Kugelsichere Westen als Trend unter Schwedens Jugendlichen
Unter Schwedens Jugendlichen gibt es einen neuen Trend: kugelsichere Westen. Das liegt jedoch nicht am Krieg in der Ukraine und der Furcht eines Angriffs des russischen Nachbarn auf das Neo-NATO-Mitglied, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern vielmehr an der weiterhin eskalierenden Bandengewalt.
Nachdem im Jahr 2023 mehr als 50 Personen durch Schüsse und Explosionen ums Leben kamen, waren auch in diesem Jahr bei rund 30 Schießereien bereits vier Tote zu verzeichnen. Erst am vergangenen Wochenende wurde ein Mann in seinen Zwanzigern im Stockholmer Außenbezirk Skärholmen erschossen.
Drei Sprengsätze in 24 Stunden gezündet
Zu Beginn dieser Woche erschütterten dann drei Explosionen die Hauptstadt: Zwei Sprengsätze detonierten am Montag in Wohngebäuden in den Bezirken Fagersjö und Lidingö, eine weitere am Dienstag in Farsta. Mehrere Menschen wurden verletzt.
Die Polizei untersucht noch mögliche Zusammenhänge zwischen den Vorfällen. Dass sie alle in Zusammenhang mit der grassierenden Bandenkriminalität stehen, darf aber als gesichert angesehen werden.
Insbesondere Jugendliche besorgen sich nun in zunehmendem Maß kugelsichere Westen, berichtet die Polizei in der südlichsten Provinz Schonen, in der unter anderem die drittgrößte Stadt des Landes, Malmö, liegt. Deren Nachrichtendienstchef Patrik Andersson fordert nun ein Verbot der Schutzwesten für Zivilisten, berichtet der Guardian.
Kein Platz in der schwedischen Gesellschaft
"Wer braucht kugelsichere Westen? Wachmänner und Polizisten brauchen sie für ihren Job. Wir glauben nicht, dass Kriminelle sie brauchen", so Andersson.
Für ihn gehören kugelsichere Westen nicht in die schwedische Gesellschaft, sagte der hohe Polizeioffizier. "Sie gehören in kein Land, außer es herrscht Krieg."
Andersson zufolge verbreiten sich die Westen im ganzen Land - auch, weil Gangmitglieder sie neuerdings als Statussymbol entdeckt haben. Er fordert nun Handhabe für die Polizei, die spezialisierte Schutzausrüstung konfiszieren zu können.
Ein weiteres Problem: Laut Andersson hat die zunehmende Verbreitung der Westen bereits dazu geführt, dass bei Schießereien vermehrt auf den Kopf gezielt wird.
Doch nicht alle Polizeivertreter sind Anderssons Meinung. Der Polizeichef der südlich Stockholms gelegenen Provinz Sörmland, Mattias Forssten, sagte zum öffentlich-rechtlichen SVT, es gebe momentan "dringlichere Maßnahmen" als ein Verbot kugelsicherer Westen.
Mehr als 60.000 Menschen mit Gang-Verbindungen
In Schweden haben nach Schätzungen der Polizei mehr als 60.000 Menschen Verbindungen zu kriminellen Gangs. Rund 14.000 Menschen seien in kriminellen Netzwerken aktiv, schrieb die Polizei in einem Ende Februar veröffentlichen Lagebild. Weitere 48.000 seien anderweitig mit diesen Netzwerken verbunden; hätten etwa bereits unter Verdacht gestanden, an kriminellen Handlungen beteiligt gewesen zu sein.
Schweden ringt seit mehreren Jahren mit der Bandenkriminalität, die sich immer wieder in tödlichen Schüssen und vorsätzlich herbeigeführten Explosionen äußert. Dabei geht es im Wesentlichen um Markthoheiten im lukrativen Drogengeschäft. Unter den Tätern und Opfern sind immer wieder junge Männer und auch Minderjährige mit Migrationshintergrund.
Das Lagebild zur Gangkriminalität hat die Polizei im Auftrag der schwedischen Regierung erstellt. Sie identifizierte darin mehrere Rollen, die Mitglieder der Netzwerke übernehmen. Das Lagebild zeige, dass ältere Personen generell über jüngere das Sagen hätten, schrieb die Polizei.
95 Prozent der aktiven Kriminellen seien männlich, nur fünf Prozent weiblich - höher sei dagegen die Prozentzahl der Frauen, die mit den Netzwerken verbunden seien (19 Prozent). 88 Prozent der aktiven Kriminellen seien schwedische Staatsbürger, wobei 8 Prozent von ihnen außerdem einen ausländischen Pass hätten.
"Wir sehen, dass die kriminellen Netzwerke sehr umfassend sind, was das Bild bestätigt, dass es sich um ein weit verbreitetes und sehr ernsthaftes Gesellschaftsproblem handelt", erklärte die nationale Polizeichefin Petra Lundh. "Aber wir müssen daran glauben, dass es möglich ist, den Trend umzukehren."