Trinken, wenn man Alkohol nicht trinkt: Geht das?
Von Anita Kattinger
Es dominieren Orange und Grapefruit sowie kräftige Noten von Wacholder in der Kopfnote, im Abgang kommen feine Ingwer- und Pfeffernuancen zur Geltung. Das ist "Rick Free" – zwei Jahre arbeitete der Österreicher Patrick Marchl an dem alkoholfreien Destillat ohne Zucker und ohne künstliche Aromen.
"Die Idee entstand, weil ich oft von Barkeepern den Wunsch nach einem guten Drink ohne Alkohol gehört habe. Alternativen schmecken oft zu süß", erzählt der Hersteller im Interview mit dem KURIER.
Warum man in diesem Fall von Destillaten spricht und nicht von alkoholfreien Spirituosen: Weil „Spirituosen“ per Definition mindestens fünfzehn Prozent Alkohol enthalten müssen. Der Begriff Destillat bezieht sich hingegen nur auf das Heruntertropfen des kondensierten Dampfs in einer Brennblase. Salopp formuliert: ein Kräuter-Wasser aus der Brennblase.
Wasserlösliche Aromen
Aber wie genau funktioniert die Produktion? "Er wird wie ein normaler Gin hergestellt: Manche Aromen wie jene von Zitrusfrüchten sind sehr gut wasserlöslich, andere wie Wacholderbeeren sind nicht wasserlöslich. In diesem Fall müssen die Aromen als Zwischenschritt dem Wacholder durch Öl und Zucker entzogen und dem Wasser wieder zugeführt werden. Dann wird das Gesamtprodukt destilliert und mit Zitronenwasser haltbar gemacht."
Dabei handelt es sich bei der Innovation um keine neue Erfindung – seit 2014 zeigt das britische Start-up "Seedlip", dass alkoholfreier Gin eine Gaumenfreude sein kann. Das Unternehmen selbst bezeichnet seine sechs Wochen gereiften, alkoholfreien Destillate allerdings nicht als Gin, weil sie ohne Wacholderbeeren – dem wichtigsten Bestandteil der Spirituose – auskommen.
Im Sommer erhöhte Diageo, der weltweit größte Spirituosenhersteller, seine Anteile am Getränke-Start-up. Ein finanzstarker Zukunftsmarkt. Weltweit trinken die Teenager von Jahr zu Jahr weniger Alkohol (Österreich ist hier ein statistischer Ausreißer), aber sie wollen nicht auf Geschmack verzichten. Millennials wollen feiern, aber ohne Kater aufwachen – und keinesfalls ohne Glas in der Ecke stehen.
So heißt der Trend: Nüchtern und neugierig
Für die neue Lust an der Abstinenz gibt es seit 2018 sogar einen Begriff, der in den USA kreiert wurde: sober curious – nüchtern und neugierig. Der Trend macht sich auch darin bemerkbar, dass immer mehr Bars in den USA alkoholfreie „Happy Hours“ oder sogar Events ohne Alkohol ermöglichen.
Marchl: "Der Trend wird in den kommenden Jahren noch viel stärker werden. Einerseits aus Lifestyle-Gründen, andererseits wegen unserer leistungsorientierten Gesellschaft. Man will weiterhin socializen – die Bar ist schließlich das Dorfwirtshaus geworden."
Alkoholfreier Wein riecht nach Apfelsaft
Hinzu käme der multikulturelle Hintergrund von Zugezogenen in Großstädten: "Wenn die Religion Alkohol verbietet, gibt es so trotzdem die Chance, beim After-Work-Drink dabei zu sein." Pionierin der Bewegung ist die New Yorker Journalistin und Autorin Ruby Warrington, die dem Trend vor fast zwei Jahren sogar ein Buch widmete. Ziel ist nicht Verzicht, sondern der bewusste Umgang mit Alkohol. Warrington dachte nach einem Yoga-Wochenende darüber nach, in welchen Situationen und warum sie überhaupt Alkohol trinkt. Sie selbst geht seitdem den Weg der Abstinenz.
Mittlerweile gibt es auch einige Winzer, die auf alkoholfreie Weine setzen: Oft riechen und schmecken diese im ersten Augenblick nach Apfelsaft. Hier wird der bei der Gärung entstehende Alkohol durch Destillieren von der Flüssigkeit getrennt. Beim Erhitzen verdampft der Alkohol – und leider auch ein Großteil der Aromen.
So trinkt man, wenn man nicht trinkt
Alkohol ist wie Zucker ein guter Geschmacksträger, damit die Komplexität der pflanzlichen Destillate zum Ausdruck kommen, braucht es Partner wie Tonic, Sodawasser oder ähnliche Bestandteil in Cocktails. Am besten im Mischungsverhältnis 1:4.
Wie "Seedlip" empfiehlt Marchl daher den Konsumenten, das alkoholfreie Destillat zu spritzen: "Kohlensäure ist generell ein guter Träger. Pur ist er fast nicht genießbar: Die alkoholfreie Variante enthält die fünffache Kräuter-Menge im Vergleich zum alkoholischen Gin. Die Intensität der Aromen ist unser Gaumen nicht gewöhnt – es wäre vergleichbar wie Aromaöl aus der Duftlampe."
Wer einen alkoholfreien Cocktail aus Destillaten probieren will, könnte sich an einen Klassiker wagen, der derzeit eine Renaissance erfährt: "Es gibt auch schon alkoholfreien Wermut, der aus alkoholfreiem Wein und Traubenmost hergestellt wird, oder andere Bitter ohne Alkohol auf dem Markt – da bietet sich der Negroni ganz ohne Promille an."
Und generell der Tipp: Die alkoholfreien Drinks immer eiskalt genießen.