Linksextremistin nach Angriffen auf Neonazis vorerst auf freiem Fuß
„Faschofreunde“ und „scheiß Klassenjustiz“ skandierten die Unterstützer von Lina E. nach der Verkündung des Strafmaßes im Gerichtssaal. Der Richter musste die Verhandlung zwischenzeitig sogar unterbrechen. Am Mittwochabend wurde klar: Die 28-Jährige kommt vorerst frei.
Der Haftbefehl gegen sie werde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, sagte der Richter zum Abschluss der Urteilsbegründung. Die Reststrafe muss sie erst verbüßen, falls das Urteil rechtskräftig wird. Strafmildernd habe sich unter anderem ihre 30 Monate dauernde Zeit in der U-Haft ausgewirkt.
Lina E. wurde unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt.
Der Fall der Linksextremistin hat über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus für Aufregung gesorgt: Ihr waren Angriffe auf Neonazis oder mutmaßliche Anhänger der rechten Szene im Großraum Leipzig und in Thüringen vorgeworfen worden. Überfälle auf Rechtsradikale, mit Stangen, Hämmern oder Äxten, teils akribisch geplant und mit lebensgefährdenden Verletzungen. Neben E., die als „Rädelsführerin“ der Gruppe gilt und seit November 2020 in Untersuchungshaft saß, waren drei Männer beschuldigt gewesen, darunter Johann G., ihr Verlobter.
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Parallelen zu RAF
Die Mitangeklagten wurden zu bis zu drei Jahren Haft verurteilt. Nicht nur deswegen kamen den Medien, aber auch dem Bundeskriminalamt schnell Parallelen zur linksextremistischen terroristischen „Roten Armee Fraktion“ (RAF) in den Sinn. Lina E. gilt bereits als Galionsfigur der linksextremen Szene – sogar international. Unter dem Slogan „Free Lina“ werden seit Monaten solidarische Mitstreiter in ganz Europa zusammengetrommelt.
Ihre Anhänger kritisieren die Anklage als „politisch motiviert“, den Bundesanwälten wurde vorgeworfen, bei der Verurteilung rechter und linker Straftäter unterschiedliche Maßstäbe anzusetzen. Selber Meinung war die Verteidigung, die Freisprüche gefordert hatte. Die Bundesanwaltschaft hatte ursprünglich acht Jahre Freiheitsstrafe für die Angeklagte verlangt.
Nach der Urteilsverkündung demonstrierten Anhänger vor dem Oberlandesgericht Dresden, Großkampftag wird aber der Samstag werden. Den hat die linksautonome Szene bereits vor Wochen zum „Tag X“ aufgerufen.
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Schaden in Millionenhöhe angekündigt
„Bereitet euch gut vor und kommt alle nach Leipzig – gemeinsam werden wir unsere Solidarität auf die Straßen tragen“, heißt es in gemäßigteren Aufrufen im Internet. In anderen wird mit einem zweiten „G20“ gedroht: Gemeint sind die Straßenschlachten rund um den G20-Gipfel in Hamburg 2017, bei denen Hunderte Menschen verletzt wurden und Millionenschäden entstanden.
Lina E. muss sich nun zweimal wöchentlich bei der Polizei melden, darf den in der Akte vermerkten Wohnsitz nur mit Zustimmung des Gerichts wechseln und muss nach ihrem Reisepass auch den Personalausweis abgeben.