Chronik/Österreich

Wohnungsnotstand: SPÖ will vor den Verfassungsgerichtshof

Im Sommer 2022 hat der Innsbrucker Gemeinderat den Wohnungsnotstand ausgerufen. Grundlage dafür war das in Vergessenheit und bisher nie zur Anwendung gebrachte Bodenbeschaffungsgesetz aus dem Jahr 1974, das SPÖ-Stadtparteiobmann Benjamin Plach ein Jahr zuvor ausgegraben hatte. Und das weitreichende Hebel bietet.

Gibt es einen „Wohnungsfehlbestand“ – der ist erreicht, wenn zwei Prozent der Bevölkerung wohnungssuchend sind – kann sich eine Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Verkauf von gewidmetem Bauland sichern. In letzter Konsequenz wären sogar Enteignungen möglich - in beiden Fällen hat der Besitzer Anspruch auf angemessene Entschädigung bzw. Preise.

Verordnung hängt beim Land

Von diesen theoretischen Möglichkeiten kann die Stadt aber bis heute keinen Gebrauch machen. Denn das Land müsste zuvor eine entsprechende Verordnung erlassen, die das ermöglicht. Und dort liegt die Causa nunmehr seit bald zwei Jahren.

Für SPÖ-Bürgermeisterkandidatin Elli Mayr ist "völlig klar, dass die ÖVP im Land das verhindert", erklärte sie am Montag bei einer Pressekonferenz in St. Nikolaus, dem ältesten Stadtteil von Innsbruck, in dem die Wohnspekulation seit Jahren blüht. "Die ÖVP schützt die Reichen wie die Kirche das Weihwasser", übt die Stadträtin scharfe Kritiker an jener Partei, mit der die SPÖ auf Landesebene koaliert. 

Für Plach "ist die Untätigkeit klar verortet". Und zwar bei dem für Raumordnung zuständigen ÖVP-Landesrat Josef Geisler, Obmann des Bauernbunds. Man wolle sich nun aber nicht mehr weiter vertrösten lassen, so das SPÖ-Spitzenduo zwei Monate vor den Gemeinderatswahlen.

Individualantrag beim VfGH

"Wir wollen mit der Causa zum Verfassungsgerichtshof gehen", kündigte Mayr an. Ein entsprechender Antrag werde am Donnerstag im Gemeinderat eingebracht. Der ist nötig, da ein Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) auf Prüfung der Rechtsfrage nur von der Stadt als Gebietskörperschaft eingebracht werden kann.

Für Plach ist es "system- und verfassungswidrig", dass das Land für die Anwendung des Bodenbeschaffungsgesetzes eine Verordnungsermächtigung hat. Denn einerseits sei die Raumordnung den Gemeinden zugewiesen. Und andererseits widerspreche diese Regelung dem Recht auf Gemeindeselbstverwaltung.

"Wir wollen dieses Recht für die Stadt Innsbruck einklagen", so Mayr. Relevanz hat diese Auseinandersetzung nicht nur für Innsbruck. "Das ist etwas, von dem auch andere Gemeinden profitieren werden", ist die SPÖ-Spitzenkandidatin überzeugt.

Debatte in Salzburg

Die Landeshauptstadt Salzburg befindet sich wie Innsbruck im Gemeinderatswahlkampf. Auch wird über die Ausrufung des Wohnungsnotstandes diskutiert. Vor einem Jahr scheiterte ein Antrag auf Ausrufung von KPÖ-Gemeinderat Kay-Michael Dankl. Die Gegner waren in der Mehrheit.

Dass das Thema ausgerechnet in Salzburg heiß gegessen wird, verwundert Mayr nicht. "Innsbruck ist das Monte Carlo von Österreich." Die Wohnpreise seien nur mit dem ersten Wiener Gemeindebezirk vergleichbar. Salzburg folge der Tiroler Landeshauptstadt als teuerstes Pflaster aber auf Platz zwei.

In Salzburg versucht die Stadt laut ÖVP-Bürgermeister Harald Preuner mit verschiedenen Maßnahmen die Wohnungspreise zu senken. So etwa mit der Vorgabe, dass bei Umwidmungen von  Gewerbe-  oder Betriebsgebieten für Wohnbau ausschließlich geförderte Wohnungen errichtet werden dürfen – was aber vorerst noch nicht greift, wie Preuner einräumt.

Wegen der Pandemie hätten sich entsprechende Projekte verzögert. Und in einem Fall  habe der gewerbliche Bauträger frei finanzierte Eigentumswohnungen errichten wollen. „Das wollen wir nicht“, so der Stadtchef. Was aber auch zur Folge hat, dass dort vorerst nicht gebaut wird: „Die spekulieren jetzt und warten, ob sich daran etwas ändert.“

Die Innsbrucker SPÖ-Gemeinderäte hoffen jedenfalls auf eine Mehrheit im Gemeinderat für den Antrag auf den Gang zum Verfassungsgerichtshof. Die Ausrufung des Wohnungsnotstands hatte neben SPÖ, Grünen und Kleinfraktionen auch die Liste Für Innsbruck (FI) unterstützt. Diese hat für die kommenden Wahlen ein Bündnis mit der von ÖVP-Staatssekretär Florian Tursky ins Rennen geführten Liste "Das neue Innsbruck" fusioniert.

Der nunmehrige Antrag der SPÖ kommt im März, also unmittelbar vor den Gemeinderatswahlen am 14. April, zur Abstimmung. 

Land spielt Ball zurück

Das Land spielte den Ball hingegen in einer Reaktion gegenüber der APA an die Stadt zurück: Es seien noch Unterlagen ausständig. „Nach einem gemeinsamen Abstimmungsgespräch vor Weihnachten wurde die Stadt Innsbruck Mitte Jänner seitens des Landes Tirol gebeten, Daten hinsichtlich des tatsächlichen quantitativen Wohnbedarfs sowie Informationen bezüglich der Anwendung der bestehenden Instrumente nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz zu übermitteln“, hieß es. 

Dazu zähle etwa die Ausweisung von Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau oder das Instrument der Vertragsraumordnung. „Diesem Verbesserungsauftrag wurde bislang noch nicht Folge geleistet“, erklärten die Verantwortlichen in der Stellungnahme. Darüber hinaus bestünden „erhebliche Bedenken zur Verfassungskonformität des aus dem Jahr 1974 stammenden Bodenbeschaffungsgesetzes.“