Chronik/Wien

Nebenjob: U-Bahn-Fahrer

Routiniert pilotiert Michael Harrant die U2 in Richtung Seestadt. In einer lang gezogenen Linkskurve fährt er auf die Station Donaumarina zu,  dahinter ist deutlich die markante Donaustadtbrücke zu erkennen. Während Harrant den Zug abbremst, langsam zum Stillstand kommt und die Türen öffnet, schwärmt er vom realistischen Fahrgefühl.

Denn natürlich plaudert der 24-Jährige nicht mit dem KURIER, während er im Realbetrieb die Verantwortung für Hunderte Fahrgäste trägt. Wir befinden uns vielmehr in einem Trainings-Simulator der Wiener Linien in der Leopoldau. Seine Frühschicht auf der U1 hat Harrant kurz zuvor beendet, in den – beeindruckend realistischen – Simulator hat er sich nur zu Anschauungszwecken begeben und noch eine schnelle Runde auf der U2 gedreht.

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Warum gerade er?

Weil Harrant kein klassischer U-Bahn-Fahrer ist. Der gebürtige Niederösterreicher ist eigentlich Student im neunten Semester Bauingenieurwesen an der TU Wien, U-Bahn-Fahren ist für ihn nur ein Nebenjob.

Viel Verantwortung

Während seine Kommilitonen nebenbei kellnern, Flyer verteilen oder als Fahrradboten durch die Stadt flitzen, um sich zu finanzieren, chauffiert Harrant bis zu 900 Fahrgäste gleichzeitig zwischen Leopoldau und Oberlaa oder der Seestadt und dem Karlsplatz (bzw. momentan dem Schottentor) hin und her.

Seit einem knappen halben Jahr macht er das jetzt, bereut hat er es noch nie. „Die drei Monate Ausbildung waren schon sehr tough, es ist einfach sehr viel Neues“, erzählt er. „Aber dafür hat man am Ende das Vertrauen in sich selbst, dass man das auch kann.“ Nicht unwesentlich.

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Erfolgsmodell

Im Jahr 2019 haben die Wiener Linien zum ersten Mal Teilzeitkräfte im U-Bahn-Netz eingesetzt, mittlerweile üben 25 der insgesamt rund 500 Fahrerinnen und Fahrer den Beruf nicht in Vollzeit aus – die Hälfte davon Frauen, worüber man sich bei den Wiener Linien besonders freut. Zwölf weitere werden aktuell gesucht, die Ausbildung für sie wird am 27. Juli beginnen (siehe Kasten unten).

Ausbildung

Diese besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil und dauert drei Monate.

Arbeitszeit

Mindestens zwölf müssen, maximal 30 Stunden pro Woche dürfen die Teilzeitkräfte fahren. Eingesetzt werden sie nur von Montag bis Freitag in den Stoßzeiten.

Gehalt

2.300 Euro brutto verdient man in etwa inklusive Zulagen auf 37,5 Stunden gerechnet. Während der Ausbildung erhält man knapp 2.000 Euro.

Alle weiteren Informationen zur Ausschreibung finden Sie hier.

Obwohl die öffentliche Ausschreibung noch nicht einmal eine Woche alt ist, sind bereits viele Bewerbungen eingelangt. In den vergangenen Jahren waren es jeweils Hunderte, diesmal ist nichts anderes zu erwarten.

Die formalen Voraussetzungen sind relativ niedrig: Bewerber müssen mindestens 21 Jahre alt und 1,60 Meter groß sein, müssen über ein gewisses Sehvermögen und einen Body Mass Index von maximal 30 verfügen. Wer eingeladen wird, muss unter anderem einen medizinischen Eignungscheck bestehen sowie die körperliche und psychische Eignung für den Fahrdienst nachweisen.

Viele Studierende

In der Praxis sind es nicht nur, aber vor allem Studierende, die sich bewerben. Für Oliver Sponring, seit zehn Jahren Ausbilder in der „U-Bahn-Fahrschule“, keine zwingende, aber eine gute Voraussetzung: „Den Studierenden fällt oft das Lernen leichter, das merkt man.“

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Auch der Großteil der 25 aktiven Teilzeitkräfte studiert wie Michael Harrant, längst jedoch nicht alle ein technisches Fach. Auch angehende Juristen und Lehrer unterstützen die Stammkräfte von Montag bis Freitag in den Stoßzeiten. Harrant ist als Student eines technischen Fachs jedoch doppelt zufrieden mit seiner Entscheidung.

Nicht nur bietet ihm sein spezieller Nebenjob eine Berufsausbildung, sondern auch punktuelle Überschneidungen mit seinem Studium. Auch nach seinem Abschluss kann sich Harrant gut vorstellen, an anderer Stelle im Unternehmen zu bleiben.

Kein Wunder, dass er den Job nur weiterempfehlen kann. „Es ist eine coole Herausforderung und gut bezahlt.“ Und das ist ja auch nicht ganz unwichtig.