Chronik/Wien

Runde der Kleinparteien zur Wien-Wahl: Kuschelnde Mäuschen

Zur Primetime saßen sich am Donnerstag die Spitzenkandidaten der im Gemeinderat vertretenen Listen im ORF bei der Elefantenrunde gegenüber.

Bereits zwei Stunden davor trafen sich die Vertreter vier kleiner Listen im schmucklosen Besprechungsraum eines Coworking-Space im vierten Bezirk zur Mäuschenrunde (Name selbst gewählt, Anm.). Nicht von mehreren Studiokameras professionell in Szene gesetzt, sondern von einer Handykamera, für den Facebook-Livestream.

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Das ungleich unglamourösere Ambiente war aber nicht der einzige Unterschied zu den Elefanten. Auch den wertschätzenden Umgang, den Martha Bißmann (Soziales Österreich der Zukunft – SÖZ), Can Gülcü (Links), Alexander Harrer (Volt Österreich) und Christoph Schütter (Wandel) miteinander pflegten, findet man in der Auseinandersetzung der Gemeinderatsfraktionen in dieser Form selten.

Auffallende Freundlichkeit

Das mag daran liegen, dass der Wahlkampf aller Kleinparteien aufgrund fehlender Strukturen und Finanzierung ein gehöriges Maß an persönlicher Opferbereitschaft erfordert, die man gegenseitig anerkennt; es mag auch daran liegen, dass sich die vier in vielen Diskussionspunkten grundsätzlich einig waren. Auffällig war es in jedem Fall.

Teilweise war der Umgang freilich so wertschätzend, dass es schwer war, die Unterschiede zwischen Links, SÖZ, Volt und Wandel herauszuhören – doch es gab diese Momente.

Etwa beim ersten Thema, dem Kampf gegen die Klimakrise. Harrer und Volt setzen auf eine stadtweite Citymaut, um den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen. Für Bißmann kann eine solche hingegen „nur ein Schritt“ in Richtung Verkehrswende sein, sie fordert vielmehr Investitionen in Elektromobilität und Wasserstoff-Brennstoffzellen, um Verbrennungsmotoren von der Straße zu bekommen.

Superblock Neubau

Für Wandel-Vertreter Schütter ein Holzweg, denn: „Mit Elektroautos ändert sich an der Verteilung der Verkehrsflächen gar nichts.“ Der Wandel, der nur bei der Bezirksvertretungswahl in Neubau antritt, will den 7. Bezirk hingegen zum Superblock machen – ein Konzept aus der Stadtplanung, bei dem ganze Viertel verkehrsberuhigt werden, indem der Durchzugsverkehr außen herumgeleitet wird.

Ein Konzept, das auch Links forcieren möchte. Für Gülcü lautet das Wort der Stunde darüber hinaus jedoch soziale Klimawende: „Das bedeutet, das wir überall schauen, dass Ausbeutungsverhältnisse aufhören“, von der Massentierhaltung bis zur Arbeitswelt.

Rechter Diskurs

Dass die Klimakrise vorrangig angegangen werden muss, darin waren sich freilich alle vier einig. Ebenso darin, dass sich der Diskurs beim Thema Migration bereits sehr weit nach rechts verschoben hat. Sogar „Menschenrechts-affine Parteien“ wie die Grünen hätten inzwischen „so viel Angst vor den Rechten“, dass sie nur mehr die Aufnahme von 100 Kindern aus dem Elends-Flüchtlingslager Moria auf Lesbos fordern würden, beklagte Gülcü die „absurde“ öffentliche Debatte.

Für Schütter ist es darum auch „extrem wichtig, dass wir die Aufgabe wahrnehmen, den Diskurs über Migration zu verändern“, denn die Bundesregierung würde nur die Probleme in den Vordergrund stellen. Das sahen auch die anderen so: „Integration verläuft so viel besser als dargestellt“, betonten auch Bißmann und Harrer.

Harrer versuchte – wie bei allen Punkten -, den europäischen Geist von Volt (die Partei versteht sich als paneuropäisch und fordert etwa EU-weite Listen für die Wahlen zum Europaparlament, Anm.) einzubringen. Er plädierte für eine EU-weite Mindest-Körperschaftssteuer von 15 Prozent, um mit den Einnahmen sozialpolitische Maßnahmen zu finanzieren. Denn, und auch darin waren sich alle vier einig: Viele wahrgenommene Integrationsprobleme seien in erster Linie soziale Probleme.

Wahlrecht nicht nur für Staatsbürger

Ebenfalls weitgehende Einigkeit herrscht bei der Forderung, das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft zu entkoppeln; nur Schütter stand hier etwas auf der Bremse. Man müsse sich das durchdenken, denn „ich will keine AKP im österreichischen Parlament sitzen haben“, gab der Wandel-Kandidat zu bedenken.

Richtig in Saft ging bei der Frage Gülcü: Es sei „ein Witz“, dass SPÖ und Grüne sagten, eine Wahlrechtsreform sei nicht machbar. Die Frage beschränke sich auch nicht nur auf das Wahlrecht, vielmehr werde man ohne Staatsbürgerschaft „als politisches Subjekt nicht anerkannt“. Diese sei jedoch so schwer zu bekommen, dass selbst viele gebürtige Österreicher die nötigen Auflagen nicht erfüllen könnten.

Darum sei es auch gut, so Gülcü, dass SÖZ antritt, „weil auch konservative Muslime eine Vertretung brauchen“. „Wenn ein Drittel nicht wählen darf, ist das keine parlamentarische Demokratie mehr“, sagte auch SÖZ-Spitzenkandidatin Bißmann.

Nach wie vielen Jahren Aufenthalt im Land jemand wahlberechtigt sein soll, darin schieden sich dann die Geister etwas. Links tritt etwa bereits nach einem Jahr Aufenthalt dafür ein, SÖZ wünscht sich das Wahlrecht nach fünf Jahren Aufenthalt. Warum? Das sei ein Mittelwert, so Bißmann, „entstanden aus dem Diskurs“ im Zuge der Programmerstellung.

"Relikt" Nationalstaat

Spannend wurde es dann auch noch einmal während der Schlussrunde, in der die Kandidaten sich gegenseitig Fragen stellen durften. Wie Links zur europäischen Integration stehe, wollte Harrer von Gülcü wissen. Der Nationalstaat sei „ein Relikt aus dem vorigen Jahrtausend“, antwortete der, doch als Linker müsse man auch mit der Institution EU kritisch umgehen. Erfülle diese doch den Zweck, „die eigenen Pfründe im globalen kapitalistischen Wettbewerb zu sichern“.

Gülcü wollte von Bißmann wiederum wissen, warum sich SÖZ nicht offen als wertkonservativ und wirtschaftsliberal bezeichne, wäre diese doch „eine prototypische Mitte-Rechts-Partei“. „Gegen Wirtschaftsliberalismus muss ich mich wehren“, kam die Replik, „wir sind für Postwachstum und Kreislaufwirtschaft und ganz weit weg von den Neos und der ÖVP“. Ansonsten sei SÖZ offen, alle schrieben am Programm mit „und darum sind wir manchmal links, manchmal nicht“.

Bißmann wurde in ihrer Frage an Schütter etwas grundsätzlicher: „Siehst du eine Zukunft für eine linke Sammelbewegung?“ Das Potenzial sei unbestritten, meinte der, seien die Menschen doch in einzelnen Punkten oft progressiver als sie sich generell einschätzen würden. Doch für eine echte Sammelbewegung bedürfe es „der richtigen Zeit, den richtigen Umständen und politischer Arbeit von ganz vielen Leuten“.

Schütters Frage an Volt-Vertreter Harrer ging schließlich in eine ähnliche Richtung wie die zuvor an ihn gerichtete: Warum Volt alleine kandidiere? Man hätte Kooperationen „überlegt und versucht“, so Harrer, doch Volt müsse als paneuropäische Partei sehr aufpassen, wo man wie ankäme: „Wir agieren nicht in einem Haifischbecken, sondern in 27.“ So würde unter politisch links in ehemals kommunistischen Staaten etwas ganz anderes verstanden als hierzulande. Außerdem müsse die Marke Volt den Menschen erst einmal nähergebracht werden, „und das ist sehr viel einfacher, wenn man alleine auftritt“.

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