Wie Estragon Senf zum Lieblingssenf der Österreicher wurde
Von Ingrid Teufl
„Siaßa oder Schoafa dazua?“ – Die Frage nach dem bevorzugten Beiwerk ist nicht nur am Würstelstand eine höchst wichtige. So unterschiedlich sind die Geschmacksnoten der heimischen Klassiker namens Estragon und Kremser Senf, dass die falsche Tube schon zu Dramen am Familientisch geführt haben soll: Den einen ist der mittelscharfe mit seinen würzigen Estragon- und Anisnoten zu scharf. Den anderen graut vor den groben Körnern und der leichten Süße.
100 Jahre Senfproduktion
Es könnten viele derartige Dispute gewesen sein. Immerhin stieg die Firma Mautner Markhof bereits 1921, also vor 100 Jahren, in die Senfproduktion ein. Seinen Senf gibt man in Österreich würztechnisch ziemlich oft dazu. Nicht nur bei den beiden beliebtesten Sorten der Österreicher. 700 Tonnen Senf werden jährlich für neun Senfsorten verarbeitet.
Von der Brauerei zur Feinkost
Das Unternehmen, das vom böhmischen Bierbrauer Adolf Ignaz Mautner von Markhof (1801–1889) im Jahr 1841 in Wien-St. Marx als Brauerei gegründet wurde, steht in Österreich nicht nur für die Würzpaste. Über Jahrzehnte war es in verschiedenen Sparten tätig. Manche Mitglieder betätigten sich gar politisch (ÖVP, Industriellenvereinigung, FPÖ bzw. Liberales Forum). 2004 verkauften die Erben an den bayrischen Senfhersteller Delevey. Hergestellt wird weiterhin in Wien-Simmering.
Heimische Klassiker
Viele Produkte aus der heuer 180 Jahre währenden Firmengeschichte sind längt Klassiker. Generationen wuchsen außer mit Kremser und Estragon Senf auch mit Hesperiden-Essig auf. Die Mischung aus Weingeist- und Weinessig sowie Apfelsaft ist seit 1927 auf dem Markt. Seit 1929 gibt es Sirupe, vielen als Himbeersaft oder „Orangeade“ bekannt. Kren oder Essiggurkerl gehören seit der Nachkriegszeit zum Sortiment.
Übrigens: Erst seit Ende der 1940er-Jahre wird der „Original Estragon Senf“ aus der Tube gepresst. Davor füllte man ihn in Gläser und verkaufte ihn unter der Marke „Delphin Senf“. Das Rezept soll noch heute das gleiche wie 1921 sein.
Der Name „Original Kremser Senf“ geht hingegen auf einen Markenstreit zwischen Mautner Markhof und einem Senfhersteller aus der Region Krems, der den „Echten Kremser Senf“ produzierte, zurück. Da setzte sich zwar der Wiener Unternehmer durch. Der Kremser Senf selbst dürfte bereits vor 500 Jahren von Winzern der Gegend gemischt worden sein.
Namen verweisen auf regionale Prägungen
Überhaupt verweisen viele Senf-Namen auf geschmackliche Vielfalt und regionale Prägungen. Die französische Stadt Dijon besaß im 13. Jahrhundert das Monopol auf die Senfproduktion – ihr Name steht noch immer für einen typisch scharfen Senf. Estragon-Senf ist eine spezielle Variante davon. Doch Schärfe ist nicht alles für einen harmonischen Geschmack. „Guten Senf kann man nicht mit jedem Essig machen“, besagt ein französisches Sprichwort. Die Franzosen müssen es ja wissen.