Chronik/Welt

Franziskus macht die Kirche bunter

Papst Franziskus hat seinen Vorgänger glatt überholt. Während es Benedikt XVI. im Ranking der mächtigsten Menschen der Welt des US-Wirtschaftsmagazins Forbes „nur“ auf den fünften Platz geschafft hatte, landete das aktuelle Oberhaupt der katholischen Kirche in dieser Wertung aus dem Stand gleich auf Rang vier – mit Potenzial nach oben. Denn der Pontifex gibt in seinem gebrauchten Ford Focus ordentlich Gas. Manche sprechen schon von einer „Franziskanischen Wende“, die der Argentinier im Vatikan eingeleitet hat.

Jüngster Coup des 76-Jährigen: Zur Vorbereitung der Familiensynode im kommenden Jahr hat er einen Katalog mit 38 Fragen ausgesandt, die die 1,2 Milliarden Katholiken weltweit diskutieren sollen. Und zwar nicht bis zum St. Nimmerleinstag, der Papst will, dass die Ergebnisse spätestens Ende Jänner in Rom vorliegen. Die aufgeworfenen Themenbereiche lesen sich teilweise wie der Index bisheriger Tabus: wiederverheiratete Geschiedene, gleichgeschlechtliche Paare, Verhütung.

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Als „Revolution von oben“ bezeichnete Franz Xaver Brandmayr, Rektor des päpstlichen Instituts Santa Maria dell’Anima, die „Kirchenvolksbefragung“. Der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer sieht das ähnlich: „Das hat’s noch nie gegeben. Endlich will einer einmal wirklich wissen, was die Basis denkt“, so der Kirchen-Kenner im KURIER-Gespräch. Das Ganze sei natürlich nicht repräsentativ, würde aber dennoch ein gutes „Stimmungsbild“ ergeben, und „der Papst wird Dinge zu hören bekommen, die noch nie ein Papst gehört hat“.

Offenheit und Dialog sowie Barmherzigkeit („Der Beichtstuhl ist kein Folterinstrument“), Demut und Armut – das sind die Schlüsselbotschaften, die das bisherige Pontifikat Franziskus’ prägen. Eine arme Kirche, die für die Armen da ist, hatte er versprochen, und er selbst lebt es vor: Indem er immer noch den alten Ford Focus hat, immer noch im Appartement 201 des vatikanischen Gästehauses Santa Marta wohnt statt im Apostolischen Palast und ein schlichtes Eisenkreuz um seinen Hals hängen hat statt eines goldenen. Indem er inhaftierten Frauen die Füße wäscht, Flüchtlingen Trost zuspricht, Drogenabhängigen Mut macht und die Ärmsten der Armen in einer Favela (Slum) in Rio de Janeiro als seine Geschwister bezeichnet.

Diese Art kommt an – unter den allermeisten Katholiken und weit darüber hinaus. Sein stetes Lächeln und seine oft unkonventionelle Art tragen zusätzlich zu seiner Beliebtheit bei. So fragte ein junger Kardinal im Speisesaal des vatikanischen Gästehauses Franziskus einmal: „Heiliger Vater, darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Dessen verblüffende Antwort: „Aber bitte doch, heiliger Sohn.“

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„Bei all den Gesten geht es darum, eine positive Stimmung zu schaffen, um den Weg für Reformen zu ebnen“, analysiert Hubert Feichtlbauer. Und den beschreitet der Nachfolger Petri unbeirrt. Denn der Papst ist nicht nur das freundliche Gesicht der Kirche, er ist auch ein strategischer Kopf, der kalkuliert seine Pflöcke einschlägt, die die Richtung weisen. „Er agiert wohlüberlegt“, analysiert Feichtlbauer.

Papst nimmt Kurie an die Kandare

Im Fall der dringend notwendigen Reform der Kurie, gleichsam der Regierung des Vatikan, hat Franziskus das bereits bewiesen. Zu deren neuen Chef ernannte er den italienischen Karriere-Diplomaten Pietro Parolin. Dass der noch vor seinem Amtsantritt im vergangenen Oktober verlauten ließ, über den Pflichtzölibat der Priester könne man durchaus diskutieren, war wohl mit dem Oberhirten in Rom akkordiert und ist so ein Pflock, der jetzt einmal steht.

In der Frage der Erneuerung der Kurie, die für den Zentralismus der katholischen Kirche steht und deren höfisches Denken Franziskus als „Lepra des Papsttums“ kritisierte, legt sich der Pontifex besonders ins Zeug. Er berief acht Kardinäle aus allen Weltgegenden, die „G-8“ sollen dieses Gremium entstauben. Damit greift der Jesuit – er ist der erste seines Ordens auf dem Stuhl Petri – auf ein Modell seiner Kongregation zurück: Auch der Generalobere der „Societas Jesu“ hat Berater aus allen Kontinenten um sich geschart.

Hubert Feichtlbauer meint, dass vom jetzigen Papst noch einiges zu erwarten sei. „Gewiss, er wird Widerstände auch in der Kurie überwinden müssen. Aber ich glaube nicht, dass er letztendlich scheitern wird“, so der Kirchen-Insider, der seinen Optimismus mit einem Blick in die Vergangenheit begründet: „Zu dem Zeitpunkt, als Johannes XXIII. das höchste Amt im Vatikan antrat, war die Kurie stockkonservativ – und heraus kam ein neuer Aufbruch in Form des Zweiten Vatikanischen Konzils.“

Der Schritt von Papst Franziskus, im Vorfeld der nächsten Bischofssynode die Einstellung seines Kirchenvolkes zu den Themen rund um Ehe und Familie einzufangen, wird in den einzelnen Kirchengemeinden wohlwollend aufgenommen.

„Man glaubt, dass er ehrlich wissen will, wie es den Gläubigen geht“, sagt etwa der Schwechater Pfarrer und Dechant Gerald Gump. „Die Grundidee, dass gefragt wird, wie Gläubige die Situation erleben und leben halte ich für gut.“ Es entspreche der Grundlinie der Kirche. Er möchte den Schritt aber nicht zu wichtig nehmen, er sei ein Baustein im Veränderungsprozess der Kirche. „Die Realität anzuschauen, heißt aber nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen“, meint er. Die Grundlehre der Kirche zu Sexualität etwa, sei gut. Wenn jedoch die Lehren der Kirche bei den Gläubigen keinen Anklang finden, müsse man nachdenken. Viele Kirchenlehren würden in den einzelnen Pfarrgemeinden ohnehin schon anders gelebt.

Dem kann Pfarrgemeinderätin Lotte Liebenauer nur zustimmen. „Wir haben schon so oft unsere Meinung kundgetan und wurden nicht gehört. Vielleicht hört der Papst uns dieses Mal.“ Kollegin und Pastoralassistentin Sonja Hörweg findet es wichtig, ein Ohr an der Lebensrealität der Menschen zu haben. „Es ist Seelenbalsam, mein Leben will ernst genommen werden.“ Ein erhobener Zeigefinger seitens der Kirche, wenn man dem Ideal nicht entsprechen kann, halte sie für problematisch. „Nicht versöhnlich zu sein, ist nicht jesuanisch.“ Die Ansichten, die in dem Fragebogen niedergeschrieben sind, seien sicher die hehren Ziele der Gläubigen, aber vieles sei heute nicht mehr lebbar. Hier nennt Gump das Beispiel der Ehe. Die sei früher auf 20 Jahre ausgelegt gewesen, heute aber auf 50 oder 60 Jahre. „Da haben Brüche im menschlichen Leben größere Chancen.“

Papst Franziskus nimmt die Baustellen innerhalb der Kirche in Angriff“, meint Andrea Jenny (22). „Noch selten zuvor hatte ein Kirchenoberhaupt sein Ohr näher an der Basis. Ich glaube, der Fragebogen wird Franziskus viele Pluspunkte innerhalb der Gemeinden bringen.“ Den „frischen Wind“ müsse die katholische Kirche als klaren Auftrag in Richtung innere Erneuerung sehen. „Konservative Strömungen dürfen sich nicht länger der Lebensrealität der Menschen verschließen. Das hat die Kirche lange genug aufs Abstellgleis geführt“, so Jenny.

Annäherung

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Anna-Lena Fahrecker (23) ist Studentin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Heiligenkreuz (NÖ). „Papst Franziskus will Bischöfe und Pfarrer wieder näher ans Kirchenvolk bringen. Die katholische Kirche soll wieder Anlaufstelle bei Problemen für die Menschen werden“, schildert Fahrecker. Zu sehr habe man sich in den letzten Jahrzehnten voneinander entfernt. „Kirche ist mehr als nur der sonntägliche Gottesdienst“, hält sie fest. Von einem Gedanken müsse man sich aber verabschieden. „Ehe und Familie sind zentrale Grundwerte innerhalb der katholischen Kirche. Eine Öffnung in Richtung Homo-Ehe und die erneute Eheschließung von Geschiedenen halte ich für ausgeschlossen“, sagt die Studentin.

Ideologisch liegen Papst Franziskus und sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. nahe beieinander. „Auch wenn Franziskus aus einer anderen Ecke der Welt kommt, so liegen er und Benedikt in Glaubensfragen auf einer Linie.“ K. Zach, P. Kienzl

„Die Reform von oben war schneller als wir“ – Kardinal Christoph Schönborn fasste im KURIER-Gespräch diese Woche zusammen, was sich die österreichischen Bischöfe auf ihrer Herbsttagung gedacht haben dürften: Noch ehe sie den Fragebogen des Papstes an sie vollständig gelesen und die Aufforderung, ihn ans Kirchenvolk weiterzuleiten, verdaut hatten, stand er schon auf der Internetseite des Vatikan. Motto: Es gibt kein Zurück.

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Also blieb den Bischöfen gar nichts anderes übrig, als den Fragebogen selbst ins Netz(www.bischofskonferenz.at)zu stellen und über Inhalt und Umsetzung zu beraten. Denn bis Ende Dezember müssen die Antworten der „Schäfchen“ eingesammelt sein, um sie mitsamt einem Exzerpt dem Papst beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe Ende Jänner in Rom zu übergeben. Dazu wird in jeder Diözese eine zentrale Sammelstelle für die Antworten des Kirchenvolkes eingerichtet. Denn die Fragen sind ja keine Ja/Nein-Fragen, sondern Bewertungsfragen, die ein Bild der Situation von Ehe, Familie, Geschiedenen oder gleichgeschlechtlichen Paaren ergeben sollen – und von ihren Wünschen.

„Der Papst will nicht primär wissen, was die Bischöfe denken, sondern wo die Menschen der Schuh drückt“, sagt Schönborn. Es sei ein Anliegen des Papstes, dass gerade auch die, die sich schwertun mit Bestimmungen der Kirche, zu ihr kommen können.