Chronik/Welt

Corona-Simulation aus 2012 alarmiert Verschwörungstheoretiker

Verschwörungstheorien und Fake-News sprießen in Corona-Zeiten wie Unkraut, zirkulieren auf Social-Media und erleichtern Politikern sowie klassischen Medien nicht wirklich die Arbeit. Seien es Kettenbriefe und gefälschte Sprachnachrichten, die angeblich vom Finanzminister höchstpersönlich stammen, der zu Hamsterkäufen aufruft. Seien es Personen, die sich mutmaßlich via Videobotschaft aus Norditalien melden und kostenlose und gleichsam fahrlässige Vorschläge für Corona-Infizierte parat haben.

Sei es der nächstbeste Esoteriker, der eine göttliche Zahlenreihe – gerne in Kombination mit „uralten“ Symbolen – von Außerirdischen aus dem Äther empfangen hat und seine Botschaft unbedingt teilen muss. Zwar kann er nicht über das Wasser laufen, aber es zum Schwingen bringen, bis alle Welten virenfrei sind – von Neuschwabland bis Narnia.

Neben offensichtlichen Fälschungen und allerlei Schwachsinn kursieren dann eben auch Nachrichten, die einen wahren Kern haben, aber grob irreführend umgedeutet werden – solche Umdeutungen sollen an dieser Stelle nicht zitiert werden. Doch da wäre etwa die Drucksache 17/12051, eine Unterrichtung durch die deutsche Bundesregierung, publiziert Anfang Jänner 2013. Sie wird vor allem in rechtsextremen Kreisen derzeit für wilde Mutmaßungen missbraucht.

Sehr ähnliches Szenario

Sie ist nicht mehr als ein „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“. Darin enthalten: Ein Szenario, das eine Pandemie durch einen modifizierten Coronavirus vorwegnimmt. Derartige Risikoanalysen werden regelmäßig durchgeführt – nicht nur in Deutschland. Laut Bericht von 2013 handelt es sich bei der Pandemie um „ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt“.

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In der Risikoanalyse breitet sich das Virus „im Februar“ (Jahr wird nicht genannt) in Asien aus, die Erreger stammen aus Südostasien und werden über Wildtier-Märkte auf den Menschen übertragen. Tatsächlich gehen Wissenschaftler davon aus, dass ein Wildtier-Markt in Wuhan der Ursprung des Virus ist.

Im April schafft es über einen infizierten Flugpassagier den Weg nach Deutschland, es kommt zur Pandemie, die sich „in Wellen mit ansteigenden Zahlen“ ausbreitet. „Es ist so lange mit Neuerkrankungen zu rechnen, bis ein Impfstoff verfügbar ist“, heißt es in der Analyse. Kalkuliert wird mit drei Jahren. Derzeit halten Experten es für möglich, dass in einem bis eineinhalb Jahren ein Impfstoff gegen Covid-19 verfügbar ist.

Inwiefern können sich Behörden vorbereiten?

Bemerkenswert: Die Risikoanalyse geht von einem ähnlichen Virustyp aus. Er ist hochansteckend, etwa 70 Prozent der Bevölkerung erkranken in drei Ansteckungswellen, da niemand immun ist. „Mittel zur Eindämmung sind  beispielsweise Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen.“

Zu den Symptomen der "Erkrankung" gehören laut Analyse trockener Husten, Fieber und Atemnot. Junge haben einen milderen Krankheitsverlauf. Ältere Menschen sind eine akut gefährdete Risikogruppe. Die Inkubationszeit beträgt bis zu 14 Tage, Erreger haftet auch einige Zeit auf Oberflächen.

Infizierte und Verdachtsfälle müssen in Quarantäne. Die Lebens- und Arbeitswelt verändert sich, Wirtschaft und Gesundheitssystem kollabieren zeitweise, insgesamt sterben 7,5 Millionen Deutsche. Die Sterblichkeit in der Studie ist im Übrigen etwa drei- bis viermal so hoch, wie beim aktuellen, neuartigen Coronavirus. Und eben: Das Virus hat drei Jahre Zeit, um Schaden anzurichten.

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In der Risikoanalyse wird eine wichtige Frage gestellt: „Inwiefern können sich die Behörden auf das Ereignis vorbereiten?“ Diese wird kaum konkret beantwortet. Die Analyse verweist lediglich auf bereits bestehende Epidemie-Gesetze und die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Der Vorwurf, dass die deutsche Bundesregierung trotz einer durchaus treffenden Risikoanalyse aus dem Jahr 2012 nicht ausreichend vorbereitet war, ist also etwas weit hergeholt. In der Studie wird nämlich auch klargestellt, dass die Auswirkungen in ihrer „Komplexität“ einfach nicht vorweggenommen werden können.

Ähnliche Simulation aus dem Jahr 2007

Auch 2007 führten Bund und Länder in Deutschland sogar eine detaillierte Simulation durch. 3000 Beamte aus sieben Bundesministerien, dem Kanzleramt und sieben Bundesländern simulierten im Rahmen einer "Lükex"-Übung laut Süddeutscher Zeitung eine landesweite Epidemie, für die ein Erreger aus Asien verantwortlich war.

Das Robert-Koch-Institut wirkte an der 14 Monate dauernden Vorbereitung der Simulation mit. Energieunternehmen wie RWE und EnBW sowie die Lebensmittelwirtschaft nahmen auch teil. Millionen Menschen erkrankten, Zehntausende starben in diesem Szenario.

Für die kritischen Infrastrukturen kam eine Auswertung zum Ergebnis: Die Lebensmittelversorgung konnte 2007 selbst im Extremfall gesichert werden, wie auch andere lebenswichtige Bereiche. Das Gesundheitssystem wäre kollabiert.

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