Warum ein Deutscher in Liberia Kinder aus dem Gefängnis holt
Von Irene Thierjung
1.600 statt der vorgesehenen 400 Insassen, Gewalt, sexuelle Übergriffe und Hunger: das Zentralgefängnis in Monrovia ist wahrlich kein Platz für Kinder. Und doch finden sich in dieser „Vorhölle“, wie Lothar Wagner die Anstalt in Liberias Hauptstadt nennt, viele Minderjährige. Sie teilen sich die Zelle mit Erwachsenen, müssen auf dem Boden schlafen und bekommen lediglich eine Schale Reis pro Tag, wie der Salesianerbruder im KURIER-Gespräch berichtet.
Bis zu einem Jahr in Haft
Mit Unterstützung der österreichischen Hilfsorganisation Jugend Eine Welt, die heuer ihr 25-Jahr-Jubiläum feiert, kümmern sich Wagner und seine Mitstreiter seit 2020 um die jugendlichen Häftlinge in Monrovia. Sie versorgen sie mit Essen und Wasser, bieten Therapiegespräche an und vermitteln Anwälte und medizinische Betreuung.
Durchschnittlich befinden sich im Zentralgefängnis 18 Kinder, 2021 waren es insgesamt 144. Sie bleiben zwischen einer Woche und einem Jahr und sind oft nicht älter als 12 .
Das jüngste Kind, das Wagner betreut hat, war neun Jahre alt. „Der Bub wurde von der eigenen Familie zum Gericht gebracht, weil er immer wieder gestohlen hat“, sagt der 49-jährige Deutsche.
Jugend Eine Welt wurde 1997 vom Tiroler Reinhard Heiserer gegründet. Die Hilfsorganisation ermöglicht Straßenkindern, arbeitenden Kindern und Kindern armer Familien eine Schul- und Berufsausbildung. Sie leistet aber auch Nothilfe nach Naturkatastrophen oder bei Konflikten und Kriegen.
In den vergangenen 25 Jahren wurden mehr als 3.000 Projekte und Programme in Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und Osteuropa umgesetzt – mithilfe des globalen Don-Bosco-Netzwerks und Partnern vor Ort wie Lothar Wagner.
Junge Menschen, aber auch erfahrene Berufstätige können Jugend Eine Welt auch bei Freiwilligeneinsätzen unterstützen. Die Organisation bekommt öffentliche Förderungen im Rahmen der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, ist aber stark auf Spenden angewiesen (IBAN: AT66 3600 0000 0002 4000, BIC: RZTIAT22).
"Direkt ins Gefängnis"
Überforderung und Hilflosigkeit seien einer der Hauptgründe, warum Kinder in Liberia im Gefängnis landen, so Wagner. Da es in dem westafrikanischen Land weder Jugendstrafanstalten noch Einrichtungen für schwer erziehbare Jugendliche gibt, werden schwierige Minderjährige oft in Gefängnissen für Erwachsene weggesperrt.
„Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention“, betont Wagner. Auch einfache Delikte wie der Diebstahl eines Handys oder ein bloßer Verdacht führen oft hinter Gitter. Häufig findet nicht einmal ein Gerichtsprozess statt.
Besonders oft trifft die Willkür Straßenkinder. Gebe es in einem Viertel Probleme, würden sie verantwortlich gemacht, berichtet Wagner: „Die Polizei füllt dann ihre Autos mit ihnen und bringt sie direkt ins Gefängnis.“
"Vorhölle"
Seit Beginn der Coronapandemie und angesichts der massiven Teuerungen der vergangenen Monate habe sich das Problem vertieft. „Es gibt eine deutliche Zunahme von Kindern auf der Straße“, so Wagner, auch weil viele Familien das Schulgeld nicht mehr zahlen könne. Durch Zusammenarbeit mit der Polizei konnte sein Team verhindern, dass neben der Zahl der Straßenkinder auch die der inhaftierten Kinder steigt.
Dennoch brauche es in Monrovia dringend ein Rehabilitationszentrum für Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, sagt Wagner. „Denn wenn sie erst einmal durch die Vorhölle des Gefängnisses gegangen sind, werden sie sicher kriminell.“
Spenden wichtig
Die Regierung von Liberia sei durchaus offen für Kritik, sagt Wagner. Sie habe ihm ein Stück Land angeboten, um dort ein Rehabilitationszentrum zu errichten. In dieses würden dann „ausnahmslos alle Kinder“ gebracht, die sonst im Gefängnis landen würden, sei ihm versichert worden. Nun müsse der Bau finanziert werden – hier seien Spenden an Jugend Eine Welt wichtig (IBAN: AT66 3600 0000 0002 4000, BIC: RZTIAT22 oder hier).
Reiche Länder in der Pflicht
Um langfristig etwas an der Armut und den fehlenden Perspektiven für junge Menschen zu ändern, brauche es aber nicht nur Geld, sagt Wagner, der zuvor in Sierra Leone und im Südsudan tätig war. Er nimmt dabei die Regierungen reicher Länder in die Pflicht. Nötig sei ein Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik und freier Zugangs afrikanischer Länder zum Weltmarkt. Ansonsten werde die Wirtschaft nie mit den subventionierten, zollfrei nach Afrika eingeführten Produkten der USA oder aus Europa mithalten können.
Die Folge wäre ein weiterer Anstieg der Migrationszahlen, ist Wagner sicher: „Viele der ,unserer‘ Jugendlicher verschwinden eines Tages. Wenn wir fragen, wo sie seien, heißt es, sie hätten sich nach Europa aufgemacht.“