Kultregisseur Tarantino über Weinstein-Affäre: "Ich wusste genug"

Tarantino und sein Förderer Weinstein
Weinstein steht in einer Tradition von Skandalen, in die auch Ikonen wie Charlie Chaplin verwickelt waren.

Für die evangelikale Rechte in den USA ist Harvey Weinsteins Absturz in Hollywood wie ein Elfmeter ohne Torwart.

Endlich kann sie mit puritanisch verklebten Fingern auf das verlogene Lalaland zeigen. Auf einen glitzernden Kunstbetrieb, der sich liberal-fortschrittlich gibt, Donald Trump ablehnt und auf Wohltätigkeits-Galas Geld sammelt aus Protest gegen Beschneidungs-Gewalt, wie sie Frauen in Afrika oder anderswo angetan wird.

Der aber trotz Feminismus, „Summer of Love“ und Frauen-Power auch im 21. Jahrhundert nicht in der Lage ist, das weibliche Personal vor jenen toxischen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen zu schützen, die sexuell unersättliche Raubtiere wie der jetzt global in Ungnade gefallene Film-Produzent am Leben erhalten haben.

Warum und wieso?

Was in der anhaltenden Flut von Ich-bin-auch-eines-seiner-Opfer-Geständnissen (aktueller Stand: über 40...) untergeht, die den 65-Jährigen weit über Hollywood hinaus zur persona non grata gemacht haben und mit einer Gefängnisstrafe (wegen Vergewaltigung) enden können, ist die Frage nach dem Warum und Wieso.

Eine Frage, die sich gerade nach dem spektakulären Geständnis von Quentin Tarantino aufdrängt. Der Regisseur, dem Weinstein wie in einer künstlerischen Vater-Sohn-Beziehung seit 25 Jahren Filme wie „Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „Kill Bill“, „Inglourious Basterds“ und „The Hateful Eight“ ermöglichte, hat sicham Freitag nach tagelangem Schweigen als langjähriger Mitwisser zu erkennen gegeben und kiloweise Asche aufs Haupt gestreut. „Ich wusste genug, um mehr zu unternehmen, als ich tat.“

Tarantino will die sexuelle Übergriffigkeit des bulligen Impresarios lange für sich selbst als „mildes Fehlverhalten marginalisiert“ und als das „50er, 60er Jahre-Image“ eines Chefs verbucht haben, „der die Sekretärin um den Schreibtisch jagt“.

Heute, so sagte Tarantino kleinlaut der New York Times, fühle er sich schuldig. Er forderte seine männlichen Kollegen auf, sich ebenfalls zu erklären. „Bekennt, dass etwas faul war im Staate Dänemark. Und gelobt, euch bei unseren Schwestern zu bessern.“

"Dirty old men"

Von einer wandelnden Film-Enzyklopädie wie Tarantino hätte man zumindest erwarten können, die Causa Weinstein einzuordnen in das Umfeld aus Scheinheiligkeit, Intrigen und Missbrauch, das die Networks der „dirty old men“ in Hollywood schon vor fast 100 Jahren etablierten.

Rolle vor der Kamera gegen Sex dahinter? Das von Macht und Ohnmacht getriebene „Prinzip Besetzungscouch“ haben Forscher bis in die Stummfilmjahre des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen können. Eine Zeit, die im Rückspiegel betrachtet den Nährboden schuf, auf dem Generationen später „Monster“ wie Harvey Weinstein gedeihen konnten.

Wer im frauenfeindlichen Dreck von Hollywood wühlt, stößt unweigerlich auf Kenneth Anger. In zwei Büchern („Hollywood Babylon I und II“) hat der in Tinseltown groß gewordene Exot Skandale, Perversionen und Ausschweifungen dokumentiert, die den Leser noch heute erschaudern lassen.

Wer das in den 60er Jahren publizierte Sittengemälde, in dem manches strittig bis unwahr ist, länger betrachtet, erkennt, dass in der Traumfabrik schon immer mächtige Männer über Leichen gegangen sind. Meist waren es weibliche.

Zum Beispiel Roscoe Arbuckle, der wegen seines pummeligen Äußeren „Fatty“ gerufen wurde. Der Komödiant war in den goldenen 20er Jahren einer der ersten Superstars. Bis auf einer seiner berüchtigten Partys das junge Starlet Virginia Rappe mit einer Champagnerflasche vergewaltigt wurde und wenige Tage später starb.

Zum Beispiel Harry Cohn, den man wegen seines Mussolini-Ticks auch den „Duce“ von Columbia Pictures nannte. Über den tyrannisch-säuisch veranlagten Studio-Boss (Motto: „Ich habe keine Magengeschwüre, ich verpasse anderen welche“) ist verbürgt, dass er jede weibliche Neueinstellung auf der Büro-Couch zum Beischlaf genötigt haben soll. Jede.

Zum Beispiel Charlie Chaplin, den seine sattsam bekannte Vorliebe für blutjunge Mädchen fast ins Gefängnis gebracht hätte. Er musste 1924 seine damals sechzehn Jahre alte und hochschwangere Kindbraut Lillita heimlich in Mexiko heiraten, um dem Richter zu entgehen.

Zum Beispiel Alfred Hitchcock, der seine blonde Hauptdarstellerin aus „Die Vögel“ und „Marnie“, Tippi Hedren, gegen ihren Willen so oft belästigte („Es war sexuell, es war pervers, es war hässlich“, schreibt die 87-Jährige in ihren Memoiren), bis die künstlerische Beziehung völlig zerbrach. Der Meister der Spannung, dick und voller Komplexe, ließ das frühere Model fallen wie eine heiße Kartoffel.

Zum Beispiel David O. Selznick, Erschaffer des Jahrhundert-Epos „Vom Winde verweht“. Der Spross eines ukrainischen Juwelenhändlers erwarb sich den Ruf eines unausstehlichen Megalomanen, der Schauspielerinnen mit seiner sexuell grundierten Selbstherrlichkeit quälte. Einst griff er sich ein junges Ding aus Oklahoma, nahm sie unter Vertrag, gab ihr einen neuen Namen (Jennifer Jones), heiratete sie und verschaffte ihr eine Hauptrolle.

Abtreibungen arrangiert

Zu den dunkelsten Kapiteln Hollywoods, deren mentale Ausläufer bis in die Weinstein-Zeit von heute zu spüren sind, gehört das Thema Empfängnisverhütung. In ihrer lesenswerten Studie „Hollywoods zweites Geschlecht - die Behandlung von Frauen in der Filmindustrie, 1900 bis 1999“ beschreibt die Autorin Audrey Malone, wie bis weit in die 50er Jahre hinein die gottähnlich herrschenden Studiobesitzer von MGM, Paramount oder Warner Bros. für Stars, die schwanger wurden, Abtreibungen arrangierten. Die Philosophie dahinter: „Sexbomben mit Kindern sind keine Sexbomben mehr.“

Kultregisseur Tarantino über Weinstein-Affäre: "Ich wusste genug"
"Marilyns letzte Sitzung", Am 1. Juni 2011 würde Marilyn Monroe ihren 85 Geburtstag feiern. Aus diesem Anlass widmet sich der "dok.film" in einer dokumentarischen Aufarbeitung ihren letzten Lebensjahren: Basierend auf dem gleichnamigen Sensationsroman von Michel Schneider schildert Regisseur Patrick Jeudy den lebenslangen emotionalen Hindernislauf des Stars zwischen Glamour, Drogensucht und Hollywood-Schickeria. Anhand von Briefen, Notizen und Tonbandabschriften konzentriert sich der Film auf die letzten Monate vor Marilyns Tod am 5. August 1962. Besonderes Augenmerk wird dabei der Beziehung der Schauspielerin zu ihrem Therapeuten Ralph Greenson gewidmet, der Marilyn in ihren letzten Lebensjahren begleitet hat und der möglicherweise nicht ganz unschuldig an ihrem tragischen Ende war.Im Bild: Marilyn Monroe. SENDUNG: ORF2 - SO - 29.05.2011 - 23:00 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/Arte. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606

Viele große Schauspielerinnen dieser Zeit von Jean Harlow über Judy Garland bis Bette Davis fügten sich den von Männern angeordneten Schwangerschaftsabbrüchen, denen bei Verweigerung oft das Karriereende folgte. Auch darum brachte Marylin Monroe die Prozedur im Lauf der Jahre zwölf Mal hinter sich.

Nicht so Lupe Velez. Die Mexikanerin, mit der Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) eine Affäre hatte, nahm sich 1944 hochschwanger das Leben. Die gläubige Katholikin wollte nicht Hollywoods bekanntesten Abtreibungsarzt aufsuchen. Sein Name laut Kenneth Anger: Doctor Killkare.

In diesen Jahren kultivierte Hollywood das kollektive Wegsehen und opferte tägliche Verstöße gegen Anstand und Frauenrechte auf dem Alter von Glamour und Ruhm. In diesen Jahren wurden Mechanismen zementiert, derer sich auch Harvey Weinstein wie selbstverständlich bediente. Schweigegeld für Betroffene. Einschüchterung von Journalisten mit Top-Anwälten. Schmierkampagnen gegen Kritiker. Ein Mogul alt-hässlicher Schule.

Vielleicht macht Tarantino irgendwann einen Film daraus. Dann aber hoffentlich ohne Weinstein.

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