
Es sind Missverständnisse wie diese, die den Alltag am Donaukanal heiter machen. "Bei uns wurden schon Koreaner statt Koriander verkocht", scherzt Gabriel Zirm. "Aber mit Händen und Füßen funktioniert die Kommunikation sehr gut", ergänzt Jalil.
Den nächsten Gästeansturm können die Köchinnen jedenfalls kaum erwarten, denn – Shireen bringt es auf den Punkt – "Kochen macht nur Spaß, wenn man für viele kocht".
Info:"Speisen ohne Grenzen" im Adria Wien, Donaukanal, Höhe Obere Donaustraße 77, 1020 Wien Mo.–Fr. von 16–22 Uhr, Wochenende 13–22 Uhr
Im Wiener Restaurant Habibi & Hawara finden geflüchtete Menschen Ausbildungsmöglichkeiten und einen sicheren Arbeitsplatz in der Gastronomie. Aufgetischt wird österreichisch-orientalische Fusionsküche. Abends kann man sich für 25,90 Euro durch diverse Menüs kosten. Hier werden hintereinander zehn bis 15 unterschiedliche Gerichte auf Platten und in Schüsseln serviert.
Wer ein Party-Catering bei Topfreisen bestellt, trägt ebenfalls zur Integration von Flüchtlingen bei. Vor fünf Jahren wurde das Unternehmen gegründet, heute kochen die Mitarbeiter in einer Großküche an zwei Standorten in Niederösterreich. Das Kochteam kann auch für Großveranstaltungen (bis 1.000 Personen) gebucht werden.
Über den Verein KAMA können Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund Workshops abhalten. Im oberösterreichischen Linz werden neben Tanz-, Sport- und Sprachkursen auch Kochschulungen angeboten, die gegen eine freiwillige Spende besucht werden können.