Chronik/Österreich

Wer sind die Zeugen Jehovas in Österreich?

Schüsse in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg haben die Aufmerksamkeit auf die Glaubensgemeinschaft gelenkt. Ein Überblick über ihre Glaubenssätze und ihre Stellung in Österreich. 

Wie viele Mitglieder hat die Glaubensgemeinschaft?

Weltweit soll es laut Angaben der Glaubensgemeinschaft acht Millionen Anhänger geben. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa. Laut Angaben auf der Internetsteite der Gemeinschaft (Stand November 2021) gibt es in Österreich aktuell 22.052 aktive Mitglieder, wobei sie mit 4.375 am stärksten in Oberösterreich vertreten sind, gefolgt von Wien mit 4.243. In Niederösterreich zählt die Gemeinschaft 2.887 Mitglieder, in der Steiermark 2.798, in Tirol 2.013, in Salzburg 1.719. In Vorarlberg gibt es demnach 1.166 und im Burgenland 610 Mitglieder.

Seit wann sind die Zeugen Jehovas in Österreich staatlich als Religionsgesellschaft anerkannt?

Seit vierzehn Jahren. Nach über 30 Jahren Einsatz, der die Zeugen Jehovas bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führte, hatte das zuständige Kultusamt im Mai 2009 der damals fünftgrößten Glaubensgemeinschaft in Österreich grünes Licht für den Status als Religionsgemeinschaft gegeben.

Wie viele Königsreichssäle gibt es im Land?

Der Hauptsitz der Gemeinschaft in Österreich befindet sich in Wien. Die Gemeinschaft trifft sich auch in Kongressälen. Dort werden ganztägige Gottesdienste, die sich laut der Glaubensgemeinschaft Kongresse nennen, durchgeführt. In St. Pölten gibt es ein großes Kongressgebäude. Außerdem organisieren die Zeugen Jehovas jährliche internationale Kongresse, bei denen Gruppentaufen durchgeführt werden.

Insgesamt gibt es außerdem 160 sogenannte Königsreichssäle in Österreich, die zur Gottesanbetung dienen sollen. Die Ausstattung der Säle sei zweckmäßig, schlicht und bestehe im Wesentlichen aus einer Bühne mit Rednerpult sowie Sitzplätzen. Es gebe auch eine Bibliothek und einen Bereich, in dem Veröffentlichungen für das Bibelstudium erhältlich sein sollen.

Wer hat die Zeugen Jehovas gegründet?

Die Zeugen Jehovas verstehen sich als christliche Gemeinschaft. Sie geht zurück auf Charle Taze Russel. Dieser hat die Gruppe 1881 als "ernste Bibelforscher" in den USA gegründet. Die Zeugen Jehovas vertreten nach wie vor den Anspruch, die Bibel alleine richtig auslegen zu können. Ihr Name "Jehova", geht auf eine andere Lesart des hebräischen Gottesnamen "JHWH" zurück.

Warum wurden die Zeugen Jehovas im dritten Reich verfolgt?

Unter dem Nazi-Regime war die Glaubensgemeinschaft verboten und wurde verfolgt. Im Jahr 1938 gab es in Österreich 550 aktive Zeugen Jehovas. Während der Jahre 1938 bis 1945 kam es durch das Hitlerregime zu schweren Verfolgungen, vornehmlich wegen der Weigerung, den Hitlergruß zu leisten und an militärischen Aktivitäten teilzunehmen. Etwa ein Viertel der Anhänger der Glaubensgemeinschaft wurde getötet. Nach dem Krieg nahmen die Zeugen Jehovas ihre organisierte Tätigkeit wieder auf.

Wofür sind Jehovas Zeugen bekannt?

Bekannt sind die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer stark ausgeprägten Missionstätigkeit, bei der sie von Haus zu Haus ziehen und ihre Zeitschriften „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“ an die Frau und den Mann bringen wollen. Finanziert werden die Zeugen Jehovas mit - nach eigenen Angaben freiwilligen - Spenden. In Wien sieht man sie auch gerne mit mobilen Zeitungsständen - etwa auf der Mariahilfer Straße - wo die Zeitschriften in vielen unterschiedlichen Sprachen ausgegeben werden.

Warum nehmen die Zeugen Jehovas nicht an Wahlen teil?

Gegen eine Abqualifizierung als totalitäre Sekte wenden die Zeugen Jehovas ein, sie seien zum einen keine Abspaltung von einer Kirche und hätten keinen religiösen Führer außer Jesus Christus. Zum anderen lebten die Mitglieder freiwillig nach den Regeln der Gemeinschaft. Weil sie Politik und Religion für unvereinbar halten, nehmen sie nicht an politischen Wahlen teil. 

Warum lehnen Zeugen Jehovas Bluttransfusionen ab?

Der Glaube greift in allen Bereichen stark in das Leben der Anhänger ein. So sei es etwa nicht erlaubt, zu Rauchen. Aufmerksamkeit erregen die Zeugen Jehovas auch medial immer wieder wegen der Ablehnung von Bluttransfusionen, was mitunter lebensbedrohlich sein kann. Sie berufen dabei auf biblische Zeugnisse. Schon lange vor der christlichen Ära habe Blut eine symbolische Bedeutung gehabt, sind die Zeugen Jehovas überzeugt. Es stand für „das Leben, das der allmächtige Gott, der Schöpfer, gegeben hat“. Das Verbot, Blut zum Erhalt des Lebens aufzunehmen sei in den Büchern des Moses an mehreren Stellen festgehalten.

Woran glauben die Zeugen Jehovas?

Grundlage der Lehre der Zeugen Jehovas ist der aus der Bibel abgeleitete „Plan Gottes mit der Menschheit“. Dem „allmächtigen Gott und Schöpfer“ Jehova oder Jahwe, sind seine Zeugen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Als „wahre Christen“ müssen sie Zeugnis für ihren Gott ablegen und die Botschaft von seinem Königreich predigen. Anders als die großen christlichen Religionen glauben die Zeugen Jehovas nicht, dass die Seele des Menschen nach seinem Tod weiterlebt. Er habe keine, sondern sei die Seele selbst. Den Weltuntergang haben die Zeugen Jehovas mehrfach angekündigt.

Im Besonderen beziehen sich die Zeugen Jehovas dabei auf die Apostelgeschichte im Neuen Testament, wo im Kapitel 15 - in der Übersetzung der Zeugen Jehovas - das Folgende steht: „Denn es hat dem Heiligen Geiste und uns gefallen, euch weiter keine Last aufzulegen, als diese notwendigen Stücke: dass ihr euch enthaltet von den Götzenopfern, vom Blute, und dem Erstickten, und von der Hurerei. Wenn ihr euch davor bewahret, werdet ihr wohl tun“.

Eine weitere zentrale Aussage der Glaubenslehre der Zeugen ist die sogenannte "Schlacht von Harmagedon". Dabei handelt es sich um einen Kampf, den Christus gegen den Teufel führen wird. Die Menschen werden danach in drei Gruppen unterteilt: Auf die schlechten Menschen, die Jehova nicht bekennen, wartet kein Leben nach dem Tod. Die Zeugen Jehovas selbst dürfen im irdischen Paradies leben. 144.000 Gerechten steht dagegen eine Beteiligung an der Herrschaft Christi in Aussicht. Die Zahl geht auf die Offenbarung des Johannes zurück, wo es heißt: "Es waren hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels, die das Siegel trugen" (Offb 7,4).

Seit wann sind die Zeugen Jehovas in Russland verboten?

Am 20. April 2018 urteilte das Oberste Gericht in Russland gegen Zeugen Jehovas. Seitdem steht die Aktivität von Zeugen Jehovas unter Strafe, viele Gebäude wurden enteignet und landesweit Zeugen Jehovas verhört und in Untersuchungshaft gestellt.

Feiert die Glaubensgemeinschaften Weihnachten oder Ostern?

Christliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern lehnen die Zeugen Jehovas  ab, da diese Feste auf heidnischen Wurzeln zurückzuführen seien. Ihre einzige religiöse Feier ist das Abendmahl, das auch „Gedächtnismahl“ oder Feier zum Gedenken an den Tod Christi genannt wird. Auch der Geburtstag werde nicht gefeiert.

Gibt es Meldungen über sexuellen Missbrauch in der Glaubensgemeinschaft?

Weltweit sind Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs in der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas bekannt geworden. Der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Deutschland wurden Fälle aus der Vergangenheit gemeldet. Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas hat bislang keine unabhängige Aufarbeitung gestartet, heißt auf der Seite der Aufarbeitungskommission. Darum müsse davon ausgegangen werden, dass diese Berichte heute immer noch relevant seien. Die Kommission biete die Möglichkeit in geschützter Atmosphäre darüber zu berichten.