Chronik/Wien

Gruselige Stadtspaziergänge: Auf den Spuren des morbiden Wien

Woran denkt man eigentlich, wenn man an der großen Douglas-Filiale in der Kärntner Straße vorbeispaziert?

An diverse Düfte vielleicht, an gar nichts womöglich.

Vermutlich aber nicht an irgendwelche Gräueltaten, die sich hier zugetragen haben könnten. Aber wo sich sonst Touristen mit Parfum eindecken, wurde einst eine Prostituierte ermordet.

In Wien hat so manche Sehenswürdigkeit eine düstere Geschichte. Und so manches – auf den ersten Blick unscheinbare – Gebäude wird durch seine düstere Geschichte überhaupt erst zu einer Sehenswürdigkeit gemacht.

So auch das ehemalige Warenhaus Whaliss in der Kärntner Straße 17. Dort, in der jetzigen Douglas-Filiale, befand sich im 19. Jahrhundert das Hotel „Zum Wilden Mann“, in dem auch Casanova verkehrt haben soll. 1878 wurde dort die besagte Prostituierte tot in ihrem Zimmer aufgefunden. Anna Balogh lautete ihr Name.

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Zu Schauplätzen von Morden wie diesem, ob geklärt oder ungeklärt, führen die Spaziergänge der Autorinnen Gabriele Hasmann und Sabine Wolfgang. In ihrem neuen Buch „Verbrecherisches Wien. Kriminalistische Stadtspaziergänge“ stellen sie 46 solcher Orte und ihre schaurige(n) Geschichte(n) vor. Zu den Tatorten führen zehn Spaziergänge durch 14 Bezirke.

Mord in der Oper

Wenn Gabriele Hasmann durch die Kärntner Straße geht, kennt sie all die Schaufenster – auf so manches zeigt sie dann auch und sagt verschwörerisch: „Hier könnte das gewesen sein.“

Bei der Staatsoper legt sie einen Stopp unter den Arkaden ein. Sie blickt durch die verschlossene Tür und erinnert an einen der spektakulärsten Fälle der österreichischen Kriminalgeschichte. Es ist einer der aktuellsten Morde im Buch, die alle zwischen dem 17. und 20 Jahrhundert stattfanden.

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Beim „Opernmord“ von 1963 tötete Josef Weinwurm in der Dusche der Staatsoper eine erst elfjährige Balletttänzerin mit 34 Messerstichen. Weinwurm galt als Frauenhasser, sein Opfer wurde während einer Vorstellung von Wagners Walküre entdeckt. 14.000 Personen wurden damals befragt – bis sich Monate später Weinwurm in einer Ansichtskarte an eine Zeitung als der „Mörder von der Oper“ vorstellte.

„Ich möchte, dass die Menschen mit anderen Augen durch die Stadt gehen“, sagt Hasmann. Neben den Morden gibt es ihrem Buch auch jede Menge über die Geschichte und Architektur Wiens zu erfahren. Skrupel, sich für die düsteren Seiten der Stadt zu interessieren und sich dabei dem Vorwurf

der Geschmacklosigkeit auszusetzen, müsse aber niemand haben. „Die Menschen gruseln sich gerne, das Böse faszinierte schon immer“, sagt Hasmann.

Expertin für Schauriges

Sie begann schon vor einigen Jahren, fiktive Gruselgeschichten zu schreiben, später organisierte die selbst ernannte „Gruselexpertin“ die sogenannten Mystery-Dinner: Theaterstücke mit echten Schauspielern und einem Drei-Gänge-Menü.

Im Zuge ihrer Recherchen für diese Vorstellungen kam sie zu den echten Mordfällen. „So können wir Namen von Opfern und Tätern und Adressen nennen. Das macht es einfach spannender“, sagt sie.

Die Idee mit den Spaziergängen entwickelte sie gemeinsam mit ihrer Kollegin erst während der Pandemie, als sich das Gehen an der frischen Luft immer größerer Beliebtheit erfreute. „Das passt wunderbar zum Frühlingsbeginn“, sagt Hasmann.

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So kommt es, dass die Autorin beim Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz, wo sich die ersten Jugendlichen zum Sonnenbaden einfinden, von der ermordeten Tochter eines hohen Ministerialbeamten erzählt. Dort, wo ein Polizist im April 1958 die Leiche von Ilona Faber fand, startet die Tour durch den 3. Bezirk.

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Beim Spaziergang durch Hietzing entdecken die Teilnehmer einen Schönheitssalon, in welchem eine Serienmörderin ihr Unwesen trieb. In Simmering führt der Weg zum Friedhof der Namenlosen, wo man auf einem Grab den Schriftzug „Ertrunken durch fremde Hand“ lesen kann, und in der Josefstadt erfährt man alles über den Axt-Mörder Johann Rogatsch.

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Etwa eineinhalb Stunden dauern die Spaziergänge.

Im eingangs erwähnten Falle der Prostituierten Anna Balogh ging man zunächst übrigens von Suizid aus, weil auf dem Nachttisch ein halb geleertes Glas gefunden worden war. Doch die Polizei entdeckte Würgemale am Hals der Toten.

Schnell wurde die „Grabennymphe“ Katharina Steiner verdächtigt. Sie hatte das Zimmer neben der Toten und wurde bei einem Streit beobachtet. Die „blonde Kathi“, die bis zuletzt ihre Unschuld beteuerte, entging zwar der Todesstrafe, nach sechs Jahren Kerker starb sie aber in einem Armenhaus.

Erst Jahre danach gestand der Sohn eines Staatsanwalts in Znaim, der eigentliche Mörder gewesen zu sein.