Studie zeigt gespaltenes Verhältnis zu Zuwanderung in Wien
Die Integrationsdebatte ist eine, die mit Vorliebe auf Basis gefühlter Wahrheiten geführt wird. Um sie auf eine evidenzbasierte Ebene zu heben, ließ der zuständige Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) nun eine breit angelegte Studie durchführen. 1.000 Wienerinnen und Wiener, darunter 400 mit Migrationshintergrund, wurden vom SORA-Institut im Frühjahr zu ihrer Wahrnehmung des Zusammenlebens in Wien befragt (die Studie gibt es hier als PDF zum Download).
Die Ergebnisse? Zeichnen ein weit differenzierteres Bild, als es die politische Debatte vermuten lässt. So sagen 53 Prozent der Befragten, es gebe zu viel Zuwanderung in der Stadt. Übrigens auch 51 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund (dieser geringe Unterschied zwischen den Gruppen zieht sich durch viele Antworten).
Grundlegend zeigt sich: Je älter und je schlechter die ökonomische Position, desto größer die Skepsis. Und: Weniger als die Hälfte ist der Meinung, der Großteil der Zugewanderten sei gut integriert.
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Lokal funktioniert es
Gleichzeitig sind mehr als drei Viertel dafür, Menschen auf der Flucht Schutz zu bieten. Selbst unter jenen, die die Aufnahme Geflüchteter vorwiegend problematisch empfinden, sind es kaum weniger.
Auch funktioniert das Zusammenleben zwischen Zugewanderten und Alteingesessenen „weitaus besser, als oft kommuniziert wird“, betont Studienleiter Christian Glantschnigg – „vor allem im eigenen Grätzel“. So sagen bezogen auf ihre Nachbarschaft 65 Prozent, es funktioniere sehr oder ziemlich gut; bezogen auf ihren Bezirk und die ganze Stadt sinkt dieser Wert auf 58 bzw. 48 Prozent.
Der Kontakt mit Zugewanderten ist eine alltägliche Erfahrung – und beeinflusst die Wahrnehmung. Am Arbeitsplatz haben 80 Prozent zumindest wöchentlich Kontakt, in der Freizeit bzw. der Nachbarschaft sind es immerhin noch jeweils an die 60 Prozent. Je mehr Freizeitkontakte zu Zugewanderten bestehen, desto besser wird auch das Zusammenleben bewertet.
Faktoren für gelungene Integration
Generell wird Zuwanderung mehrheitlich als Bereicherung empfunden, insbesondere kulturell-kulinarisch und ökonomisch. So sagen fast zwei Drittel, es brauche Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig können die Wienerinnen und Wiener klar benennen, was es ihrer Meinung nach für eine gelungene Integration braucht: nämlich Deutschkenntnisse, Toleranz und Erwerbstätigkeit.
Was nimmt der Integrationsstadtrat nun aus diesen Ergebnissen mit?
In erster Linie ein Gefühl der Wut. Er sei „echt angefressen auf die rechten Parteien ÖVP und FPÖ, die diese Stadt ganz bewusst spalten“, schimpfte Wiederkehr.
Kritik an ÖVP-Blockade
Insbesondere auf die „verantwortungslose Desintegrationspolitik“ der Volkspartei schoss sich der Neos-Chef ein: Diese gieße nur mehr Öl ins Feuer und blockiere im Bund gleichzeitig für Wien wichtige Maßnahmen. Er fordere daher die „Achse der Unwilligen“ – Integrationsministerin Susanne Raab, Bildungsminister Martin Polaschek und Innenminister Gerhard Karner – auf, „endlich zu handeln“, so Wiederkehr.
Konkret brauche es ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, die Möglichkeit verpflichtender Sommer-Deutschkurse für Kinder – und mehr Polizei. Seit 2002 sei Wien um 400.000 Menschen gewachsen, die Zahl der Beamten jedoch nur von 7.200 auf 7.400. Angesichts dessen sei es „zynisch“, jetzt Sicherheitsprobleme zu kritisieren.
Zudem brauche es ein Zurückdrängen der irregulären Migration auf EU-Ebene. In seinem eigenen Einflussbereich verwies Wiederkehr auf die „ausgezeichnete Arbeit“ der MA 17, gestand aber gleichzeitig Integrationsprobleme in der Stadt ein – und forderte einen allgemeinen Ethikunterricht, um hier gegenzusteuern.
ÖVP kritisiert Integrationsversagen
Die solcherart kritisierte ÖVP hat die Studienpräsentation eher ratlos zurückgelassen, wie die Volkspartei in einer Reaktion wissen ließ: "Auch heute hat man wieder gesehen, dass Probleme in Wien weiter negiert werden. Erneut hat es Stadtrat Wiederkehr verabsäumt zum Integrationsversagen in Wien echte Maßnahmen zu präsentieren", kritisierte Wiens Landesparteichef Karl Mahrer.
Die präsentierten Zahlen seien "alles andere als optimal". Wiederkehr versuche, sich in Beschwichtigungen zu retten, wälze die Verantwortung ab und suche die Schuld bei anderen, befand Mahrer.
Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp befand, dass "jede Form von Integration" gescheitert sei. Rot-Pink mache dort weiter wo Rot-Grün aufgehört habe, nämlich "mit ausgebreiteten Armen jeden Wirtschaftsmigranten in Wien aufzunehmen", konstatierte er. Doch auch die ÖVP kam nicht ungeschoren davon. Die österreichischen Grenzen seien immer noch löchrig wie ein Schweizer Käse und Abschiebungen von kriminellen Asylanten ein "Jahrhundertereignis", so Nepp.