Chronik/Wien

"Grätzl Art Open": Spazierend die Kunst im Bezirk erleben

Die Begeisterung des Hausbesitzers in der Löhrgasse 9 hielt sich angeblich in Grenzen, als 2015 ein Kollektiv junger Künstler das Erdgeschoß und den ersten Stock seines Zinshauses in Rudolfsheim-Fünfhaus mieten wollte. Die aufstrebenden Kreativen blieben hartnäckig und bekamen schließlich den Zuschlag. Heute befindet sich in der ehemaligen Klaviermanufaktur mit "Studio Walls" auf 400 Quadratmetern das größte Gruppenatelier des Bezirks. 29 Künstlerinnen und Künstler gehen dort täglich ihrer Arbeit nach. Zahlreiche weitere sind es im restlichen Grätzl. Rund 100 davon öffnen kommenden Samstag beim "Grätzl Art Open" kostenlos ihre Studios für die Öffentlichkeit.

Für Veranstalter Peter Hörburger ist "Studio Walls" nur eines von vielen Paradebeispielen im Bezirk, das zeigt, wie "Kunst für alle" die Nachbarschaft bereichern kann: "Die Künstlerinnen und Künstler in dem Gemeinschaftsatelier sind um ein gutes Auskommen mit den Nachbarn bemüht. Und unter diesen finden sich dafür immer mehr Fans derer Werke."

Diese Symbiose hatte Hörburger auch im Kopf, als er den Atelierspaziergang vor vier Jahren mit seinen Mitorganisatoren ins Leben rief: "Wir waren damals mitten in der Corona-Zeit, der Lockdown gerade zu Ende. Für ein Grätzlfest war es noch zu früh, aber wir wussten, bei uns in der Gegend gibt es coole Kunstschaffende." Diese sollten vor den Vorhang geholt und gleichzeitig den Grätzlbewohnern Berührungsängste mit der häufig als elitär geltenden Kunst genommen werden.

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Blick hinter die Kulissen 

Die erste Ausgabe des "Grätzl Art Open" war ein Erfolg: "Das Wetter war schön und die Leute wollten wieder raus. Es war der perfekte Zeitpunkt, um die Werke der vielen im Grätzl ansässigen Künstler Interessierten zugänglich zu machen."

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Das Konzept ging laut Veranstalter auch deshalb auf, weil gerade junge Künstler bei ihren Events in der Regel in ihrer "Bubble" bleiben würden. Zum "Grätzl Art Open" hingegen kommen genauso Familien und ältere Menschen - die dann vielleicht auch etwas kaufen.

Durch die Veranstaltung treffen zudem Künstler mit unterschiedlichen Arbeitsweisen aufeinander. Monika Ritter, die ihr Studio seit zehn Jahren am Kriemhildplatz hat, gehört zu den etablierten Malerinnen im Grätzl. Sie beherrscht die alte Technik der Eitempera, bei der die Malmittel in Eigenproduktion aus Ei, Leinöl und Harz hergestellt werden, wodurch sich besonders leuchtende Farben ergeben. Gleichzeitig ist sie von den noch nicht so erfahrenen Kolleginnen und Kollegen in der Nachbarschaft angetan: "Es ist immer wieder erstaunlich, die neue Kunst zu sehen, die in unmittelbarer Nähe entsteht."

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Davon gibt es mittlerweile richtig viel. Zu den 24 Stationen, die sich am Samstag über den 15. Bezirk verteilen, kommen aber auch Menschen, "die mit Kunst gar nichts am Hut haben". Sie sind vor allem neugierig, was sich in den zahlreichen Souterrains und historischen Werkstätten heute verbirgt. "Wir haben eine ehemalige Klaviermanufaktur, eine Motorradwerkstatt oder eine Lusterschmiede aus den 1920ern, die allesamt kunstvoll zu Ateliers umfunktioniert wurden", schwärmt Hörburger. Letztere ist für ihn ein besonderes Schmuckstück. In der Hütteldorfer Straße 59 gelegen, bildet die frühere Lusterschmiede am Samstag um 15 Uhr den Ausgangspunkt des Atelierspaziergangs. Abends findet der Grätzlrundgang dort bei Musik, Essen und Getränken seinen Ausklang. 

Ein Grätzl für alle

Dass ausgerechnet Rudolfsheim-Fünfhaus so viele etablierte sowie aufstrebende Kreative anzieht, erklärt sich Hörburger so: "Der sechste und siebte Bezirk sind vielen zu teuer geworden. Der 15. bietet eine ähnlich gute Struktur und fühlt sich gerade rund um den Kriemhildplatz noch wie ein Dorf an. Viele hier, die ich kenne, kommen ursprünglich aus ländlichen Gegenden. Sie erkennen sich wieder." Hinzu käme, dass das Grätzl historisch gesehen viele Handwerksbetriebe und Produktionsstätten beherbergte. Diese Souterrain- und Erdgeschoßlagen wollte lange niemand haben, sie sind aber ideal für Galerien."

Für mich ist es wunderbar, wenn Menschen in meine Welt kommen. Kunst ist Diskurs und wenn ich bei meinem Gegenüber etwas in Gang bringe, ist das ein wahnsinnig schöner Moment.

Arnold Reinthaler
Bildhauer

Gentrifizierung wie in den hippen Bezirken auf der anderen Gürtelseite fürchtet Hörburger nicht: "Es handelt sich bei uns um einen ursprünglich bürgerlichen Konstrukt, der im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Da stehen jetzt Gemeindebauten dazwischen. Der 15. kann gar kein 7. Bezirk sein und das ist auch gut so. Der Hipster im Park gehört hier genauso dazu, wie die afrikanische Familie, die daneben Geburtstag feiert. Hier lässt sich niemand verdrängen."

Einer, den die vielen unterschiedlichen Besucher beim "Grätzl Art Open" jedes Jahr aufs neue faszinieren, ist Arnold Reinthaler. Der Bildhauer ist schon lange über die Bezirks- und auch Landesgrenzen hinaus bekannt. Das heißt aber nicht, dass er sich keine Zeit für seine "Nachbarn" nimmt. In seiner ehemaligen Kartonagenfabrik, in der heute Marmor- und Granitplatten seine Arbeitsfläche bilden, ist er bekannt dafür, dass er die Besucher mit "Wirtshausschmäh" über sein Kunstprojekte aufklärt. "Vom Geniegehabe mancher Kollegen halte ich nichts. Für mich ist es wunderbar, wenn Menschen in meine Welt kommen. Kunst ist Diskurs und wenn ich bei meinem Gegenüber etwas in Gang bringe, ist das ein wahnsinnig schöner Moment."

Reinthalers Karriere als Bildhauer zeigt, dass in Rudolfsheim-Fünfhaus nicht nur die Bewohner divers sind, sondern auch die Kunstschaffenden: Ob Malerei, Bildhauerei, Streetart, Druckformen, Schmuck  Tanz, Tatooart oder Fotografie - das kreative Angebot am Samstag kennt keine Grenzen. Mehr Infos: https://www.graetzlgalerie.at/