Chronik/Wien

Der Mythos von billigeren Privaten

Wien steht auch in Zeiten des Spardrucks und knapper Kassen zu seiner öffentlichen Wirtschaft und Grundversorgung für die Bevölkerung. Eine noch nicht veröffentlichte Studie, die dem KURIER vorliegt, untermauert die Bedeutung der Gemeinwirtschaft. "Jeder Euro, der jährlich in kommunalen Infrastrukturunternehmen an Wertschöpfung erwirtschaftet wird, bringt weitere 1,7 Euro an Wertschöpfung für die gesamte Volkswirtschaft", erklärt Studienautorin Agnes Streissler-Führer. Außerdem erhält jeder Job bei diesen Betrieben weitere 1,8 Jobs in der Region.

Streissler untersuchte im Auftrag des Verbandes der öffentlichen Wirtschaft und der Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) sowie des Städtebundes vier kommunale Unternehmen (Wiener Linien, Wien-Energie, Müllabfuhr MA-48 und die Wasserver- und -entsorgung). In diesen Bereichen sind direkt 18.600 Beschäftigte tätig, indirekt 34.300.

In den Krisenjahren ab 2008 konnte der Beschäftigungsstand weitestgehend stabil gehalten werden. "Die Gewinne kommunaler Unternehmen sind im Vergleich zu privaten Anbietern geringer", so Streissler-Führer. Dafür seien die Investitionsquoten höher, die langfristige Planung und die Nachhaltigkeit spielen eine wichtigere Rolle. Dies belegt auch eine WIFO-Studie aus 2010: Die Investitionen des Wiener Stadtwerke-Konzerns lösen eine jährliche Bruttowertschöpfung von rund 4,6 Mrd. Euro aus und sichern damit 62.000 Jobs.

Auf die Frage, ob Private die Dienstleistungen nicht billiger anbieten würden, antwortet Streissler-Führer: "Ich bin eine Anhängerin von Wettbewerb. Es ist aber ein Mythos, dass in der Daseinsvorsorge Private billiger wären. Im Gegenteil: Nur unter öffentlichem Einfluss können Preis, Qualität und Versorgung optimal ausgestaltet werden."

Alle Inhalte anzeigen

Das unterstreicht auch Vizebürgermeisterin Renate Brauner (SPÖ), zuständig für Finanzen, Wirtschaftspolitik und Wiener Stadtwerke. "Die öffentliche Wirtschaft hat die Aufgabe, die Lebensqualität aller zu maximieren. Wie gut das funktioniert, zeigt auch der Trend zur Re-Kommunalisierung in anderen Ländern." Von Privatisierung will Brauner nichts hören. "Gerade in der Krise investieren unsere kommunalen Unternehmen. Allein der U1-Ausbau nach Oberlaa sichert 16.000 Arbeitsplätze." Auch die Wasserversorgung zu privatisieren ist für Brauner ein "absolutes No-go. Die Wiener Hochquellleitung kommt nicht in private Hand." Wasser hat in Wien Verfassungsrang.

Privatisierung von Versorgern brachte vielen Städten Probleme

Die EU machte in den 1990er-Jahren, als der Binnenmarkt in Kraft trat, die Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft zum Prinzip. Das fördere den Wettbewerb und verspreche mehr Gewinn, lautete die Botschaft.

Großbritannien, traditionell angetan vom Freihandel, marschierte voran. In London wurde die Wasser- und Energieversorgung, die U-Bahn, die Abfallbeseitigung und Teile des Gesundheitssystems privatisiert. Paris, Berlin und andere Städte folgten. Wasserleitungen wurden an Unternehmen verkauft, in Stockholm übernahm ein chinesischer Betreiber den U-Bahn-Betrieb. Heute sind die Stockholmer sehr unzufrieden, die Kosten sind hoch, Teile des U-Bahnbetriebes wie die Reinigung hat die kommunale Verwaltung wieder übernommen.

Auch in anderen Städten gibt es ein Umdenken: Berlin will Anteile der Wasserwirtschaft zurückkaufen, Grenoble hat das schon gemacht, in London und Paris steigt die Unzufriedenheit der Konsumenten, das Wasser ist verschmutzt, weil Rohre nicht erneuert werden. EU-Umfragen ergeben, dass Konsumenten die öffentliche Grundversorgung bevorzugen.

In den 27 EU-Staaten tragen öffentliche Dienstleistungen 26 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU bei, das sind knapp 2500 Milliarden Euro. Mehr als 30 Prozent aller Beschäftigten in der EU, rund 64 Mio. Arbeitnehmer, haben einen Job bei diesen Dienstleistern. Die Investitionen der großen Netzinfrastrukturunternehmen (Elektrizität, Gas, Post, Telekommunikation, öffentlicher Verkehr, Bahn, Wasser, Müllabfuhr) machen jährlich 6,4 Prozent (1503 Mrd. Euro) der EU-Gesamtinvestitionen aus. Die Zahlen finden sich in einer Studie der EU-Kommission (Mapping the Public Services), die Mitte 2010 veröffentlicht wurde. Aktuellere Daten liegen nicht vor.

Kommunen: Die Dienstleister

Daseinsvorsorge Damit werden Dienstleistungen der kommunalen Wirtschaft bezeichnet, wie Personenverkehr, Wasser, Energie, Abfall ebenso Bildung, Gesundheit, Kultur und soziale Dienste.

VÖWG Vertritt Interessen der Betriebe und Einrichtungen, die im Eigentum, mit Beteiligung oder im Auftrag von Gebietskörperschaften Leistungen im Allgemeininteresse erbringen. Präsidentin ist Wiens Vizebürgermeisterin Brauner. Der VÖWG ist Teil der Europäischen Sozialpartner und hat Einfluss auf EU-Gesetze.