Chronik/Wien

Bei diesen Wiener Würstelständen geht es nicht um die Wurst

Andere Metropolen haben Streetfood, Wien hat den Würstelstand.

Touristen lieben ihn, Wiener leben ihn. Wenn nachts der Heißhunger kommt, ist er oft die einzige Option.

Dass der Würstelstand auf die Unesco-Liste des immateriellen Welterbes gesetzt werden soll, ist in erster Linie zwar eine Marketingidee, aber auch nicht ganz abwegig.

Wien und die Wiener Würstelstände

Man kann sich die Stadt ohne Würstelstand nicht wirklich vorstellen; das würden wahrscheinlich auch vegane Wienerinnen und Wiener unterschreiben.

Kurioserweise weiß man gar nicht so genau, wie viele Würstelstände es in Wien überhaupt gibt. Insgesamt verabreichen 2.200 Betriebe „Speisen in einfacher Art“, da sind aber auch kleine Lokale sowie Kebab, Pizzaschnitte, Asia-Nudel & Co dabei; Würstelstände werden in dieser Statistik nicht extra ausgewiesen. In der Wiener Wirtschaftskammer kursiert, laut Falter, die Zahl 179; sie beruht auf Angaben eines Würstelstandlers, der vor einigen Jahren selbst eine Zählung durchgeführt hat.

Alle Inhalte anzeigen

Einschlägige Grundlagenforschung hat auch der Wiener Fotograf Stefan Oláh betrieben. Für ein Buchprojekt hat er die Stadt mit seinem Team auf Google Earth nach verdächtigen Objekten abgesucht und radelte dann hin, um vor Ort nachzuschauen, ob es sich um einen Würstelstand, eine Kebabbude oder etwa um einen Blumenkiosk handelt.

Stefan Oláh: Künstler, kein Knipser

Oláh kam auf 120 Würstelstände, die meisten davon sind in dem 2013 erstmals erschienenen Fotobuch „95 Wiener Würstelstände“ dokumentiert. Wieso gerade 95? Erstens, weil Oláh das für eine gute Zahl hält. Und zweitens, weil er ein paar Würstelstände „als Bild nicht so interessant“ fand.

„Oft geht es auch gar nicht“, sagt er. „Auf der Alser Straße, bei der Nationalbank, gibt es einen Würstelstand, den will ich seit Jahren fotografieren – und dauernd ist irgendwas. Momentan verlegen sie dort gerade die Straßenbahnschienen neu.“

Stefan Oláh ist kein Knipser, sondern ein Künstler. Er hat ein Konzept, und er hat sich ein strenges Regelwerk auferlegt. Weder am Objekt noch am Bild wird etwas verändert, und dass er ausschließlich analog fotografiert, sorgt automatisch für eine gewisse Disziplin: „Ich arbeite auf diesem wahnsinnig teuren Fotomaterial im Format 4 x 5 Inch, das heißt: Ich fotografiere erst, wenn alles passt. Manchmal fahre ich 20 Mal wo hin, bis ich endlich fotografieren kann.“

Alle Inhalte anzeigen

"95 Wiener Würstelstände"

Obwohl Oláh nie damit aufgehört hat, Würstelstände zu fotografieren, wurde das Würstelstand-Buch für die soeben erschienene Neuauflage weder aktualisiert noch erweitert. Auch das ist seinem Purismus geschuldet: Für ihn ist das Buch, das lang vergriffen war, ein abgeschlossenes Werk. Und es hat ihn gestört, dass es nicht mehr – oder nur zu horrenden Preisen im Internet – greifbar war.

Möglich gemacht wurde das Buch durch finanzielle Unterstützung der Wiener Großfleischerei Radatz, von der die meisten Würstelstände ihre Software beziehen.

S. Hackenschmidt / St. Oláh: „95 Wiener Würstelstände“, Verlag Anton Pustet. 160 Seiten. 28 Euro   

Die großen sechs

Standesgemäß fand die Buchpräsentation in einer Radatz-Filiale (der am Karmelitermarkt) statt, wo die „großen sechs“ der Wiener Würste bergeweise auslagen: Käsekrainer, Bratwurst, Debreziner, Burenwurst, Frankfurter und Waldviertler.

Die Burenwurst, auch Klobasse oder schlicht „Haße“ genannt, war bis in die 70er-Jahre die klare Nummer eins am Würstelstand. Doch dann kam die Grillplatte, und mit ihr begann der Siegeszug der Käsekrainer. „Die ist heute der Blockbuster“, sagt Josef Bitzinger, der den Würstelstand bei der Albertina betreibt.

„Ich habe einmal versucht, die Burenhaut wiederzubeleben, aber das war leider nicht möglich. Die Wurst aus dem Kessel hat das Rennen gegen die Grillplatte verloren.“ Dafür gibt es laut Bitzinger drei Gründe: „Das riecht, das riecht, das riecht!“

Alle Inhalte anzeigen

„95 Wiener Würstelstände“ ist nicht das erste Buch seiner Art. Davor hatte Stefan Oláh bereits, auch damals zusammen mit dem Autor Sebastian Hackenschmidt, „26 Wiener Tankstellen“ dokumentiert. Gemeinsam haben die Projekte, dass der Fokus nicht auf den Objekten selbst liegt.

„Ich habe jetzt mehr als 130 Würstelstände fotografiert“, sagt Oláh. „Aber mich interessiert nicht der Würstelstand, sondern die Stadt.“ Es geht ihm weniger um die – meist ja nicht besonders interessante – Architektur der Imbissbuden selbst als um die städtebauliche Situation, in der sie sich befinden.

Alle Inhalte anzeigen

Retter in der Not

Oláh legt Wert darauf, stets genügend visuelle Informationen im Bild zu haben, um zumindest ortskundigen Betrachtern deutlich zu machen, wo wir uns befinden. Wobei er sich manchmal schon auch den Spaß macht, einen in die Irre zu führen: Der Würstelstand neben der U-Bahn-Station Stadtpark  sieht aus, als stünde er im Wald und nicht mitten in der Stadt.

Stefan Oláhs persönlicher Lieblingswürstelstand ist übrigens der am Hohen Markt. „Der war in meiner Jugend oft der Retter in der Not.“ Die größte Herausforderung für das Buch war der Würstelstand „Am Nordpol“ im 2. Bezirk, den Oláh natürlich im entsprechenden Ambiente fotografieren wollte. „Und dann musste ich zwei Jahre warten, bis in Wien einmal Schnee liegt.“