Tourismus: Wenn die Massen zur Plage werden
Österreich zählt zu den tourismusintensivsten Ländern weltweit - mit knapp 150 Millionen Urlaubernächtigungen 2018 im Verhältnis zur relativ kleinen Bevölkerung. Doch ständig steigende Besucherzahlen sind mancherorts bereits eine Plage - etwa in Hallstatt, in Salzburg, aber auch in der Wiener Innenstadt. Der Übertourismus ist schwer in den Griff zu bekommen, wie auch eine Wifo-Analyse zeigt.
Sobald die Infrastruktur einer Destination - oder auch die Geduld der Einwohner - übermäßig strapaziert wird, spricht man von "Overtourism", von einem Zuviel an Tourismus. "Im Prinzip geht es darum, dass der Nutzen des Tourismus einem anderen Personenkreis zugutekommt als die Lasten des Tourismus, die sich auf die Bevölkerung vor Ort verteilen", sagte Tourismusexperte Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im Gespräch mit der APA. Deshalb ist es auch so schwierig, dem Problem beizukommen.
Der Übertourismus macht jedenfalls auch vor Österreich nicht Halt: In Hallstatt etwa kamen 2018 auf einen Einheimischen gut 124 Urlauber - Tagestouristen sind in dieser Zahl noch nicht enthalten. Damit war dort die Belastung pro Einwohner fast dreimal so stark wie in Dubrovnik (45,4) oder mehr als sechsmal so stark wie in Venedig (19,3), wie aus einer Aufstellung zur Tourismusintensität in europäischen Städten des Wifo hervorgeht. Das Problem potenziert sich in Hallstatt noch dadurch, dass viele Besucher nur einen kurzen Zwischenstopp für ein paar Fotos einlegen, also nicht einmal Geld für ein Mittagessen im Ort lassen.
Den Salzburgern ging es im abgelaufenen Jahr mit 11,9 Touristen pro Einwohner ähnlich wie der Bevölkerung in Florenz (13,9), Lissabon (10,7) oder Amsterdam (10,0). In Wien kamen vier Urlauber auf einen Einwohner. Innerhalb von größeren Städten gibt es vielfach überlaufene Hotspots - in Wien beispielsweise die Innenstadt (speziell den Stephansplatz) und Schönbrunn. In Barcelona und in Paris war die Tourismusintensität 2018 mit 8,1 bzw. 7,5 Urlaubern pro Einwohner aber fast doppelt so stark wie in der österreichischen Bundeshauptstadt.
Verschärfend hinzu kommt: Die rasche Zunahme der Zahl der Reisenden, die in einer Destination nächtigen, "dürfte mit einer mindestens ebenso hohen Steigerung der Zahl der Tagesgäste einhergehen", heißt es in einer Erhebung des Tourismusexperten, die er gemeinsam mit Karin Maier von der Universität Wien durchführte. Statistisch gesicherte Daten zur Zahl der Tagesgäste liegen in der Regel nicht vor - für Salzburg würden rund 9 Millionen pro Jahr kolportiert, für die 800-Seelen-Gemeinde Hallstatt gehe man von rund 1 Million aus. Tagestouristen lassen wesentlich weniger Wertschöpfung in einer Stadt als Übernachtungsgäste, tragen also hauptsächlich zur Masse bei.
Einheimische leiden
Die Einheimischen haben mit dem Verkehr zu kämpfen, mit dem Müll, den die Besucher hinterlassen, und - in kleineren Gemeinden - mit den Urlaubern, die ihnen beim Fenster reinschauen. Doch auch die Touristen selbst mögen keine überlaufenen Urlaubsorte. "Es ist im Prinzip eine sehr subjektive Definition - sobald Betroffene sagen, es ist zu viel und sobald es als unangenehm empfunden wird, liegt Übertourismus vor", so der Wifo-Experte.
Schuld an dem Phänomen ist die rasche Zunahme der Reisenden weltweit. Auslöser dafür sind wiederum Einkommenszuwächse in vielen Regionen der Welt, welche die Nachfrage nach Reisen überproportional steigen lassen, aber auch der Rückgang der Reisekosten. Dank Billigfluglinien und billiger Unterkünfte, begünstigt durch private Vermietung auf Online-Plattformen wie Airbnb & Co, sind Urlaubsreisen für breite Schichten der Bevölkerung leistbar. Was ja auch gut ist. Kreuzfahrten sind ebenfalls längst keine Luxusreisen mehr.
In den vergangenen Jahrzehnten erlebte die Tourismusbranche jedenfalls einen rasanten Aufschwung. Dieser soll sich aktuellen Prognosen der Welttourismusorganisation UNWTO zufolge in den nächsten Jahren fortsetzen. 1950 waren pro Jahr weltweit rund 25 Millionen Urlauberankünfte verbucht worden, 2018 waren es bereits 1,4 Milliarden und 2030 sollen es 1,8 Milliarden sein. Rund die Hälfte dieser Gästezahl entfalle auf Europa.
Des einen Freud, des anderen Leid. "Die Frage ist, wo ist der Gleichgewichtspunkt", betonte Fritz. Preisliche Maßnahmen, also eine Verteuerung bestimmter Leistungen zur Eindämmung der Besucherzahlen, hält er jedenfalls für "problematisch". Bei einer Anhebung der Eintrittspreise von Sehenswürdigkeiten würden beispielsweise weniger wohlhabende Menschen ausgeschlossen.
In Städten wie Barcelona und Venedig lösten die Touristenmassen bereits heftige Proteste der Bevölkerung aus. Betroffen sind nicht nur beliebte Ziele im boomenden Städtetourismus, sondern auch Nischendestinationen wie beispielsweise Nationalparks. In Barcelona wurde zwar in der Stadt der Konsens gefunden, den Urlauberzustrom beschränken zu müssen. "Doch die Vororte bauen wie verrückt Kapazitäten zum Übernachten auf und die Stadtregierung kann da nicht einschreiten", veranschaulichte der Wifo-Experte das Problem der räumlichen Verteilung von Einkünften und Belastungen.
Möglichkeiten, Besucherzahlen zu regulieren, sind begrenzt
Unter dem Phänomen Übertourismus leidet aber nicht nur die Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung in Form von steigenden Mieten, Beeinträchtigungen im Alltag oder Umweltverschmutzung, sondern auch der Tourist selbst - die lokale Infrastruktur und die Sehenswürdigkeiten sind überlastet, dichtes Gedränge und lange Warteschlangen sind die Folge. Die Authentizität und das Flair einer Destination drohen verlorenzugehen. Gleichzeitig bringt der Tourismus freilich Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort. Es gilt also, das richtige Maß zu finden.
"Die Möglichkeiten einer Destination, die Besucherzahl zu regulieren, sind begrenzt", so die Wirtschaftsforscher. Dazu beitragen könnten eine Beschränkung der Betten- und Transportkapazitäten, ein Zurückfahren der Bewerbung ("De-Marketing"-Strategien), Preismaßnahmen wie etwa die Verteuerung von Eintritten oder von Anlagestellen für Kreuzfahrtschiffe, spezifische touristische Steuern, die zeitliche Umverteilung der Besucherströme innerhalb eines Tages oder über Saisonen und die Weiterentwicklung der Infrastruktur.
Amsterdam begann bereits 2015 neue Hotelprojekte - zunächst nur in der Innenstadt - zu unterbinden. Weiters hat die Stadt mittlerweile die Kapazitäten am Flughafen Schipol begrenzt und die Anlegestellen für Passagierschiffe aus den Stadtzentren wegverlegt. Barcelona schränkte die Vergabe von Hotellizenzen und die private Vermietung von Wohnungen über Buchungsplattformen ein. Und in Venedig dürfen sich ab 2021 keine großen Kreuzfahrtschiffe mehr der historischen Altstadt nähern. Die dortige Stadtregierung beschloss zudem ein "Eintrittsgeld" für Tagesgäste von 3 Euro ab 1. Juli 2020, das zu Spitzenzeiten auf 6 bis 10 Euro angehoben werden kann.
Hallstadt konnte bereits die Zahl der Reisebusse, die den Ort anfahren, einschränken - Busunternehmen müssen künftig Slots erwerben, die nur in begrenzter Zahl verfügbar sind und nur innerhalb eines Zeitfensters gelten. In manchen heimischen Skiorten wird beispielsweise auch die Zahl der Tagesliftkarten limitiert, um übervölkerte Pisten zu vermeiden.
Wesentlich sei letztlich "ein Überdenken der Wachstumsorientierung" in der Tourismuswirtschaft wie auch in den Tourismusorganisationen, betont das Wifo. Ziel sollte eine "nachhaltige Entwicklung" von Destinationen sein, damit diese als lebenswerte Orte erhalten blieben. Im Idealfall dient Reisen der Völkerverständigungen, dem kulturellen Austausch und der Bildung breiter Bevölkerungsschichten.