Nationalpark Hohe Tauern: Das steinerne Rückgrat Österreichs
Von Marco Weise
Als 1872 der Yellowstone-Nationalpark im Norden der USA errichtet wurde, ahnte niemand, dass dies der Grundstein für mehr als zweitausend weitere Nationalparks weltweit sein würde. In Österreich begann die Nationalparkidee 1913 Fuß zu fassen, als der Verein Naturschutzpark im Amertal und im Stubachtal elf Quadratmeter Grund kaufte, um diesen speziell zu schützen – das war die Urzelle des Nationalparks Hohe Tauern, der heuer sein 50-jähriges Bestehen feiert: Er wurde am 21. Oktober 1971 mit der Unterzeichnung der Dreiländer-Vereinbarung (Kärnten, Salzburg und Tirol) beschlossen. Zum Jubiläum haben sich Reiseschriftstellerin Susanne Schaber und Fotograf Herbert Raffalt auf den Weg gemacht, um die Geschichte, die Entwicklung und die besondere Landschaft der Hohen Tauern zu erkunden.
KURIER: Sie sind als Reisejournalistin bereits viel in der Welt herumgekommen. Was hat Sie an den Hohen Tauern besonders beeindruckt?
Susanne Schaber: Dieses Buch war für mich eine persönliche Annäherung an Landstriche, deren Wert unschätzbar ist. Die Hohen Tauern sind das steinerne Rückgrat Österreichs und daher ein besonders kostbarer Lebensraum. Hier wurzeln wir, und hier müssen wir auch nach Kräften dafür sorgen, diese Regionen zu erhalten. Aber ich bin optimistisch: Ich habe das Gefühl, dass Fernreisen doch mehr hinterfragt werden und dass wir nicht zuletzt in der Corona-Krise ein Gespür dafür bekommen haben, wo wir leben – und wie wir leben sollten.
Was macht die Landschaft aus?
Die Hohen Tauern bieten Landschaften von unglaublicher Vielfalt. Hier findet jeder etwas, vom Spaziergänger über den Wanderer bis zum Hochalpinisten. Natürlich kann der Nationalpark mit eindrücklichen Zahlen aufwarten: über 1.800 Quadratkilometer unter Schutz gestellte Natur, 15.000 bis 20.000 Tierarten, mehr als 4.000 verschiedene Pflanzenarten, 343 Gletscher, 279 Bäche und Flüsse, 551 Seen und mehr als 300 Dreitausender, mit dem Großglockner als höchstem. Ein imposanter Steckbrief. Aber uns ging es noch um etwas anderes.
Und zwar?
Wir wollten zeigen, wie man es schaffen kann, an einem Fundament für ein ökologisch nachhaltiges Miteinander von Mensch und Natur zu bauen. Es gibt im Nationalpark die Kernzone und die sogenannten Wildnisgebiete wie die Sulzbachtäler, die besonderen Schutz genießen. Aber daneben existiert auch die Außenzone, die seit vielen Jahrhunderten und länger bewirtschaftet wird. Die Naturschutz-Auflagen für diese Regionen des Nationalparks müssen respektiert und trotzdem die traditionellen Lebensgrundlagen, die sich die Bewohner dort geschaffen haben, bewahrt werden. Eine Gratwanderung, die aber gut gelingt.
Wie viel Aufklärungsarbeit ist bei den Einheimischen immer noch nötig?
Viel. Die Gäste aus Deutschland, den Niederlanden oder Italien fahren oft Tausende Kilometer, um solch imposante Gebiete wie die Hohen Tauern erleben zu dürfen. Während die Einheimischen manchmal gar nicht richtig schätzen können, was sie da direkt vor der Haustüre liegen haben. Zumal sie sich ja oft noch gegen die Auflagen sträuben, gegen gesperrte Wege oder Jagdverbote. Da sieht man dann manchmal, dass der Nationalpark-Gedanke noch stärker im Bewusstsein der Menschen verankert werden sollte.
Wie oft waren Sie für das Buch im Nationalpark unterwegs?
Das lässt sich schwer sagen, wir waren ja mehrere Jahre lang mit diesem Buch beschäftigt und haben da nicht wirklich mitgezählt, zumal wir ja beide in den Alpen aufgewachsen sind: ich in Innsbruck und Herbert Raffalt in Schladming, wo er lebt. Er ist auch Bergführer und kennt die Region wie seine Westentasche. Auch ich war schon vor dem Buch-Projekt mehrfach in den Tauern unterwegs.
Welche Touren würden Sie unseren Leserinnen und Lesern besonders ans Herz legen?
Eines meiner schönsten Erlebnisse war die Wanderung ins Innergschlöß bei Matrei in Osttirol, wo man von einem Almgebiet mit wunderbaren alten Holzhäusern über alle Vegetationsstufen in die Gletscherregion hinaufsteigt: von den sanften Wiesen hinauf ins ewige Eis. Dort hat man den Großvenediger im Blick, so man ihn nicht ohnehin ansteuert. Und das Ganze an einem herrlichen Herbsttag, wenn sich die Pflanzenwelt schon auf den Winter vorbereitet. Ähnlich faszinierend war für mich die Wanderung durch das Dorfertal bei Kals am Großglockner: Da geht es an der Dabaklamm und an den Almen und Hütten vorbei hinauf zum Dorfersee, in die karge alpine Felslandschaft. Und, noch ein kleiner Tipp: Man sollte sich dort die Osttiroler Schlipfkrapfen auf der Bergeralm nicht entgehen lassen.
Das Buch
„Naturparadies im Herz der Alpen“ – so lautet der Untertitel des Bildbandes zum 50 Jahre-Jubiläum Nationalpark Hohe Tauern. Der sich über drei Bundesländer (Kärnten, Tirol, Salzburg) erstreckende Sehnsuchtsort will erwandert, erkundet, aber vor allem bewahrt werden. Für das Buch haben sich die Reise- schriftstellerin Susanne Schaber und der Bergführer und Fotograf Herbert Raffalt auf den Weg gemacht, um die vielen Besonderheiten dieser Hochgebirgslandschaft zu erkunden. Die Lektüre ist im Tyrolia Verlag erschienen (192 Seiten, 34,95 €)
Die Autorin
Susanne Schaber hat alpine Wurzeln. Sie ist in Innsbruck geboren und aufgewachsen und erst nach dem Studium nach Wien gezogen. Sie hat als Reiseschriftstellerin die ökologische Dimension des Reisens immer im Blick. In ihren Texten hinterfragt sie das schnelle, kursorische Konsumieren von Städten, Landschaften und Kulturen
Infos
hohetauern.at
nationalpark.at