2000 Ärzte protestieren in der City
Ein nicht alltägliches Fotomotiv bot sich Montagvormittag den Touristen in der Wiener Innenstadt. Rund 2000 Ärzte – großteils in Weiß gekleidet sowie mit Ratschen und Trillerpfeifen ausgerüstet – hatten sich am Stephansplatz zu einer Protestkundgebung versammelt, während zeitgleich der Warnstreik in den Gemeindespitälern über die Bühne ging (siehe unten). Die Aktion bildete den vorläufigen Höhepunkt der Kampfmaßnahmen gegen die umstrittenen neuen Arbeitszeit-Regelungen in den Krankenhäusern.
Wie berichtet, entzündete sich der Konflikt unter anderem an der geplanten Streichung von 40 Nachtdiensten durch den Krankenanstaltenverbund (KAV).
Versorgung gefährdet
"Ab Dezember haben wir nur mehr fünf Leute für 31 Nachtdienst-Tage", empört sich etwa Ingrid Schlenz, Plastische Chirurgin am Wilhelminenspital. "Wenn sich künftig jemand in der Nacht den Finger abschneidet, wissen wir nicht mehr, wie wir ihn versorgen sollen." Es sei einfach nicht möglich, mit weniger Arbeitszeit die gleiche Anzahl von Patienten zu versorgen. Schlenz erzählt von Patienten, denen man erst im April 2017 oder noch später einen OP-Termin anbieten könne und von der wachsenden Zahl von Gangbetten. "Etwas Entwürdigenderes für Patienten gibt es gar nicht."
"Uns geht es nicht um finanzielle Belange", ergänzt ihre Kollegin Gabriele Almer. Sie empört sich auch über die Drohung des KAV, dass Streikteilnehmer mit dienstrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten. "Das so etwas in einer SPÖ-regierten Stadt passiert, ist einfach letztklassig."
Aus Solidarität mit ihren Kollegen schlossen sich zahlreiche Ärzte von anderen Spitalsträgern (z.B. Ordensspitäler), aber auch Medizinstudenten dem Protestzug durch die Innenstadt an. "Wir machen uns Sorgen, dass für Lehre und Ausbildung immer weniger Zeit bleibt", sagt Student Lennart B.
Großer Jubel, als der Wiener Ärztekammer-Chef Thomas Szekeres bei der Schlusskundgebung das Podium betrat. Im Vorfeld hatte er noch einmal die Kernforderungen der Ärzte bekräftigt: Rücknahme der Nachdienst-Streichungen, keine flächendeckenden Schichtdienste ohne Einwilligung der Betroffenen sowie ein klares Nein zum "Herunterfahren des öffentlichen Gesundheitssystems."
Das Streikkomitee der Ärztekammer berät heute, Dienstag, das weitere Vorgehen. Thema wird auch das neue Gesprächsangebot des KAV an die Ärzte-Personalvertreter für kommenden Mittwoch sein. In einer Runde mit dem KAV-Vorstand, Ärztlichen Leitern und Primarärzten sollen strittige Punkte diskutiert werden. Das erste Gesprächsangebot für vergangenen Freitag hatten die Personalvertreter ausgeschlagen, weil der KAV die Spitzen der Ärztekammer nicht eingeladen hatte. So handhabt es der KAV auch diesmal: "Diejenigen, die in den Spitälern vor Ort sind, sind die besten Ansprechpartner", sagt eine Sprecherin. "Die Personalvertreter haben aber per Gesetz die Möglichkeit, Vertreter der Ärztekammer hinzuzuziehen." Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) appelliert indes an die Ärztevertreter, das Angebot anzunehmen und die "Eskalationsschraube zurückzudrehen".
Maria Salmhofer steht Montagvormittag am Krankenbett ihrer Schwiegermutter in der Unfallambulanz im Wiener SMZ Ost (Donauspital). Die Schwiegermutter hat sich bei einem Sturz das Bein gebrochen: "Ich hab’ mir eh gedacht: Na, das ist ein guter Tag, um ins Spital zu fahren."
Denn Montag ab 9 Uhr demonstrierten die Ärzte der Wiener Gemeindespitälern gegen ihr neues Arbeitszeitmodell (siehe Bericht oben). In den Spitälern waren aufgrund des Streiks statt 1513 eingeteilten Ärzten nur 1067 zum Dienst erschienen. Der Spitalsbetrieb im SMZ Ost verlief wie an einem Feiertag: "Heute ist wie ein Ostermontag", sagt Lothar Mayerhofer, ärztlicher Leiter im Donauspital. In Abteilungen, wo normalerweise zehn Ärzte im Dienst stehen, waren es am Montag nur drei. Zwei Drittel der geplanten Operationen mussten verschoben werden: "Wir hätten nie gedacht, dass es so weit kommt. Alle haben geglaubt, dass man sich einigen wird", sagt Mayerhofer. In "seinem" Spital streiken Ärzte aus jeder Abteilung; Not- und Akutfälle werden aber behandelt. In den Ambulanzen des Donauspitals war Montagvormittag aber nicht allzu viel los. Auch in den anderen Krankenhäusern sei es ruhig geblieben. Laut Krankenanstaltenverbund (KAV) kam es zu keinen Versorgungsengpässen.
Verständnis
Im Donauspital warteten Montagvormittag knapp zwanzig Personen in der Unfallambulanz, etwa zehn in der Notfallambulanz, etwas mehr in der Kinderambulanz. "Der Streik wurde gut angekündigt", sagt Mayerhofer. Patienten, die nicht dringend behandelt werden mussten, seien gar nicht erst in die Ambulanzen gekommen. "Es ist angenehm ruhig hier", sagt Sylvia Sinno, die eine dreiviertel Stunde in der Notfallambulanz warten musste. Zuvor sei sie aber von der Neurologie weggeschickt worden.
Mario Salmhofer sei schon nach 15 Minuten Wartezeit mit ihrer Schwiegermutter beim Röntgen gewesen: "Ich habe hier auch schon stundenlang gewartet", sagt sie.