In den Urlaub mit der S-Bahn
Von Nina Oezelt
In Wien gibt es eine Bahn, die Stadt und Umland verknüpft: die Schnellbahn. Ihre Stammstrecke zwischen Meidling und Floridsdorf ist die am meisten befahrene Bahnstrecke Österreichs. 700 Züge fahren dort momentan täglich. Dank kräftiger Investitionen sollen es bald 900 sein – die S-Bahn soll dann annähernd so dicht getaktet sein wie die U-Bahn. Trotz alldem ist die Schnellbahn vielen Wienern immer noch suspekt. Wohl mit ein Grund dafür: Wo die zehn S-Bahnen ab- und hinfahren, ist nicht so leicht zu verstehen.
Dabei sind die Züge äußerst praktisch: Immerhin bringen sie die Fahrgäste schnell ins Grüne – mit der S-Bahn kann man sich quasi auf Tagesurlaub begeben. Für Beginner empfiehlt sich ein Start am Westbahnhof. Hier fährt nur eine S-Bahn los: die S50.
Der angepeilte Bahnhof entscheidet über den Preis. Innerhalb des Stadtgebiets müssen Besitzer von Wiener-Linien-Tickets keine S-Bahn-Karte lösen. Sobald man die Stadtgrenze passiert, zahlt man auf: Nach Neulengbach – eine der Endstationen der S50 – und zurück zahlt man zum Beispiel 14 Euro. Der Zug fährt pünktlich von Gleis 1 ab. Er ist neu, leer und klimatisiert. Luxuriös viel Platz hat man für die Beine. Schon nach dem ersten Stopp in Penzing wird die Aussicht grüner und grüner. Hier wird das Ticket kontrolliert.
S50 „Unter Purkersdorf“
Die Schaffner kennen die S-Bahn gut. Sie empfehlen, in Unter Purkersdorf auszusteigen. Dort gebe es einen Kletterpark. Nach nur 15 Minuten Fahrt ist man dort: Beim Bahnhof fällt eine Baustelle in den Blick. „Man plant ein Stadtquartier, der Bahnhof wird vergrößert“, sagt ein Passant.
Der Schaffner hat sich geirrt: Der Kletterpark befinde sich in Untertullnerbach (eine andere S-Bahn-Station), klärt der Mann auf. Bei Wolf in der Au, einige Haltestellen davor, gebe es außerdem eine Sommerrodelbahn. Für Unter Purkersdorf hat der Passant aber auch einen Tipp: Er zeigt auf einen Wald. Nur fünf Gehminuten von der Station entfernt führt ein Weg hinein – erholsam bei heißen Temperaturen, laut Spaziergängern führt er zum Buchberg. Weiter auf der S-Bahn-Reise heißt es vorerst: Bitte warten!
Die nächste S-Bahn kommt in nur 40 Minuten. Genug Zeit, darüber nachzudenken, warum die S-Bahn in Wien im Gegensatz zur U-Bahn so ein Fremdkörper ist. Beide haben denselben Ursprung: Sie entstanden aus der Stadtbahn, die 1898 in Betrieb ging. Aus ihr entwickelten sich Teile des U-Bahn- und S-Bahn-Netzes.
Was fehlte, war und ist eine gemeinsame Kommunikation. Die U-Bahnen gehören zu den Wiener Linien, die S-Bahn zu den ÖBB. Während die U-Bahn auf Instagram, Twitter oder Facebook berühmt ist und sogar auf T-Shirts und Socken vermarktet wird, scheint die Schnellbahn als Marke nicht zu existieren. Dazu kommt die undurchschaubare Nummerierung: Auf die S4 folgt etwa die S7. 2013 versuchte man vergeblich, das Nummernsystem zu vereinfachen. Die Linienanzahl wurde halbiert. Weiters wenig hilfreich: Die Endstationen in oft unbekannten Orten. Auf dem Fahrplan der S1 ist die tschechische Stadt Breclav als Endhaltestelle eingezeichnet. Um tatsächlich dorthin zu kommen, muss man aber in den Regionalzug umsteigen.
1962 eröffnet
Vor 67 Jahren beauftragte Karl Waldbrunner, damaliger roter Verkehrsminister, die ÖBB mit der Konzeption der Wiener Schnellbahn. 1962 wurde sie eröffnet
Zehn Linien
Es gibt zehn S-Bahn-Linien (S1, S2, S3, S4, S7, S40, S45, S50, S60, S80), welche in Wien fahren und die Stadt mit Niederösterreich und dem Burgenland verbinden
S-Bahn-Stammstrecke
Die 13 Kilometer lange Strecke mit zehn Stationen ist die meistbefahrene Bahnstrecke Österreichs. Die Route: Floridsdorf, Handelskai, Traisengasse, Praterstern, Wien-Mitte, Rennweg, Quartier Belvedere, Hauptbahnhof, Matzleinsdorfer Platz (bis 2022 gesperrt), Meidling
Fahrgäste
Insgesamt waren es im Jahr 2020 64,5 Millionen Fahrgäste im Nahverkehr in Wien und ca. 300.000 Fahrgäste pro Tag.
Die Bezeichnung
Die heutige Linienbezeichnung der S-Bahnen stammt es aus den 90er-Jahren, davor gab es lange keine speziellen Liniensignale (Linienbezeichnungen). Da es für die Linien der Stammstrecke nur einen Südast (Südbahn) gab, hat man fixe Liniennummern nach dem befahrenen Nordast vergeben (S1 Nordbahn, S2 Laaer Ostbahn, S3 Nordwestbahn). Die S-Bahn Richtung Flughafen Wien S7 fuhr zudem ausschließlich ab Wien Nord ab, heute Wien Praterstern. Seit dem Fahrplanwechsel 2013 hat man das Liniensystem der Wiener S-Bahn vereinfacht und die Anzahl der vorhandenen Linien wurde halbiert: Die Linien S1, S2, S3 und S7 wurden beibehalten, während die Linienbezeichnungen S5 (nach Absdorf-Hippersdorf, jetzt S4), S6 (Pottendorfer Linie, jetzt S60), S9 (Südbahn, jetzt S3 bzw. S4) und S15 (Westbahn, jetzt S80) nicht mehr verwendet werden.
S45 „Wien Hütteldorf“
„Fahren sie doch zur Burg Kreuzenstein, das ist auch an einer S-Bahn-Station“, empfiehlt ein Herr am Bahnhof Unter Purkersdorf. „Die ist spannend, wie im Mittelalter“. Dazu braucht es zunächst die S50 – endlich fährt der Zug ein. Die nächste Station Wien Hütteldorf ist bekannt bei Rapid- und Fußballfans. Hier befindet sich das Allianz-Stadion. Umsteigen kann man hier auch: von der S50 in die S45 – die sogenannte Vorortelinie. Sie wurde – gemeinsam mit der S1 im Jahr 2017 in den Netzplan der Wiener Linien aufgenommen. Die S45 (Handelskai-Hütteldorf) ist hellgrün eingezeichnet, die S1 (Meidling–Floridsdorf) wurde altrosa eingefärbt.
S3 „Spillern“
Um zur Burg zu gelangen, braucht man aber die S3. Dafür fährt man mit der hellgrünen Linie von Hütteldorf bis zum Handelskai. Auf dem Weg dorthin genießt man Wien von oben. Man sieht die von Otto Wagner gestalteten Stationen: Ottakring, Gersthof, Hernals. In Heiligenstadt fährt man beim Karl-Marx-Hof vorbei. Der Handelskai ist das Paradies für S-Bahn-Fahrer. Hier gibt es fast alle Linien – für Anfänger ist das eher kompliziert. Nach weiteren 40 Minuten Wartezeit kommt die richtige S3. Denn nicht alle Züge mit dieser Nummer fahren nach Kreuzenstein.
Als sich beim Blick aus dem Fenster so etwas wie Urlaubsgefühl einstellt, kommt auch schon der Schock: Der Zug ist bereits an der Station mit der Burg vorbei. Nächster Halt: Spillern. Da die Bahn zurück nach Kreuzenstein erst in 40 Minuten kommt, kann man sich hier gleich umsehen. Auf einem Schild auf dem kargen Bahnhof steht: „Auteich“. Bei gefühlten 30 Grad im Schatten kommt das gelegener als eine Burg. Nach 15-minütigen Fußweg folgt die Erlösung: Der geheime Auteich ist ein perfekter Ausklang für den S-Bahn-Urlaub.