Leben/Essen & Trinken

Szene-Bäcker Gragger und Ex-Politiker Chorherr eröffnen soziale Bäckerei

Ein Idealist, ein Getriebener. Anders kann man Helmut Gragger nicht bezeichnen. Der oberösterreichische Bäcker eröffnet kommende Woche in Wien die soziale BäckereiGragger & Chorherr“. In der Backstube mit Café finden Menschen einen Arbeitsplatz, die durch ihr Schicksal – sei es Flucht oder Arbeitslosigkeit – besondere Unterstützung brauchen.

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Die Idee für die Gründung des Social Business kam im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015: "Das Schöne ist, dass jede Kultur ihre eigene Brot-Kultur hat. Der syrische Bäcker soll dann hier Fladenbrot backen. Auch Rückführungen sollen bei uns Thema werden: Hier können Flüchtlinge ein Handwerk erlernen, das sie dann in der Heimat wieder ausüben können", erzählt Gragger im Interview mit dem KURIER.

Soziales Unternehmen: Brot kaufen und Gutes tun

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Damals lernte der 48-Jährige auch seinen jetzigen Geschäftspartner, Christoph Chorherr, kennen: Gegen den Ex-Mandatar der Grünen wird im Zusammenhang mit Spendengeldern für einen wohltätigen Verein und Flächenwidmungen ermittelt. Am Montag startet der Wiener Gemeinderat eine Untersuchungskommission zu der Causa.

Wie geht es Chorherr neun Monate nach dem Zurücklegen seines Mandats im Wiener Gemeinderat? "Mit bald 59 Bäcker werden dürfen, Unternehmer sein dürfen, etwas aufbauen dürfen, einen Ort schaffen zu dürfen, der ein größeres Ziel hat – nämlich Bildung und Ausbildung –, macht Riesenfreude." Backen wird der ehemalige Politiker nicht, wie er im Interview erzählt.

Das muss er auch nicht: Einst arbeitete Gragger für die Industrie mit allerhand Enzymen und Geschmacksverstärkern, bis der aus Strobl am Wolfgangsee stammende Bäcker vor mehr als zwei Jahrzehnten seinen Idealen folgte und eine Backstube für ehrliches Handwerk in Ansfelden bei Linz eröffnete.

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Bereits in Oberösterreich kooperierte Gragger mit der Caritas und ermöglichte sozial Benachteiligten eine Ausbildung. In Wien macht er jetzt auf 220 sein eigenes Ding, hunderte Bewerber haben sich gemeldet. Alleine in der Backstube beschäftigt der Oberösterreicher drei Lehrlinge: "Darunter ist ein Bursche mit einer Konzentrationsschwäche. Die Mutter hat drei Jahre lang einen Ausbildungsplatz gesucht."

Auch ein Mitarbeiter mit einer manisch-depressiven Erkrankung werkt in der neuen Bäckerei im Nordbahnviertel: "Wenn er gut drauf ist, wickelt er alle um den Finger. Kippt die Stimmung, muss man behutsam sein und es ist besser, er arbeitet hinten in der Backstube." Hat er keine Angst zu scheitern? "Angst wäre etwas übertrieben, aber ich habe großen Respekt, weil wir etwas ganz Neues wagen. Jeder will nur noch den perfekten Menschen. Es ist eine große Herausforderung: Wir müssen hier ausbilden, ohne dass die Kunden merken, dass wir ausbilden. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe."

Knuspriges Brot aus dem Holzofen

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Es kann einem schwindelig werden, wenn der Oberösterreicher über seine Projekte in Uganda, Bangkok oder dem Senegal berichtet: "Was soll die Welt sonst verändern außer Bildung? Bereits kommendes Jahr eröffnen wir in Kooperation mit der Caritas in Serbien und in Kooperation mit einem Roma-Verein in Albanien."

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Ob in Afrika, in Ost-Europa oder in Österreich: Im Mittelpunkt steht immer ein 250 Grad heißer Holzofen. Durch die weiche Wärme des Steins soll dem Brot möglichst wenig Feuchtigkeit entzogen werden – es entsteht eine knusprige Kruste und das Brot bleibt länger frisch.

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Den Prototypen baute der umtriebige Bäcker selbst, auch die zwei kleineren Varianten am neuen Standort sind seine Konstruktion: "In Afrika wollte ich ursprünglich solarbetriebene Öfen einsetzen – sie funktionieren, das Patent habe ich. Aber mir ist in der Zwischenzeit das Geld ausgegangen."

Jetzt werden die afrikanischen Öfen mit Kuhmist und allerhand biologischem Abfall beheizt. Durch dieses kostengünstige System  können die Bäckereien zehn zusätzliche Beschäftigte finanzieren. Jene in Uganda fährt Monat für Monat einen Gewinn ein.

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Mehrmals im Jahr fliegt der Bäcker nach Afrika – seine Ehefrau und seine beiden Kinder haben sich an diese Reisefreudigkeit gewöhnt. Woher er seine Energie nimmt? "Wir wohnen in einem Dorf nahe der tschechischen Grenze – durch diese Abgeschiedenheit leben wir intensiver als andere."

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Was macht er, wenn es doch nicht so gut läuft wie erhofft? "Dann müssen wir öfter mit unserem Lasten-Fahrrad Brot ausliefern."