Chronik/Wien

Tierisches Wien: Auf zur Safari im Gemeindebau

Eine Flusspferdmama, die ihr Junges auf dem Rücken trägt. Raufende Löwen, eine lauernde Waldohreule und gar ein Krokodil auf einem Kinderspielplatz: All dies findet man in Wien – ja, mitten in der Stadt, und nein, nicht im Zoo.

„Wenn man einmal anfängt, darauf zu achten“, sagt Autor Thomas Hofmann, „sieht man plötzlich überall nur noch Viecher.“ Tatsächlich lauern sie überall: in Parks, auf Fassaden, in Torbögen. Und das Praktische: Weder muss man sich lange auf die Lauer legen, noch Angst haben, dass das Krokodil zubeißt.

Es reicht, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen „und nicht nur auf das depperte Handy zu schauen“, wie Hofmann lachend sagt.

Genau das hat er nämlich gemeinsam mit dem Fotografen Reinhard Mandl gemacht: Ein Jahr lang haben sie Wien systematisch durchstreift und Ausschau nach Tierskulpturen gehalten. Die Ergebnisse dieser speziellen Safari sind nun in Buchform erschienen.

Wie viele sie aufgespürt haben? „Mehrere Hundert“, sagt Hofmann. In 23 Kapiteln stellen sie die animalischen Eigenheiten jedes Bezirks vor. Und es zeigt sich: Wie die Tiere dargestellt werden, erzählt auch viel über uns Menschen zur jeweiligen Zeit.

Lieber Adler als Auto

So dominieren im ersten Bezirk Pferd, Adler und Löwe – allesamt Tiere, die die Macht der Herrschenden betonen sollen. „Ein Feldherr hat sich halt gerne heroisch als Reiter darstellen lassen“, sagt Hofmann. Nachsatz: „Übrigens wollte noch kein Herrscher ein Denkmal von sich mit einem Auto haben. Obwohl es Autos mittlerweile lange genug gibt.“

Denn es seien Tiere, die uns immerfort begleiten: Ob als Symbol der Macht, in der Religion (die Taube als Symbol für den Heiligen Geist) oder einfach als Haustier. „Und ich glaube, gerade Wiener haben eine besondere Affinität zu Tieren“, so der Autor.

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Artenvielfalt in Außenbezirken

Eine besonders große Artenvielfalt findet sich in den Außenbezirken, und hier wiederum in den Gemeindebauten. Denn in den 1950er-Jahren, als Wien eine graue, vom Krieg gezeichnete Stadt war, übten exotische Tiere eine besondere Faszination aus. 

„Um Bildhauer zu unterstützten, haben diese Aufträge bekommen, in Gemeindebauten Tierskulpturen zu errichten“, erklärt Hofmann. So trifft man etwa im Gemeindebau in der Erdbergstraße auf die erwähnte Flusspferdmama. „Ein tierisches Familienidyll, ganz dem Geschmack der Nachkriegszeit entsprechend“, steht dazu im Buch.

Und entgegen anders lautender Gerüchte gibt es sehr wohl Kängurus in Österreich – und zwar in Favoriten: Versteckt im Strauchwerk neben einem Gemeindebau in der Troststraße wohnt seit den 1950er-Jahren ein Känguru, übrigens sogar mit einem Baby im Beutel.

Woher kam die Inspiration?

Doch wo fanden die Künstler die Vorbilder für ihre Werke – zumal bei älteren Skulpturen? Im Friedrich-Becke-Hof in Ottakring aus den 1920er-Jahren tummeln sich zum Beispiel Faultiere, Paviane und Schimpansen – keine dereinst (oder heute) in Wien heimischen Arten.

Im Stadtpark nahe der Weihburggasse wiederum findet sich seit 1953 eine drollige Pinguingruppe. Der Künstler kann sich seine Inspiration zumindest nicht im Tiergarten geholt haben: Dort zogen die Pinguine nämlich erst fünf Jahre später ein.

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Wer Modell stand, ist also nicht immer überliefert. Oft habe das Naturhistorische Museum (NHM) ausgeholfen, so Hofmann. Zum Beispiel beim Karl-Borromäus-Brunnen im dritten Bezirk aus dem Jahr 1909. 

Auf diesem wimmelt es nur so von Tannenzapfenechsen, Dornteufeln oder Blauzungenskinks. „Der Bildhauer Josef Engelhart hat diese Tiere natürlich nicht in der Natur studieren können“, so der Autor. Daher habe ihm das NHM Objekte zum Nachbilden zur Verfügung gestellt. Die Kragenechse etwa, deren Abbild auf dem Brunnen zu bewundern ist, wird heute noch im Museum aufbewahrt.

Geschichte mit Schmäh

Anekdoten und Hintergrundwissen, „immer basierend auf Fakten, aber auch mit ein bissl Schmäh“, solle das Buch bieten, sagen die Autoren. „Einfach Geschichte mit G’schichterln.“

Und es gibt noch viele mehr davon, etwa über den Katzenkönig von Simmering, der am Grab von Manfred Deix thront. Oder darüber, wo die meisten Giraffen, die größte Eule und der fröhlichste Elefant wohnen. Doch dazu empfiehlt sich ein Blick in „Tierisches Wien“ – ins Buch, oder auch in die Stadt, bei einem Rundgang ohne Handy.