Calle Libre: Große Frauen beziehen Stellung vor der Studentenbude
Von Daniel Voglhuber
Stramme Corps-Studenten auf dem Weg zu ihrer Bude, beobachtet von sehr großen, sehr starken und sehr coolen Frauen. Spätestens bis 9. August machen sich weibliche Figuren aus den Pinseln und Spraydosen des Künstlerinnen-Kollektivs Ripoff Crew auf einer Mauer in der Mauthausgasse breit.
Eine feministische Wand gegenüber einem Ort der Männerbünde im fünften Bezirk, also. Genau solche Gegenpositionen sind es, mit denen sich Calle Libre (zu Deutsch: Freie Straße) in diesem Jahr unter dem Motto „Duality“ auseinandersetzt. Zum sechsten Mal nimmt sich das Street-Art-Festival ab heute, Samstag, der urbanen Kunst im öffentlichen Raum an.
Und es macht die Stadt wieder ein bisschen bunter, auch wenn Wien wegen der vielen legalen Wände ohnehin zu eine der Street-Art-Metropolen Europas zählt.
Die Veranstaltung macht die Stadt auch etwas ausgeglichener, wenn es um Werke der Street-Art-Künstlerinnen geht. Denn der Bereich ist durchwegs männlich dominiert. „Burschen wollen sich beweisen, es geht um Fame (also um Ruhm, Anm.)“, versucht Veranstalter Jakob Kattner eine Erklärung. Dazu komme, dass Street Art auch schon mal im illegalen Bereich stattfinde. Beim Calle Libre ist das natürlich nicht der Fall.
Subkultur oder Mainstream
Apropos illegal (oder nicht mehr): Street Art ist in den vergangenen Jahren massentauglich geworden beziehungsweise hat einen Platz in Galerien gefunden. Subkultur und Mainstream, Street Art im Verhältnis zur konventionellen Kunst – schon wieder Gegensatzpaare, mit denen man sich beschäftigt. Kritiker bemängeln, es handle sich manchmal nur um Behübschung.
„Wir wollen nicht nur provozieren“, sagt Kattner. Um kurz darauf zu sagen: „Street Art ist per se ein politischer Akt.“ Weil: Wände im öffentlichen Raum sollen nicht nur dem Verkehr oder der Werbung überlassen werden.
Auf Instagram
Und dann widmet man sich noch den Gegensätzen analog und digital: „Wenn Street Art in einem Bild auf Instagram auftaucht. Ist das dann noch Street Art?“, fragt Kattner.
Sollten sich Zweifel einstellen, sei geraten: Augen weg vom Bildschirm und sich das Ganze in echt anschauen. An 14 Orten kann man Künstlern in der Stadt bei der Arbeit zusehen, an Podiumsdiskussionen oder Workshops teilnehmen.
Die Festival-Eröffnung geht heute, Samstag, ab 18 Uhr im Wien Museum über die Bühne. Geführte Touren durch die Stadt gibt es am 4. und 9. August. Los geht es um 16 Uhr vor dem Wien Museum – keine Anmeldung nötig. Für Workshops muss man sich auf www.callelibre.at registrieren.
Street Art oder Graffiti? Das ist hier die Frage
Für die einen sind Graffiti-Schriftzüge pure illegale Schmiererei. Stichwort Puber, jener berühmt-berüchtigte Sprayer, der seine „Tags“ in ganz Wien hinterließ. Für die anderen ist Street Art eine herzige Leidenschaft für Bobos und Kunststudenten. Für wiederum andere sind Graffiti und Street Art ein und dasselbe.
Doch es gibt sie, die feinen und nicht unwichtigen Unterschiede: „Street Art will als Kunst wahrgenommen werden. Hier fließen auch politische Themen ein. Bei Graffiti geht es darum, seinen Namen zu verbreiten“, sagt Kunsthistoriker und Graffiti-Experte Stefan Wogrin. Bei letzterem stehe die Schrift im Vordergrund, Figuren seien hier Attribute zu den Lettern.
Graffiti war im Wien der 80er weit verbreitet – schon am Donaukanal, wo Sprayen zumindest geduldet war. „Ab 2005 kann man von einer Street-Art-Szene sprechen“, sagt Wogrin. Wobei die Werke noch nicht so groß und knallig waren. Da ging es darum, „neue Formen zu entdecken“. Das waren Sticker oder Schablonenwerke, wie sie Banksy bekannt gemacht hat.