Chronik/Wien

Der Wiener Koalitionskrach

In der Rot-Grünen Rathauskoalition hängt der Haussegen schief. Auslöser waren am Mittwoch zwei Medien-Interviews der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, die Wiens Bürgermeister Michael Häupl unverblümt zu einer Wahlrechtsreform drängt. Die nicht abgesprochene Vorgangsweise sorgte prompt für eine veritable Krise in der Koalition. "Wenn man glaubt, dass man mich mit so einer Veröffentlichung unter Druck setzen kann, irrt man gewaltig", sagte am Donnerstag ein sichtlich verstimmter Bürgermeister.

Seit drei Jahren verhandelt Rot-Grün über eine Änderung des Wiener Wahlrechts (siehe unten), das derzeit die SPÖ massiv bevorzugt. Die Gespräche drehten sich zuletzt im Kreis.

Doch nach dem jüngsten grünen Vorstoß, schaut man innerhalb der SPÖ nicht mehr geduldig weg. Häupl hat für den kommenden Montag den Koalitionsausschuss einberufen. Eine Krisensitzung bei der es rundgehen dürfte: "Wir werden ordentlich Tacheles reden, ob das ein guter Stil ist, dem Partner über die Medien Vorschläge auszurichten", sagt ein Roter.

Vor allem weil gerade zu dieser Causa ursprünglich Stillschweigen vereinbart wurde. Am Dienstag habe man noch verhandelt – Mittwochabend müsse man Vorschläge in der Zeitung lesen. "Die Grünen sollten sich gut überlegen, ob das wirklich die beste Aktion für eine künftige Zusammenarbeit nach der Wahl war", poltert ein roter Funktionär.

Neuwahlen?

Vassilakous Solo könnte jetzt dazu führen, dass das bereits angespannte Verhältnis zwischen Rot und Grün endgültig platzt. Denn zuletzt gab es wiederholt Spekulationen über Neuwahlen vor dem ursprünglichen Herbst-Termin. Sollten sich Rot und Grün nicht einigen, könnte daher eine Wahlrechtsreform auch offen im Gemeinderat abgestimmt werden. Denn das Wahlrecht für Häftlinge und die Briefwahl müssen auf jeden Fall repariert werden, da sonst eine Wahlanfechtung droht.

"Gibt es dann einen Antrag, schaue ich mir an, ob die Grünen dagegen stimmen", sagt Häupl. Der grüne Chefverhandler Klubobmann David Ellensohn gibt sich vom Wirbel überrascht. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass Parteien ihre Position öffentlich machen." Das Thema Wahlrechtsreform ziehe sich schon zu lange hin. "Ursprünglich wollten wir 2012 ein Ergebnis haben", sagt Ellensohn. Doch die Bewegung der SPÖ sei so gering, dass man den Schritt gesetzt habe. "Die SPÖ soll den unfairen Bonus wenigstens zur Hälfte abgeben", erklärt Ellensohn den 0,5-Vorschlag. Dass die Kommunikation nachhaltig gestört ist, glaubt Ellensohn nicht. Er hofft sogar auf eine rasche Lösung bei der Krisensitzung.

Zahlenspiele

Derzeit kann die SPÖ theoretisch mit 45% die Absolute im Gemeinderat holen. Möglich ist das, weil in jedem Wahlkreis die Stimmen durch die zu vergebenden Mandate plus 1 dividiert werden. Die Grünen wollten das "plus 1" streichen, jetzt bieten sie ein " plus 0,5" an. Das Angebot der SPÖ ist 0,75.

Vorgezogene Wahlen kommen in Wien immer wieder vor. Zuletzt war dies etwa 2005 oder 2001 der Fall. Voraussetzung dafür ist ein Antrag im Gemeinderat, für die Annahme genügt eine einfache Mehrheit. Der aktuell frühestmögliche Termin dafür wäre die Sitzung am 19. Dezember.

Anschließend erfolgt die Wahlausschreibung durch den Bürgermeister, mit der der Wahltag und der Stichtag festgelegt wird. Letzterer ist u. a. für die Bestimmung der Wahlberechtigten relevant.

In der Regel liegen zwischen Ausschreibung und Wahltag drei Monate, genau festgelegte Fristen gibt es dafür nicht, heißt es im Büro der zuständigen Stadträtin Sandra Frauenberger. Das heißt: Die nächste Wiener Gemeinderatswahl könnte frühestens im März 2015 stattfinden.

Stadträte

Während sich SPÖ und Grüne um die Neugestaltung der Mandatsverteilung heftig streiten, ist man in einem Punkt weitgehend einig: Um Kosten zu sparen, will man ein Wiener Spezifikum, die nicht amtsführenden Stadträte, abschaffen. Diese haben kein eigenes Ressort, aber Stimmrecht und vor allem volle Akteneinsicht. Damit sind sie ein Kontrollinstrument der Opposition. Die FPÖ hat aktuell drei solcher Stadträte, die ÖVP einen.

Wien kann sie allerdings nicht von sich aus abschaffen, dafür ist vielmehr eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes notwendig. Grüne und SPÖ wollen einen entsprechenden Resolutionsantrag an den Bund schicken. Allerdings erst, wenn des Gesamtpaket zur Wahlrechtsreform fertig ist, heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Michael Häupl.

Die Abschaffung würde die Kontrollrechte der Opposition einschränken. Als Ausgleich sollen laut Grünen alle Rathaus-Klubs Akteneinsicht erhalten. Dabei geht es zum Beispiel um Rohberichte des Rechnungshofes.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl würde im Traum nicht einfallen, vorzeitig Neuwahlen auszurufen. Und trotzdem ist ein Urnengang auf die Zeit vor dem Sommer wahrscheinlicher geworden.

Seit Monaten drängen Grüne und die Opposition, das Wiener Wahlrecht zu kippen. Das verhalf der SPÖ bisher zu mehr Mandaten. Wirklich verstimmt hat Häupl, dass ausgerechnet seine Grüne Vizebürgermeisterin genau jetzt zu diesem Thema in den politischen Ring gestiegen ist.

Von Maria Vassilakou ist das hoch gepokert. Spielt die SPÖ nicht mit, und niemand kann sie dazu zwingen, sind vorzeitige Neuwahlen wahrscheinlich. Vassilakous Provokation dürfte dann aber noch weitreichendere Folgen haben. Denn Häupls Lust, diese Koalition fortzusetzen, könnte unter diesen Umständen enden wollend sein.