Obertauern ist mehr als nur Ibiza
Von Maria Gurmann
Ganz still war’s auf der Passhöhe – im Jahr 1904, als Karl Wurm, der Erbauer der Tauerneisenbahn, das Hotel Wisenegg gebaut hat. Weit und breit Natur. Der „Friedhof der Namenlosen“ und das Vikarhaus, das heute das Jugendheim Bergheim ist, erinnern noch an diese Zeit. Obertauern als Dorf, geschweige denn als Halli-Galli-Skigebiet, gab es nicht. Der Salzburger Wintersportort ist wie damals noch auf zwei Gemeinden aufgeteilt: Untertauern im Pongau und Tweng im Lungau. Von welcher Seite Einheimische stammen, sieht man an ihren Autokennzeichen: JO für St. Johann im Pongau und TA für Tamsweg.
Wenn die Ö3-DJs, wie gestern, die Stimmung anheizen, die Schneekanonen und Pistenraupen angeworfen werden, Tausende Schnaps- und Skiwassergläser geleert und 9.500 Betten mit Gästen gefüllt werden, ist im 200-Einwohner-Ort wieder Saison. Erst „Hang oba“, dann „Hangover“. Wer die Tauernrunde mit 26 Seilbahn- und Liftanlagen zwischen 1.630 und 2.313 Metern bewältigt hat, muss sich spätestens um 15.30 Uhr entscheiden: Wie wild soll der Abend werden? Wer erstmals da ist, möchte die Dröhnung, für die Obertauern berüchtigt ist. Dazu gehört zuerst das Aprés Ski auf der Edelweisshütte mit Ibiza-Flair, die rauschende Abfahrt in der Dunkelheit auf den leuchtenden Ort zu und unmittelbares Weiterfeiern im Gruber Stadl oder der berühmten Lürzer Alm.
Wer den Abend abseits des Ballermanns verbringen will, orientiert sich vor Liftschluss auf die andere Seite des Skigebiets: erst die Hochalm („Obertauern, Obertauern, alle singen mit“), dann ebenfalls Abfahrt im Finsteren, und dann in die stilvollere Schirmbar Flubachalm. Wenn die Lifte abdrehen, ist der Wechsel nicht mehr möglich, aber Spaß ist hier ohnehin überall Pflicht.
Ruhiger ging es hier Ende der 1950er-Jahre zu. Als Anton Lürzer die Almhütte Kesselspitze mit zehn Zimmern und Stallungen zwischen Gamskar und Gamsleiten baute, kamen die ersten Skifahrer. Den Einser-Sessellift auf den Grünwaldkopf (die Hochalm-Seite) und den kleinen Plattenkar-Tellerlift gab es schon. „Damals wurden im Winter Gäste-Gepäck und Lebensmittel mit einem alten Ziachschlitten befördert“, erinnert sich Herbert Lürzer (76), dessen drei Söhne Heribert, Gerhard und Harald ein Lürzerimperium geschaffen haben und in Obertauern die Platzhirsche sind. „Das Schicksal hat es gut mit unserer Familie gemeint. Das Hotel Kesselspitze ist heute mit fünf Sternen unbestritten das Flaggschiff unseres Familienbetriebes“, ist der Senior überzeugt.
Bruderschaft
Nah am Menschen sein, ist das Motto der Lürzers. „Für uns war immer wichtig, präsent zu sein. Das ganze Unternehmen ist auf Persönlichkeit aufgebaut, sprich auf uns drei Brüder“, sagt Heribert (51), der, damit ihm bei seiner Siebentage-Arbeitswoche nicht fad wird, auch Bürgermeister von Tweng ist. Sein jüngster Bruder Harald (47) ist auch Vorstandsvorsitzender des FC Red Bull Salzburg. Das Personal liege den Lürzers genauso am Herzen wie ihre Gäste. „Unsere Mitarbeiterzimmer sehen aus wie die Hotelzimmer. Das Wohlfühlen der Mitarbeiter ist schließlich die Basis dafür, dass sie ihren Job gut und gerne machen“, sagt Heribert Lürzer.
Auch Obertauerns Skischulbesitzer Hermann Koch (59) ist bekannt. Sechs Weltrekorde und Einträge ins Guinness-Buch schaffte der Snowbike-Profi: Die meistgefahrenen Höhenmeter (63.638) mit dem Snowbike innerhalb von 24 Stunden, mehr als 3.000 Höhenmeter innerhalb einer Stunde, 33 Skigebiete in drei Tagen, ein Kilometer rückwärts unter drei Minuten (24 km/h) und die meisten Umdrehungen pro Minute (24). Die Preisgelder spendet der bescheidene Unternehmer SOS-Kinderdorf oder der Caritas.
Snowbiken können Obertauern-Gäste in Kochs Skischule „ausprobieren und ganz leicht erlernen“, wie er sagt. „Ich bin halt ein bisserl ein Verrückter.“ Die Erlebnisse seiner Südamerika-Bike-Tour – 4.500 Kilometer, 37.000 Höhenmeter in 39 Tagen – hielt er in einem Buch fest. Humor und Ideenreichtum stecken in diesem zähen Sportler: 780 Kilometer lang war sein Fußmarsch zum Altar. Als sich der Skilehrer 2007 Hals über Kopf in seine deutsche Schülerin Danuta verliebte und um ihre Hand anhielt, schlug er vor, zur Pilgerhochzeit auf dem Jakobsweg zur Kathedrale von Santiago de Compostela zu gehen.
Wie man sieht, hat Obertauern viele Geschichten zu erzählen. Über erfolgreiche Familienunternehmen, Weltrekordhalter – und auch die stillen Orte abseits der lauten Après-Ski-Szene.
Tipps
Skischulen und -verleih In Obertauern können Gäste aus sieben Snowboard- und Skischulen, einer Snowbikeschule und einer Snow-Kite-Schule wählen. Angebote z. B. Skischule Koch: Ganztageskurs 84 Euro/pro Person/4 Stunden. Snowbike inkl. Coach und Bike 79 Euro/ P/2 Stunden. skikoch.at, Skiverleih: z. B. Freudenhaus Sport ab 24,30 Euro/Tag in drei Filialen, luerzer.at
Lürzer-Betriebe Das Stammhaus (steht für Ruhe und Gediegenheit) Hotel Kesselspitze, das Sporthotel Edelweiss, in dem die Beatles einst wohnten, liegt mehr im Ortskern, das Peakini Klubhaus (ehemals Hotel Holle) ist hip und mitten im Trubel. Ruhig und für Familien ideal ist es auf dem Bauernhof Peakini Farmhaus. Feiern und Essen ohne Ende heißt es in der Lürzer Alm.Sport, Mode und Taxis gibt’s vom Freudenhaus, die Skischule Obertauern der Lürzers heißt Frau Holle.
Help
Weltbekannt wurde Obertauern mit den Beatles, die 1965 in dem noch wenig bekannten, aber schneesicheren Ort den Film „Help “ drehten. Die Fab Four mussten auf den Pisten allerdings gedoubelt werden. Herbert Lürzer wedelte als Paul McCartney die Hänge hinunter. Große Statuen stehen auf der Piste und vor dem Hotel Edelweiss, wo die Beatles wohnten.
Info
Anreise Mit den ÖBB von Wien über Salzburg nach Radstadt, von dort per Bus nach Obertauern. Fahrplan und Preise: oebb.at
Hotel Hotel Kesselspitze, 2019 mit dem 5. Stern gekrönt, ein Rückzugsgebiet für Gäste, die abseits des Trubels Wellness, Ruhe und Kulinarik genießen. Direkt bei der Achenrainbahn, Sport Freudenhaus und Skischule. Package:3 Nächte/HP mit Leih- Skiausrüstung und Skipass ab 578 €, luerzer.at
Skipass Tageskarte: Erwachsene 48 €, Kinder bis 15 Jahre 24 €
Neu in Obertauern Erlebnisareal „Bobby Land“ für Kinder: Wellenbahn und Parcours, Aufenthaltsraum zum Aufwärmen und Chillen, Kinderiglu und Geisterbahn
Auskunft obertauern.com, flubachalm.at