Chronik/Welt

Weinsteins #MeToo-Prozess begann in New York

Blass, aufgedunsen, stumm und gebrechlich. Der Mann, der gestern gegen 9 Uhr auf einen wie vom Schrottplatz geklaubten Rollator gestützt die Treppen zum “New York State Supreme Court“ in Manhattan hinauf humpelte, hat nichts mehr von der Agilität früherer Jahre.

Harvey Weinstein, einst allmächtiger Hollywood-Mogul, gibt den gebrochenen Mann. „Danke dem lieben Gott, dass Deine Mutter das nicht mitansehen muss“, ruft ein Passant dem 67-Jährigen nach. Kurz darauf ist der Macher von “Pulp Fiction“ und anderen Kassenschlagern im Gerichtsgebäude verschwunden, um rechtzeitig vor Richter James Burke zu erscheinen. Zum Auftakt eines spektakulären Prozesses, bei dem es um weit mehr geht als nur um ihn.

Weinstein ist das Sinnbild der #MeToo-Bewegung, die bis heute über 200 einst mächtigen Männern nicht nur im Film-Business die Karriere geknickt hat. Weil sie sich gegenüber dem anderen Geschlecht wie Raubtiere verhalten haben sollen.

Im Herbst 2017 sorgten minutiös recherchierte Berichte über sexuelle Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung in New York Times und dem Magazin New Yorker für einen abrupten Filmriss im Leben Weinstein.

Nach und nach warfen ihm 80 Frauen schwere und schwerste Grenzüberschreitungen vor. Darunter bekannte Namen wie Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette, Angelina Jolie, Salma Hayek, Rose McGowan oder Ashley Judd.

Weinsteins Masche? Die mit dem „Sprungbett“ zu einer großen Karriere. Wer eine Rolle wollte, musste vorher Harvey zu Diensten sein.

Urteil Anfang März

Vieles, was Weinstein vorgehalten wird, der alles abstreift und hartnäckig von einvernehmlichen Kontakten spricht, ist strafrechtlich verjährt. Mindestens zwei Fälle nicht. Ihre absehbar hochemotional werdende Sezierung durch die Justiz wird voraussichtlich bis Anfang März ergeben, ob Weinstein hinter Gitter muss – im schlimmsten Fall bis ans Lebensende – oder freigesprochen wird. Alles ist offen.

Mimi Haleyi, eine frühere Assistentin in Weinsteins inzwischen liquidierter Produktionsgesellschaft Miramax, sagt, ihr Boss habe sie 2006 zum Oralverkehr gezwungen. Eine bisher noch in der Anonymität gehaltene zweite Frau wirft Weinstein vor, von ihm 2013 in einem Hotel vergewaltigt worden zu sein.

Beide „Opfer“ müssen sich auf eine beinharte Verteidigung gefasst machen. Weinstein hat zwei hochkarätige Anwalts-Teams rausgeschmissen und sich in der Hände der für schmerzhafte Kreuzverhöre bekannten Juristin Donna Rotunno begeben. Von ihr stammen markige Sätze wie dieser: „Wenn du kein Opfer werden willst, geh nicht mit auf ein Hotelzimmer.“ Rotunno sagt, durch die mediale Wucht der #MeToo-Bewegung sei das Prinzip der Unschuldsvermutung erodiert.

Drei Zeuginnen

Auf die Ankläger um Bezirks-Staatsanwältin Joan Illuzzi-Orbon warten heikle Tage. Sie müssen im Detail nachweisen, dass Weinstein die ihm zur Last gelegten Straftaten tatsächlich begangen hat. Dabei können sie auf unerwartete Beihilfe setzen. Richter Burke hat erlaubt, dass drei weitere Opfer, bei denen die Geschehnisse ebenfalls verjährt sind, als Zeuginnen gehört werden können. So soll erkennbar werden, dass Weinstein nach einem Muster vorgegangen ist.

Je größer der Medienrummel vor einem Promi-Prozess in den USA ist, desto schwieriger wird das Verfahren zur Auswahl derer, die am Ende über Freiheit oder deren Entzug entscheiden - die Geschworenen. Vor allem dann, wenn der „Gerichtshof der öffentlichen Meinung„ einen Angeklagten bereits für schuldig hält.

Was bei Harvey Weinstein der Fall ist.

Dreh- und Angelpunkt werden darum die in den nächsten 14 Tagen zu bestimmenden zwölf Geschworenen und ihre sechs Ersatzkandidaten sein. Erst danach geht der Prozess in der Sache los.

Das Gericht hat 2000 New Yorker angeschrieben. 500 sollen in einem Pool landen. Ab heute (Dienstag) stehen voraussichtlich die an Verhöre grenzenden Tauglichkeitsprüfungen an.

Unvoreingenommene „jurors“ zu finden, auf die sich Anklage, Verteidigung und Richter einigen können, sagen New Yorker Strafverteidiger, wird diesmal „enorm schwierig“. Weinstein und #MeToo ist ein globales Medien-Thema. Es gilt auszusortieren: Menschen, die zum Nachteil (oder Vorteil) der Anklage lügen könnten. Oder die Sympathien (oder Antipathien) für Harvey Weinstein hegen.