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Ernste Folgen für die Arbeitsfähigkeit: Adipositas als oft unterschätzte Krankheit

Übergewicht und Adipositas sind wichtige Merkmale zur Beschreibung des Gesundheitszustands einer Bevölkerung, denn Adipositas ist ein Risikofaktor für bestimmte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Gelenks- und Rückenbeschwerden. Ein häufig verwendetes Maß für die Klassifikation von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen ist der Body-Mass-Index (BMI). Er ist definiert als das Verhältnis des Körpergewichts in Kilogramm zum Quadrat der Körpergröße in Metern. Nach einer Klassifikation der WHO unterscheidet man beim Erwachsenen je nach BMI zwischen Untergewicht (BMI < 18,5), Normalgewicht (18,5 bis 24,9), Übergewicht (25,0 bis 29,9) und Adipositas (BMI ≥ 30,0). Laut Statistik Austria sind in Österreich rund 3,7 Millionen Menschen über 15 Jahre übergewichtig und rund 17 Prozent von ihnen haben bereits Adipositas. Bereits im Alter von acht Jahren sind jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen übergewichtig oder adipös.

Michael Miskarik: Herr Holzinger, die schwerwiegenden Folgen von Übergewicht sind seit vielen Jahren bekannt. Warum wird diese Krankheit dennoch vielfach unterschätzt?

Jürgen E. Holzinger: Ob im familiären oder auch im freundschaftlichen Umfeld, eine Diskussion über das Thema Übergewicht kennen viele und häufig kommt es in diesem Kontext auch zu der einen oder anderen Meinungsverschiedenheit. Dass hinter der saloppen Formulierung „Übergewicht“ viel zu oft eine ernstzunehmende Krankheit steckt, kommt zumeist erst bei genauerer Betrachtung hervor. Die Folgen einer Erkrankung reichen weit und können bis zur Berufsunfähigkeit führen. Adipositas als chronische Stoffwechselerkrankung wird in der Gesellschaft vielfach auf die leichte Schulter genommen und Betroffene werden mit der Diagnose „selbst schuld“ abgewertet. Dass diese Beurteilung nicht der Realität entspricht, zeigen bereits viele Studien auf.

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Wie wirkt sich Übergewicht langfristig auf die Gesundheit aus?

Menschen mit Übergewicht haben zum Beispiel ein höheres Risiko für Herz- u. Gefäßerkrankungen oder Diabetes. Die Langzeitfolgen sind kaum abschätzbar und haben nicht nur auf Betroffene massive Auswirkungen, sondern auch auf unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem. Denn neben den lebensbedrohlichen Folgeerkrankungen besteht auch das Risiko einer Berufsunfähigkeit/Invalidität, was bedeutet, die Krankheit lässt eine Teilhabe am regulären Arbeitsmarkt nicht mehr zu. Betroffene sind wortwörtlich zu krank, um arbeiten zu gehen.

Was bedeutet das konkret?

Nicht mehr arbeiten zu können, bringt weitere Themengebiete mit sich. Armutsgefährdung für Betroffene und hohe Kosten für das Gesundheitssystem sind die Folgen. Nicht nur fallen potenzielle Arbeitskräfte weg, sondern landen Betroffene in der Arbeitslosigkeit und zu guter Letzt im Sozialsystem. Hier muss man tatkräftig entgegenwirken und dies schon zu einem frühen Zeitpunkt. Es bedarf sowohl präventiver Maßnahmen als auch spezieller Vorkehrungen und Möglichkeiten im Bereich der Rehabilitation und Wiedereingliederung, um sowohl Betroffene zu unterstützen als auch langfristig das Gesundheitssystem nicht zu überfordern.

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Wie kann man dem entgegenwirken?

Unsere Gesellschaft braucht mehr Sensibilisierung und somit auch mehr Anerkennung. Adipositas darf nicht einfach als Übergewicht abgestempelt werden. Hier sind vor allem auf politischer Ebene Maßnahmen und Rahmenbedingungen gefordert, die eine Umsetzung der Behandlung bzw. Vorbeugung schon im frühen Stadium möglich machen. Bereits im Kindergarten oder im Schulalltag sollten Kinder und Jugendliche aktiv aufmerksam gemacht werden und die sogenannte „gesunde Jause“ sollte zur Selbstverständlichkeit werden. Präventive Möglichkeiten und Aufklärungsarbeit zur Verhinderung von Adipositas müssen im Bildungssystem verankert werden. Dies ist unerlässlich und verhindert zudem ein soziales Ungleichgewicht.

Welche Rolle kommt der medizinischen Prävention zu?

Auch hier ist ein Umdenken erforderlich. So müssten die Kosten für vorbeugende Therapien von den Sozialversicherungen getragen werden. Im Stadium der Rehabilitation zur Vorbeugung der Berufsunfähigkeit und als Maßnahme der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt brauchen die handelnden Akteure wie beispielsweise PVA, ÖGK und AMS mehr Struktur sowie zielgerichtete Möglichkeiten. Nur so können die Krankheit und die daraus resultierenden Folgen für uns als Gesellschaft verhindert werden.

Der Verein ChronischKrank Österreich berät kostenlos rund um das Thema „Berufsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall“ in ganz Österreich.

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