Chronik/Wien

Pizzeria Anarchia: 1000 Polizisten gegen 40 Punks

Die Autonomen in der Mühlfeldgasse in Wien-Leopoldstadt waren perfekt vorbereitet. Im Inneren des Hauses hatten sie Fallen gebaut, Türen zugemauert und Wurfgegenstände gebunkert. In den Morgenstunden des Montags empfingen sie die zur Räumung anrückende Polizei mit Farbbeuteln, Böllern und sogar Urin. Insgesamt fünf Lkw-Ladungen Metall und Schutt wurde aus den Fenstern geworfen, sollte der Magistrat am Ende feststellen.

Bilder aus der Mühlfeldgasse:

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Die Autonomen hatten bereits im Mai von dem geplanten Räumungsdatum erfahren und entsprechend vorgesorgt. Die Fallen und Möglichkeiten zum Abseilen im Inneren des Hauses wurden offenbar in monatelanger Arbeit vorbereitet.

Beliebte "Hippies"

Es war der Höhepunkt einer Hausbesetzung, die seit Jahren für Diskussionen sorgt. 2012 waren die Punks vom Eigentümer ins Haus gelockt worden, um Altmieter rauszuekeln und die heruntergekommene Immobilie lukrativ zu verwerten (Details: siehe unten). Doch die Punks verbündeten sich mit den Anrainern. "Das waren mehr Hippies als Punks", berichtet ein Anrainer. "Die waren immer sehr nett und haben Feste organisiert." Niemand berichtete über unangenehme Erfahrungen mit den Hausbesetzern.

So galten den Autonomen auch am Tag der Räumung die Sympathien so mancher Schaulustiger, die sich an den Absperrgittern drängten. "Es ist sehr schade, dass sich der Rechtsstaat heute so für die Eigentümer ins Zeug legt. Denn die sind einfach Gfrastsackerln", sagte etwa Anrainer Reinhard Fischer (weitere Reaktionen: siehe unten).

Trotz des enormen Polizei-Aufgebots dauerte die Räumung bis gegen 21 Uhr. Nur mühsam konnten sich die WEGA-Beamten im Hausinneren zum dritten Stock vorkämpfen, immer wieder versperrten Barrikaden den Weg. Einige waren mit gefährlichen Fallen versehen. Im Erdgeschoß etwa hatten die Punks eine zwei Meter tiefe Fallgrube gegraben. Auch zugeschweißte Türen waren so gesichert, dass Kühlschränke herunterstürzen, wenn sie geöffnet werden.

Um 18:30 Uhr dann eine kurze Überraschung: Die Polizei traf im dritten Stock auf nur drei Personen, sie wurden festgenommen. 16 Besetzer seilten sich unterdessen von der Polizei unbemerkt in die Pizzeria Anarchia ins Erdgeschoß ab und versteckten sich dort. Wie sie das genau schafften,war zunächst unklar. Erst als die Polizei mit dem Panzer auch die Tür der Pizzeria aufbrach, wurden die Besetzer entdeckt. Sie wurden wegen zahlreicher Delikte festgenommen, etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung.

Schon in den Mittagsstunden wurden mehr als 20 Aktivisten abgeführt, die sich vor dem Haus versammelt hatten.

Einer der Anrainer zeigte Verständnis für die Aktivisten. Reinhard Fischer sagte zum KURIER: "Meine Sympathie haben die Besetzer. Der Vermieter hat sie ein halbes Jahr gratis wohnen lassen, um die Altmieter zu vergraulen. Jetzt, wo sie ihren Zweck nicht erfüllt und sich mit den Altmietern solidarisiert haben, will er sie loswerden. Ich finde es schade, dass sich der Rechtsstaat so ins Zeug legt für so ein Gfrastsackl von Vermieter."

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EinAktivist, der anonym bleiben will, äußerte sich folgendermaßen: "Die Häuser sind zum Wohnen da, es soll nicht damit spekuliert werden. Es ist wichtig, dass es Freiräume ohne Konsumzwang gibt, in denen Solidarität herrscht."

Kritik und Lob für Polizeieinsatz

Der grüne Gemeinderat Klaus Werner-Lobo war vor Ort und kritisierte das Großaufgebot. Es diene wohl allein dazu, mögliche Sympathisanten abzuschrecken.

Kritik am überbordenden Polizeieinsatz kam auch von Georg Prack, Landessprecher der Grünen Wien. "Der Polizeieinsatz steht aus meiner Sicht in keinem Verhältnis zum Anlass. Hunderte PolizistInnen, ein Panzerwagen, Wasserwerfer, großräumige Absperrungen und Platzverbote verunsichern die lokale Bevölkerung. Dabei wäre Deeskalation angebracht", kritisierte Prack in einer Aussendung.

Paul Hefelle, ÖVP-Bezirksrat in der Leopoldstadt, stellte sich indes hinter die Polizei. Man könne diese nicht zum Sündenbock stempeln. Auch wenn der jetzige Eigentümer das betreffende Haus als Spekulationsobjekt erworben haben sollte, hätten sich die Aktivisten auf den Deal eingelassen. Nun hätten die Besitzer die Räumung vor Gericht durchgefochten und damit sei diese rechtskräftig.

Der Leopoldstädter FPÖ-Obmann, Landtagsabgeordneter Wolfgang Seidl, erklärte via Aussendung zum Polizeieinsatz: "Viel zu lange hat der linke Pöbel in der Mühlfeldgasse 12 hausen, die Gegend verdrecken und die Lebensqualität der Anrainer zerstören dürfen."

Ein Polizeihubschrauber, der grüne Panzer, ein Wasserwerfer und Polizisten aus fast allen Bundesländern. Wie viele genau, darüber schweigt die Polizei. "Mehr als 1000", sagte Polizei-Sprecher Roman Hahslinger. In einem angeblichen Dokument des Innenministeriums, das Falter-Journalist Florian Klenk veröffentlichte, ist von von 1700 Beamten die Rede. Das scheint allerdings etwas zu hoch gegriffen gewesen sein.

Die Räumung des Mietshauses war jedenfalls eine teure Angelegenheit. Wie teuer genau, das wird sich erst in einigen Tagen zeigen. Beim Akademikerball etwa waren 2000 Polizisten zum Schutz der 1500 Ballgäste vor Ort. 600.000 Euro betrugen die Personalkosten (Überstunden).

400.000 Euro sollen die Kosten für Hubschrauber und Spezialfahrzeug beim Einsatz im Jänner betragen haben. Der Akademikerball-Einsatz kostete etwa eine Million Euro, eine Hausräumung in der Lindengasse mit Panzer hingegen 85.000 Euro. Dort waren rund 250 Beamte im Einsatz, also weit weniger.

Die Hausräumung am Montag wird dazwischen liegen, bei geschätzen 300.000 bis 400.000 Euro.Das genaue Ergebnis werden wohl aber die nach solchen Einsätzen üblichen parlamentarischen Anfragebeantwortungen in einigen Monaten ergeben.

Mit einem neuen Hauseigentümer fing die Geschichte in der Mühlfeldgasse 12 an: 2011 hatte der jetzige Besitzer das Zinshaus im zweiten Bezirk gekauft; vermutlich für Spekulationsgeschäfte. 17 der damals 20 Mieter zogen aus – sie warfen dem neuen Eigentümer Mobbing vor. Die drei übrig gebliebenen Mieter blieben hartnäckig. Deshalb dürften die Eigentümer Ende 2011 die Punks ins Haus geladen haben. Und das zu besten Konditionen: Sie zahlten eine symbolische Monatsmiete über einen Euro.

Doch die Punks solidarisierten sich mit den Bewohnern. Im Sommer 2012 lief der Vertrag der Anarchos mit der Immobilienfirma aus, eine Räumungsklage wurde eingebracht und ging bei Gericht durch. Der erste Versuch einer Räumung wenig später scheiterte aber am Widerstand der Bewohner. Seither ist das Haus besetzt.

Hinter der Firma stecken zwei Untrenehmer, die in Wien über eine Vielzahl von Firmen mehrere Immobilien besitzen.

In vielen davon kam es in den vergangenen Jahren zu massiven Beschwerden der Mieter (siehe Bericht ganz unten). Etwa in einem Zinshaus in der Siebenbrunnengasse (5. Bezirk). Dort wurden die Bewohner vor zwei Jahren mit haltlosen Räumungsklagen drangsaliert. Mitten im Winter fehlten plötzlich die Gangfenster, Türen wurden mit Neonazi-Symbolen beschmiert, einzelne Wohnungen als Massenquartiere weitervermietet.

Ähnliche Zustände herrschten auch in einem Zinshaus in der Märzstraße (15. Bezirk). Insgesamt dokumentierte damals das Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) 16 Zinshäuser im Eigentum der beiden Geschäftsleute, in denen es zu massiven Problemen gekommen war.

Einen Anstieg derartiger Machenschaften kann man im Büro Ludwig nicht feststellen. "Wir versuchen jedenfalls, betroffenen Mietern jegliche Unterstützung zukommen zu lassen." Dazu gehöre etwa die Bereitstellung von Anwälten. Sollten fragwürdige Methoden von Eigentümern bekannt werden, würden die Behörden einschreiten, um so den Spekulanten auf die Finger zu klopfen, betont man im Büro Ludwig.

Die Causa um zwei Wiener Zinshaus-Besitzer zieht immer weitere Kreise. Mieter aus 16 Häusern fühlen sich von ihnen drangsaliert.

Weiter rätselhaft bleibt die Ursache des Großbrandes in der Heinestraße 12 (2. Bezirk) Anfang September. Wie berichtet, waren an dieser Adresse rund 30 rumänische Bettler in einem Massenquartier untergebracht. Doch während die Polizei noch fieberhaft nach der Brandursache sucht, treten brisante Details rund um die Eigentumsverhältnisse des Hauses zutage. Über die Firma Atera gehört das Haus zwei Wiener Geschäftsleuten.

Keine Unbekannten: Immer wieder kommt es in den Zinshäusern der beiden Unternehmer zu massiven Beschwerden der Mieter – der KURIER berichtete zuletzt über drei Fälle.

Der Vorwurf der Bewohner: Mit wüsten Methoden wird versucht, die Altmieter aus dem Haus zu drängen, um die Gebäude zu sanieren und die Wohnungen gewinnbringend zu verkaufen.

"Die Vorkommnisse sind fast immer deckungsgleich", heißt es im Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig.

Beispiel Brigittagasse 14 (20. Bezirk): Die Bewohner des Zinshauses haben unter Zuständen zu leiden, die frappant an jene in der Heinestraße erinnern. Zufälligerweise wurden auch hier in zwei Wohnungen Massenquartiere für rumänische Bettler eingerichtet. Im Haus stapelte sich der Müll, hinzu kam noch Ungezieferbefall, berichten Bewohner.

Mieter, die dennoch ausharren, wurden mit Kündigungsklagen eingedeckt. Diese seien aber "offensichtlich ungerechtfertigt", heißt es im Büro Ludwig.

Alles nur Zufälle? Schwer zu glauben angesichts der Zahl an Häusern im Besitz der beiden Geschäftsleute, aus denen ähnliche Pro­bleme bekannt sind. Betroffen sind nicht weniger als 16 Häuser. Über Firmen mit unterschiedlichen Namen tauchen immer wieder zwei Geschäftsleute als derzeitige oder frühere Eigentümer auf ( siehe Grafik unten). Sie waren für keine Stellung­nahme erreichbar.

Mieter in den Häusern beschweren sich über massive Belästigungen durch Bauarbeiten, unangekündigte Besuche durch die Eigentümer oder Mittelsmänner, unverhohlene Drohungen, bis hin zu Gebrechen in der Gas- und Wasserversorgung, die ewig nicht behoben werden.

Gegenmaßnahmen

Doch wie können sich Betroffene wehren? "Wichtig ist, dass sie sich überhaupt bei uns melden", heißt es im Büro Ludwig. Im Kampf gegen Drangsalierungen und ungerechtfertigte Kündigungsklagen gibt es Unterstützung aus dem Rechtshilfe-Fonds. "Die meisten Fälle werden erfolgreich abgeschlossen." Nachsatz: "Natürlich brauchen die Mieter einen langen Atem."

Oft würden aber die Eigentümer klein beigeben, wenn man versucht, sie auf dem rechtlichen Weg zu zermürben.

Schwieriger gestaltet sich der Umgang mit Bettler-Massenquartieren. "Immer wieder haben wir es mit Gruppen rumänischer Bettler zu tun", heißt es im Büro für Sofortmaßnahmen, dessen Mitarbeiter auch in der Heinestraße vor Ort waren. "Per Gesetz gibt es keine Möglichkeit, dagegen einzuschreiten. Es sei denn, es ist Gefahr im Verzug." In Kooperation mit den Behörden aus den Heimatländern versucht man allerdings, an die Hintermänner zu gelangen.

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