Wie der Skitourenboom in geordnete Bahnen kommen soll
Von Matthias Nagl
Die Zahlen lassen wenig Zweifel: Skitouren haben die Nische verlassen und boomen nach wie vor. Geschätzt gibt es in Österreich rund 600.000 Tourengeher, und jedes Jahr werden es mehr. Die freiheitsliebenden Skifahrer werden immer stärker zum Wirtschaftsfaktor, vor allem für die Skiindustrie.
„Unser Skitouren-Segment hat sich unglaublich entwickelt“, sagt Atomic-Chef Wolfgang Mayrhofer. Mittlerweile würden zehn Prozent des Atomic-Umsatzes in der Gesamthöhe von 200 Millionen Euro von Tourengehern kommen. Das Ziel sind meist unberührte Tiefschneehänge, tatsächlich findet der Boom aber vor allem in der Nähe von Skigebieten statt.
Runder Tisch
„Jeder will auf den Grat, im echten Leben spielt es sich aber im Nahbereich der Pisten ab“, erklärt Mayrhofer. Das sorgt unweigerlich für Konflikte. Erst vergangene Woche sorgte eine tätliche Attacke eines Tourengehers auf einen Seilbahn-Mitarbeiter in Tirol österreichweit für Schlagzeilen.
Als direkte Folge des Vorfalls hält Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) am Dienstag einen Runden Tisch mit Vertretern von Bergbahnen, alpinen Vereinen und Sport- sowie Forstfachleuten ab. Ziel ist eine Weiterentwicklung der bestehenden Regeln, Sanktionsmöglichkeiten, also Verwaltungsstrafen gegen Pistengeher sollen nur in Ausnahmefällen angewendet werden. „Lenken statt Strafen“, lautet Geislers Motto.
Tourenticket regt auf
„Eigentlich will niemand von uns Polizei auf der Piste. Gegen fehlenden Anstand und sportliche Fairness kommt man auch mit Gesetzen nicht an. Vielmehr wollen wir uns überlegen, wie wir das Pistengehen unter geänderten Bedingungen zum Wohle aller Beteiligten weiterentwickeln können“, sagt der ÖVP-Politiker.
Dass Skitouren vor allem auf gesicherten Pisten boomen, habe der laufende Winter gezeigt. „Dagegen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil, aus sportlicher und gesundheitlicher Sicht ist das zu begrüßen“, meint Geisler. Tirol hat dafür bereits vor fünf Jahren ein eigenes Modell mit einem Leitsystem eingeführt. Dazu gibt es zehn Empfehlungen des Kuratoriums für alpine Sicherheit für Pistengeher.
In Salzburg gab es zu Saisonbeginn am Hochkönig Aufregung. Die Bergbahnen installierten in Mühlbach bei einer bisher kostenlosen Aufstiegsroute ein Drehkreuz und verlangen seither 14 Euro für ein Ticket für Aufstieg und Abfahrt. Diese Maßnahme sei wegen der Parkplatz- und Sicherheitsproblematik notwendig gewesen, erklärt Angela Haslinger, Geschäftsführerin der Bergbahnen.
Meist Toleranzlösungen
Im Skigebiet gibt es weiterhin zwei kostenfreie Aufstiegsspuren. „Wir merken, dass die Tourengeher dorthin ausweichen. Aber das war zu erwarten“, sagt Haslinger. Die Reaktionen auf die Maßnahme seien gespalten gewesen. „Es gibt Tourengeher, die sich freuen, dass es endlich eine sichere Variante gibt, aber auch solche, die mit dem Entgelt nicht leben können“, erklärt Haslinger.
Karl Posch, Betreiber der Skitouren-Plattform skimo.at, äußert Verständnis für die Ticket-Einführung. „Wenn ich eine kostenintensive Piste habe, wird es nicht möglich sein, das gratis anzubieten“, sagt er. Auch für Tourengeher sei die aktuelle Situation unbefriedigend.
„Was wir haben, sind Toleranzlösungen. Aber das Thema ist nicht gelöst“, meint Posch. Doch auch für Skigebiete gäbe es im Bereich Skitouren viele Chancen, vor allem aus touristischer Sicht. „Der Erste, der so schlau ist, dass er aus diesen Leuten einen Gewinn zieht, wird der Gewinner sein“, glaubt Posch.
600.000 Tourengeher gibt es geschätzt in Österreich.
230 Millionen Euro werden in Österreich mit Tourenausrüstung umgesetzt.
Jährlich werden 58.000 Paar Tourenski und 51.000 Paar Schuhe verkauft.
40 Prozent beträgt der Frauenanteil.
37 Jahre ist das Durchschnittsalter der Tourengeher.
Datenquelle: ARGE Skibergsteigen, Österreichischer Sportfachhandel und Sportindustrie.