Sensation: "Sehr gute Nachrichten" für den Klimaschutz
Von Bernhard Gaul
Mitte der vergangenen Woche vermeldete die Universität von Melbourne in Australien eine Sensation. Erstmals konnten Forscher darlegen, dass das Klimaziel, die Erderwärmung "unter 2 °C" zu halten, eingehalten werden kann.
Der Pferdefuß? Das Ziel ist nur erreichbar, wenn alle Staaten ihre abgegebenen Klimaschutzversprechen auch einhalten, allen voran die Klimaneutralität, für Österreich bis 2040, für die EU und die USA bis 2050, für China bis 2060 und für Indien bis 2070. Derzeit läuft der Klimagipfel in Glasgow.
Trotzdem: "Das ist eine gute Nachricht, sogar eine sehr gute Nachricht", sagt Professor Keywan Riahi im Gespräch mit dem KURIER. Riahi gilt als einer der einflussreichsten Klimawissenschaftler, er forscht im Süden Wiens im IIASA, dem „Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse“ und er ist Autor des aktuellen, sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates IPCC.
Wie der Zufall so will, erzählt Riahi, habe er gerade mit dem Autor der Studie, Professor Malte Meinshausen, in Melbourne per Videochat konferiert, als der KURIER ihn um seine Einschätzung der Studie bat. "Professor Meinshausen hat für diese Studie alle Klimaschutzversprechen aller Staaten aufaddiert und sich angeschaut, wer aller langfristige Ziele hat." Inzwischen seien jedenfalls 90 Prozent aller Volkswirtschaften dabei: "Wenn man alle diese Versprechen zusammenzählt, kommen wir bis Ende des Jahrhunderts auf eine Erwärmung von knapp unter 2 °C, konkret auf 1,9°C."
Aus Meinshausen Berechnungen werden auch Details sichtbar: Die Kalkulationen zeigen, dass das 1,5 °C-Ziel bereits 2031 überschritten werden wird, erst 2042 würden die Emissionen weltweit im Vergleich zu 2019 halbiert sein, echte Klimaneutralität würde erst 2092 erreicht werden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Erderwärmung unter 2 °C bis Ende des Jahrhunderts bleibe, gibt die Studie mit 63,2 Prozent an.
Konkrete Gesetze gefordert
Riahi betont aber einmal mehr: Es müsse klar sein, dass das bisher nur Versprechen sind und keine Gesetzgebung. "Ein Versprechen, das nicht gesetzlich bindend ist, weder im Land noch international, kann ja auch nur ein Lippenbekenntnis sein. Die nächsten Schritte müssen also konkrete Gesetze sein, wo diese Versprechen auch niedergeschrieben werden."
Gegenüber dem britischen Guardian hatte Meinshausen erklärt, dass erst durch das Versprechen Indiens, bis 2070 klimaneutral zu sein, das rechnerische Ziel erreicht werden konnte. Daran ist wiederum der Österreicher Riahi beteiligt gewesen: Die indische Regierung, berichtet Riahi, arbeite seit einem halben Jahrzehnt mit dem IIASA zusammen. Rechenmodelle des Instituts helfen beim Verständnis, wie man das Energiesystem des Landes ändern und die Emissionen reduzieren kann, ohne in Indien ökonomische oder sozialen Schaden anzurichten, erklärt Riahi. Diese Modelle halfen der Regierung ihrerseits, neue Möglichkeiten zur Klimawende durchzurechnen. "Vor fünf Jahren waren die Inder nicht bereit, über eine Energiewende zu sprechen. Jetzt haben sie einen Weg gefunden, wie sie klimaneutral werden können. Und das ist doch fantastisch, ein Gamechanger."
Für Karl Steininger, Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz, ist Meinshausen "der globale Spezialist im Hinblick auf Umlegung der versprochenen Emissionspfade in Wahrscheinlichkeitserreichung bestimmter Temperaturziele". Steininger gibt ebenfalls zu bedenken, dass viele der politischen Versprechen von Staatenlenkern des globalen Südens nur unter bestimmten Bedingungen ("conditional pledges") abgegeben wurden – meistens unter der Bedingung, dass ihr Land Zugriff auf die internationale Klimafinanzierung bekomme. Rund 100 Milliarden Dollar sollten dafür seit 2020 zur Verfügung stehen, tatsächlich sind es knapp 80 Milliarden. Mit der Klimafinanzierung soll es ärmeren Staaten ermöglicht werden, konkrete Klimaschutzmaßnahmen oder Know-how und Technologien für die Energiewende kaufen zu können.
Auftrag
Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sagte: "Diese Daten sind ein ermutigendes Signal – und ein deutlicher Auftrag. Sie zeigen: Wenn wir unsere Ziele ernst nehmen, können wir die Erhitzung unserer Erde wirklich begrenzen. Das bedeutet zwei Dinge. Erstens: Wir müssen Maßnahmen setzen, damit die Ziele Realität werden. Zweitens: wir dürfen hier nicht stehen bleiben – denn wir haben im Abkommen von Paris festgelegt, wir wollen das 1,5-Grad-Ziel schaffen. Das ist möglich, dafür müssen auch Länder wie Russland oder Australien echte Klimaschutzziele vorlegen."
Am Freitag hat auch Fatih Birol Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA präsentiert, die in Paris ansässige Behörde kommt sogar auf nur mehr 1,8°C Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts. "Damit ist ein Meilenstein erreicht." Aber nur, wenn alle Klimaziele erfüllt werden.