Chronik/Wien

Wien-Wahl: Was uns die Wahlplakate sagen wollen

1.100 – exakt so viele Plakatständer dürfen die Parteien, die sich am 11. Oktober in Wien der Wahl stellen, aufstellen.

Das sind gar nicht so viele für eine knapp Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt. Trotzdem kommt man mancherorts nicht mehr daran vorbei. Und zwar buchstäblich. Manchmal verstellen sie den Gehsteig, manchmal den Radweg und manchmal sogar den Zugang zu einem Mistkübel. Das Foto von einem solchen ÖVP-Plakat hat Mittwochabend im Internet die Runde gemacht.

Keine großen Überraschungen

Und auch in einem Wahlkampf im Jahr 2020, in dem digitale Wahlwerbung sehr wichtig geworden ist, sind klassische Wahlplakate noch von Bedeutung. "Wahlplakate sind ein bisschen wie Weihnachtsbeleuchtung", sagt Lore Hayek, Politikwissenschafterin an der Universität Innsbruck. Sie symbolisieren, dass es jetzt losgeht. Und sie dienen dazu, Aufmerksamkeit zu schaffen. "Aber", sagt Hayek. "Die wirklichen Botschaften kommen über andere Kanäle zu den Wählern." Wohl deshalb gibt es auch in diesem Wahlkampf keine großen Überraschungen bei den ersten Plakatwellen der Parteien.

Die SPÖ verzichtete bei der ersten Welle auf den Bürgermeister, dafür gibt er auf der zweiten fast schon den Übervater. Die Grünen holen sich Unterstützung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Die ÖVP hat ihren Spitzenkandidaten mit einem Lächeln und mit bösem Blick gedruckt, die FPÖ reimt noch immer "Islam" auf "Daham" – auch wenn Heinz-Christian Strache gar nicht mehr mit von der Partie ist. Der muss seine Sujets übrigens online unter die Leute bringen, denn Strache hat kaum Geld für den Wahlkampf. Und die Neos haben konkrete Probleme „der Menschen“ erkannt, liefern aber keine Lösungen.

1.100 Plakatständer sind pro Partei erlaubt. Eigentlich ist es in Wien verboten, Dreiecksständer aufzustellen. Die dazugehörige Verordnung des Magistrats  sieht jedoch zu Wahlzeiten eine Ausnahme vor.

5 Wochen vor der Wahl dürfen die Werbeständer aufgestellt werden. 

1 Woche nach dem Wahlsonntag, dem 11. Oktober, müssen die Parteien die Plakatständer spätestens weggeräumt haben.

11 verschiedene Sujets haben die Neos aufgehängt. Sie sind damit die Partei mit den abwechslungsreichsten Plakaten. Heinz-Christian Strache hat  – zumindest bisher – nur ein Plakat präsentiert.

Aber wie gut sind die Plakate der einzelnen Parteien? Ergeben die Wahlsprüche Sinn oder sind das nur hohle Phrasen?

Der KURIER hat Literaturkritikerin Daniela Strigl, Werbeprofi Andreas Putz und Politikwissenschafterin Lore Hayek gebeten, die Wahlplakate zu studieren. Und gleich vorweg – ihre Analysen sind erstaunlich – und erheiternd.

Daniela Strigl
Literaturkritikerin, Professorin für Neuere deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Uni Wien

Andreas Putz
Chef der Werbeagentur Jung von Matt Donau, gestaltete unter anderem Alexander Van der Bellens Kampagne im Präsidentschafts-Wahlkampf 2016 

Lore Hayek
Politikwissenschafterin  an der Uni Innsbruck, Schwerpunkt auf Wahlkämpfe und Wahlwerbung

SPÖ: Eine Frau im Blaumann für das Thema Arbeit

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Die Literaturkritikerin:  "Ein merkwürdig unentschiedener Slogan. Es geht ja offenbar weniger darum, dass die gezeigten starken Hände die Arbeit tun, sondern darum, dass sie sich um das Problem Arbeit kümmern. Außerdem spricht der Text unfreiwillig eine Diskrepanz an: Als Mann von eher bescheidener Körpergröße und nicht gerade durchgymnastiziertem Phänotyp soll der Bürgermeister metaphorisch für einen Muskelprotz stehen. Das überzeugt nicht wirklich."

Der Werbeprofi: "Michael Ludwig, gütig und wohlwollend, steht mitten unter Bürgerinnen und Bürgern aller Bevölkerungsgruppen. Er hält seine schützende Hand über Wien. Das hat schon ein bisschen was von Heiligenverehrung."

Die Politik-Professorin: "Ein klassisches Wahlplakat. Die Arbeit als Kernthema der SPÖ, eine Arbeiterin im Blaumann und Ludwig in einer klassischen Pose. Das Plakat hätte in den 80er-Jahren genauso aussehen können. Außer, dass die Person im Blaumann im Hintergrund vielleicht ein Mann gewesen wäre. Die Plakate zeigen, die SPÖ stellt ganz klar den Anspruch auf den Bürgermeistersessel."

Die Grünen: Publikumsliebling als Unterstützung 

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Die Literaturkritikerin: "Das Motto ,Mehr Grün für Wien’ als doppelsinnige Botschaft kommt mir irgendwie bekannt vor und gegen die Hoffnung auf ein „gesundes“ Klima (was ist das? Eines ohne Corona?) kann man auch nicht wirklich etwas sagen. Es fehlt ein Einfall, ein Fünkchen Originalität –  kurzum: Pfiff."

Der Werbeprofi: "Zu lange, hab’ ich nicht gelesen. Die Plakate sind kleinteilig und zugetextet. Kaum eine Wählerin oder ein Wähler nimmt sich jedoch die Zeit, um ein Plakat zu studieren. Aber vielleicht sind sie ja an Fußgänger oder an Menschen, die im Stau stehen, gerichtet. Dann hätte die Gestaltung eine gewisse Logik."

Die Politik-Professorin: "Die Besonderheit ist natürlich, dass Anschober auf dem Plakat zu sehen ist, der gar nicht in Wien kandidiert. Das ist unüblich, aber natürlich ganz bewusst gewählt. Anschober ist aktuell der beliebteste Politiker in Österreich. Das Wording ähnelt sehr der Plakatkampagne bei der Nationalratswahl. Auch das Wort ’Klimawahl’ ist nicht neu."

ÖVP: Böse Blicke und ein verwirrendes Zitat

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Die Literaturkritikerin: "Ein Satz als Rätsel. Alles andere als plakativ oder zumindest prägnant und von verstörender Nona-Weisheit. Was heißt ,nach vorne’? Außerdem fragt sich jeder: Wieso ,kaum’? Was ist denn doch wichtiger für die ÖVP? Oder für Blümel? Ist das ein philosophischer Gedanke? Das ist eher  eine Binsenweisheit."

Der Werbeprofi: "Fesch ist er schon. Aber warum ist Herr Blümel so ernst und traurig?  Auf einem seiner Plakate steht: ,Integration für Wien’. Meint er da, Wien soll sich integrieren? In was, frage ich mich, soll Wien sich integrieren?"

Die Politik-Professorin: "Das Zitat ist etwas verwirrend. Was bedeutet es? Das Wahlplakat verfehlt genau das Kriterium einer einfachen Botschaft. Besonders über das Wort ,Wichtigeres’ stolpert man drüber, wenn man schnell vorbei geht. Das ist ein ganz seltsames Wort.  Es ist nicht die beste ÖVP-Kampagne der vergangenen Jahre, nicht sehr kreativ."

FPÖ: "Daham" reimt sich noch immer auf "Islam"

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Die Literaturkritikerin: "Die poetische Schaffenskraft der Texter ist offenbar über den vielfach bewährten Reim Islam-Daham nicht hinausgekommen. Die Behauptung, ÖVP, Grüne und SPÖ würden, kostümiert als Dunkelmänner und -frauen den radikalen Islam vertreten, ist so lachhaft, dass man sich darüber nicht einmal entrüsten kann. Wieso der Dschihad-Krieger im Hinter-grund von "Home Sweet Home" schwärmt, versteht niemand, schon gar nicht der präsumptive FPÖ-Wähler. Der inbrünstig glühende Blick gen Himmel bzw. Steffl ist der Gipfel unfreiwilliger Komik."

Der Werbeprofi: "Bemerkenswert, dass der FPÖ-Spitzenkandidat nach Ibiza ausgerechnet "Nepp" heißt. Dafür kann er nichts. Dafür, dass das Wort "radikaler" so klein geschrieben ist, dass nur das Wort "Islam" als Angstbild überbleibt, kann er allerdings etwas."

Die Politik-Professorin: "Das klassische FPÖ-Muster, wie wir es seit  Strache kennen. Nur mit dem Manko für die FPÖ, dass Strache nicht darauf abgebildet ist." 

Neos: Konkrete Probleme ohne konkrete Lösungen

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Die Literaturkritikerin: "Ein Statement gegen die landestypische Wurschtigkeit und ein konkretes Beispiel für ein Opfer der Krise. Das ist nicht aufregend, aber vernünftig."

Der Werbeprofi: "Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber viele der Neos-Plakate, die man auf der Straße sieht, sind so schlecht gedruckt, dass es so aussieht, als hätte Stephanie Krisper grüne Punkte im Gesicht. Das ist natürlich bitter für alle Beteiligten."

Die Politik-Professorin: "Die Kampagnen der Neos sind immer etwas verkopft. Oft muss man die ganze Kampagne kennen, um die Plakate zu verstehen. Jeder  wird dieser Aussage zustimmen, aber das Plakat sagt mir nicht, warum das so ist, und bietet mir  auch keine Lösung an. Das Plakat ist nicht gut gelungen."

Team Strache: Comeback-Tour im Alleingang

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Die Literaturkritikerin: "Klingt, als hätte Strache versucht, die elliptischen Sätze der Marlene Streeruwitz zu imitieren. Dass Strache gemeinsam mit seinen Wählern vom Boden aufstehen will, ist immerhin ehrlich. Aber auch wegen der Comeback-Tour hat das Ganze die Anmutung eines k. o. geschlagenen Boxers. Das wirkt nicht sexy, sondern macht melancholisch. ,Sozialbewusst’, davon müsste sich jeder gefrotzelt fühlen, der an Straches Spesenraub-Rittertum denkt. Müsste. Und ,heimatverbunden’ passt schlecht zum Ibiza-Feeling. Seis drum. Ein Plakat für Erfahrungsresistente.

Der Werbeprofi: "THC stellt sich als die Alternative zur Bierpartei dar."

Die Politik-Professorin: "Das Team Strache hat eine Botschaft und die heißt Heinz-Christian Strache. Seine typische Pose und das mittlerweile bekannte Kürzel H.C. sind bewusst eingesetzt. Die beiden Worte ,sozial’ und ,Heimat’ sind eine Annäherung an die FPÖ, die sich ja als die ’soziale Heimatpartei’ bezeichnet." 

Die aktuelle Podcast-Folge zur Wien-Wahl: