Die Schatten über dem Pontifikat
Von Caecilia Smekal
Kaum jemand hätte bei Amtsantritt Benedikts XVI. gedacht, dass er vor allem als Krisenmanager tätig werden müsste. Doch während seiner Amtszeit brach eine beispiellose Welle an Skandalen über den Vatikan herein, die besonders mit einem Schlagwort in Erinnerung bleiben wird: Missbrauch in der katholischen Kirche. Die erste große Häufung , etwa in den USA, wurde in den frühen Nuller-Jahren publik. Doch mit den Vorwürfen gegen Mitglieder des katholischen Klerus in Irland, Deutschland und auch Österreich brach schließlich während Benedikts Pontifikat das Tabu um sexuellen Missbrauch vollends auf. Allein in Irland wurden Zehntausende Fälle eingereicht, die teils von extremer Brutalität zeugten. Oft waren die Vorwürfe intern bekannt und vertuscht worden. Auch heute noch erfährt der Vatikan jährlich von rund 600 Vorkommnissen.
Gegenmaßnahmen
Unter Benedikt wurde das Gegensteuern zur Chefsache. Immer wieder betonte er, die Fälle aufklären und eine Wiederholung ausschließen zu wollen; das ausgegebene Motto lautete: „Null Toleranz“. Endlich kam auch die von Opfern lang ersehnte Entschuldigung.
In einem Prozess, in dem viele Fragen offen blieben, wurde der Diener im Eiltempo zu 18 Monaten verurteilt. Zu Weihnachten begnadigte Benedikt seinen ehemaligen Vertrauten; heute arbeitet Gabriele im vatikanischen Kinderkrankenhaus. Der Familienvater gab stets an, im Interesse des Papstes gehandelt zu haben, im „Kampf gegen das Böse und die Korruption“. Das Buch des Journalisten Gianluigi Nuzzi, das mit Informationen Gabrieles gespeist ist, wurde zum Bestseller. Hauptthema ist dabei die Vatikanbank IOR und ihre vermuteten Schwarzgeldgeschäfte. Die Bank hatte schon lange den Ruf, die vatikanische Verschwiegenheit für sich zu nutzen. Der Chef der IOR, Ettore Gotti Tedeschi, musste schließlich seinen Hut nehmen; 2010 gründete Benedikt die Finanzaufsicht AIF, die die Geschäfte der Bank strenger im Auge behalten sollte.
Missgriffe
Ein weiterer Fehltritt passierte schon früh in Benedikts Pontifikat: 2006 zitierte der Papst bei einer Vorlesung den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos: Der Prophet Mohammed habe nur „Schlechtes und Inhumanes“ gebracht. Die Folge waren teils gewalttätige Proteste in der islamischen Welt. Der Pontifex sah sich zu einer kalmierenden Geste gezwungen: Bei seiner ersten Reise in ein islamisches Land, der Türkei, betete er in der Blauen Moschee von Istanbul gemeinsam mit dem Großmufti.
Der Papst tritt zurück? Die Eilt-Meldung am Rosenmontag hielten viele erst für einen Faschingsscherz. Für ganze Generationen galt es als ein ehernes Gesetz: Ein Papst tritt nicht zurück. Jetzt ist es mit Brief und Siegel gewiss: Der „Heilige Vater“ ist auch in diesem Punkt von dieser Welt. Joseph Ratzinger ist nicht der erste Papst, der abdankt. Aber er ist der Erste, bei dem die ganze Welt miterleben konnte, dass er gute Gründe dafür hat. Der 85-Jährige ist zu allererst müde, ausgebrannt, bekennt er selber offen wie nie ein (siehe Papst-Erklärung). Ermüdet ist der Schöngeist zuvorderst an den Intrigen seiner engsten Umgebung im Vatikan und den ungelösten inneren Widersprüchen seiner katholischen Kirche. An der mangelnden Kraft, dem allen Herr zu werden, ist sein Pontifikat gescheitert.
Benedikt XVI hatte sich für mehr als eine Milliarde Katholiken weltweit verantwortlich zu fühlen. Als Papst ist er Chef eines Weltkonzerns, der mit einem kleinen Apparat von Rom aus gesteuert wird. Allein 400.000 Priester unterstehen der Jurisdiktion von ein paar Dutzend Klerikern in der römischen Zentralbehörde.
Wer, wie der Autor, bei einer Vatikan-Visite miterlebt hat, mit welch hilfloser Angst eine kleine Gruppe von 400 „ungehorsamen“ heimischen Priestern rund um Helmut Schüller beäugt wird, bekommt eine Ahnung vom inneren Zustand des Apparats. Radikal durchgreifen will der eine aus Angst vorm Flächenbrand des Protests nicht. Ignorieren will sie der andere aus Furcht vor weiterem Autoritätsverlust nicht. Die „Lösung“ a la romana: Schüller wurde der Titel „Monsignore“aberkannt – in Rom eine Ohrfeige, zu Hause ein Ritterschlag.
Jammerbild Vatileaks
Missbrauchs-Skandale beschäftigten den Vatikan seit der Affäre Groër 1995. Als Ratzinger 2005 Papst wurde, hatte auch er mit dem erbitterten Ringen zwischen Vertuschern und Aufräumern zu kämpfen.
Als der einst engste Papst-Mitarbeiter und Obervertuscher, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, zuletzt auch öffentlich mit der Forderung provozierte, in Sachen Missbrauch solle endlich „Schluss mit dem Geschwätz“ sein, bescherte ihm das sogar eine mediale Rüge des Papst-Vertrauten Kardinal Schönborn.
Im Vorjahr musste der Papst dann noch miterleben, dass ihm sein Kammerdiener geheime Dokumente vom Schreibtisch stahl und an einen Enthüllungsjournalisten weitergab – und das vorgeblich im Glauben, damit das Intrigenspiel zugunsten des Papstes zu wenden.
Das Bild, das der Vatikan danach abgab, war nur noch jämmerlich: Eine Intrigenhaufen, der sich sogar mit missliebigen Medien verbündet, um im internen Grabenkampf zu obsiegen.
Benedikt XVI hat seinen zu einer Haftstrafe verurteilten Kammerdiener rund um Weihnachten begnadigt. Nun gewährt er sich selber die Gnade, den Vatikan noch zu Lebzeiten verlassen zu dürfen. Josef Ratzinger zeigt damit im Abgang eine Größe, die er in den brennenden offenen Fragen seiner Kirche oft hat vermissen lassen.