Klima-Demo sorgt für Rekordzahlen in Österreich
Von Bernhard Gaul
„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut.“ Ja, laut sind sie wirklich, die tausenden Schüler und vielen Erwachsenen, die sich an diesem Global Earth Strike-Tag in Wien vor dem Westbahnhof versammeln. Ganze Schulen dürften geschlossen gekommen sein, um sich dem Friday-for-future-Protest in Österreich anzuschließen. Nicht zu übersehen sind auch die Kleinsten, nicht wenige Volksschüler sind gekommen, als auch viele Eltern mit Kinderwägen. Und viele Frauen und Männer in weißen Kittel, die „Scientists for future“, nehmen teil, auch ein „Architect for future“ ist zu sehen.
An diesem Höhepunkt der „global week for future“ finden in elf Gemeinden Veranstaltungen statt, in Wien wurde angesichts des erwarteten Andrangs ein Sternenmarsch organisiert, vom Praterstern, dem Zentralbahnhof und dem Westbahnhof starten die Protestmärsche pünktlich um fünf vor zwölf Uhr mittags.
Begleitet werden die Züge von sehr, sehr viel Polizei, die Exekutive begleitet aber nur in normaler Arbeitskleidung die Demonstranten, die Riot-Ausrüstung bleibt in den Fahrzeugen.
Derweil am Heldenplatz vor der Hofburg, wo später die Abschlusskundgebung sein wird, proben die Sängerknaben schon stimmungsvolle Umweltschutzlieder, die Science-Busters machen sich bereit und die Bands Paenda und Dunkelbund führen noch rasch einen letzten Soundcheck ab. Gegen 14 Uhr ist es hier noch sehr ruhig.
Zur gleichen Zeit treffen die Demo-Züge am Karlsplatz aufeinander. Achtzigtausend Menschen wird die Polizei später zählen. Der Zwischenstopp hat den Sinn, auch auf das Klimavolksbegehren aufmerksam zu machen, Unterstützungsunterschriften werden noch bis Ende des Jahres gesammelt. Überehrgeiziges Ziel der Sprecherin des Volksbegehrens, Katharina Roggenhofer: Alle sechs Millionen Wahlberechtigten sollen unterschreiben.
Die Demos sind laut und bunt- und durchaus humorvoll, wenn man auf die vielen Schilder und Transparente blickt, die gebastelt wurden: „Wäre heute Samstag, wäre ich nicht hier“, steht da, oder „Dinosaurier dachten auch, sie hätten noch genug Zeit“, oder „Fällt Entscheidungen, nicht Bäume“, oder „Dieses Schild ist genau so erbärmlich wie unsere klimaschutzpolitik“ oder „Füße sind wie Autos, nur besser“.
Kurz vor 15:30 hat die friedliche Stille am Heldenplatz ein Ende, lautstark machen sich vom Ring, der für den Autoverkehr gesperrt ist, die ersten Demonstranten durch Sprechchöre bemerkbar. „What do we want“, schallt es von der Bühne, „Climate justice“, rufen die Demonstranten zurück. Immer und immer wieder.
Katharina Roggenhofer ist es dann auch, die eine politische Rede hält: „Das richtet sich jetzt an die Politik“, beginnt sie. „Ihr habt versagt.“
Versagt habe die Politik, weil das Problem Klimaschutz seit 30 Jahren klar sei, bisher aber nichts geschehen ist. Tatsächlich verzeichnete Österreich 2018 einen Treibhausgas-Ausstoß, der gleich hoch war wie 1990. „Ihr habt uns im Stich gelassen. Aber wir werden euch auf die Finger schauen, ihr werdet uns nicht ignorieren können.“ Und die Menschen sollen bei der Wahl am Sonntag auch an den Klimaschutz denken. Viel Applaus.
Plötzlich entzückte „Werner“-Rufe in der Menge. Werner Kogler, Spitzenkandidat der Grünen, ist mit seiner grünen Sonnenbrille vorbeigekommen. Er schüttelt Hände, kommt den Bitten für Selfies nach. Auf die Bühne geladen wird er nicht, kein Politiker.
Stattdessen haben die „Fridays“ einen besonderen Gast als Hauptredner eingeladen. Kein Popstar, kein Schauspieler, sondern ein Wissenschafter wird für einen würdigen Abschluss sorgen: Gottfried Kirchengast, Professor für Geophysik und Klimaforschung, Leiter des Wegener-Centers der Uni Graz und einziges wissenschaftliches Mitglied des Nationalen Klimakomitees.
Kirchengast hatte im Juni dem KURIER ein eindrucksvolles Interview gegeben, in dem er seinen großen Unmut über die Bundespolitik und die verpassten Chancen für effektiven Klimaschutz anprangerte („Alles nur politische Ausreden“).
„Der Wissenschaft geht es immer auch um Werte wie Gemeinwohlorientierung, Fairness, Menschenrechte, Ausdauer und Beharrlichkeit“, beginnt der Forscher, „deswegen stehe ich hier.“
Dann verweist er auf die 24 Klimafakten, die österreichische Forscher gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz publiziert haben.
Warum er das erzähle, fragt er? „Weil die Anliegen der Fridays For Future, weil die Anliegen der jungen Menschen berechtigt sind, auf Basis gesicherter wissenschaftlicher Fakten.“
Dann spricht er mit ernster Stimme weiter: „Ich bin einer der wenigen Österreicher, der Zeuge des Klimawandels ist. Mit meiner eigenen Hände Arbeit haben ich unzählige Daten analysiert, von Satelitten und den Messungen in den Ozeanen. Diese Zunahme von Wärmeenergie in der Luft und in den Meeren kann ich sehen. Deshalb müssen wir zu dem Punkt kommen, dass die Emissionen kontinuierlich sinken. Denn ich habe keinen Sand mehr, in den ich meinen Kopf stecken kann.“
Er versuche das auch gar nicht mehr. „Ich stelle aufrecht mit erhobenen Kopf und sage, wir können, wir wollen und wir müssen das schaffen. Wir werden uns aus der fossilen Gefangenschaft befreien.“
Kirchengast geht dann kurz auf den Klimaschutzplan ein, den dutzende Wissenschaftler über Sommer erstellt haben. „Da bitte ich Sie, schauen Sie sich die ersten drei Kapitel an, besonders das zweite, denn darin ist unsere Vision für Österreich enthalten.“
Und mit großer Begeisterung ruft er dann noch: „Sollte ich das erleben dürfen, treffen wir uns alle wieder am 15. Mai 2055, und wir werden dann rufen können: Österreich ist frei von Treibhausgas-Emissionen.“