Chronik/Österreich

Statistik Austria: Kein Anstieg der Armut durch Corona

Die Corona-Pandemie hat für die Statistik Austria nicht den befürchteten Anstieg der Armut in Österreich gebracht. Sie begründet diesen Schluss mit einem der zentralen Ergebnisse einer Erhebung: Demnach waren im Vorjahr 160.000 Personen oder 1,8 Prozent der Bevölkerung in Österreich erheblich materiell und sozial benachteiligt, da sie sich mehrere grundlegende Ausgaben zur Sicherung des Mindestlebensstandards nach EU-Definition nicht leisten konnten. Im Jahr davor lag der Wert noch bei drei Prozent.

Allerdings räumt die Statistik auch ein, dass sich gewisse Daten verschlechtert haben: Unerwartete Ausgaben können nun 19 statt 18 Prozent nicht mehr bewältigen.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) betonte in einer Aussendung, die Maßnahmen der Bundesregierung zur Abfederung der sozialen Folgen der Pandemie hätten Schlimmeres verhindert. Rauch meinte, ohne Sozialleistungen und Pensionen wäre fast jeder zweite in Österreich lebende Mensch armutsgefährdet.

Weniger optimistisch interpretiert die Caritas die heute veröffentlichten Zahlen zur Armut: "Es sind heute mehr Menschen von Armut gefährdet, als vor der Pandemie – und dies trotz zahlreicher Maßnahmen, die aufgrund der Krise zusätzlich umgesetzt wurden,“ so Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich. 

Der Anstieg von 13,9% auf 14,7% armutsgefährdeter Menschen verdeutliche einmal mehr, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Zudem seien in den nun veröffentlichten Zahlen das zweite Corona-Jahr und die aktuelle Teuerungswelle noch nicht berücksichtigt. "Jedoch sehen wir in den Caritas-Beratungsstellen aktuell Armutssituationen, wie wir sie seit Langem nicht mehr erlebt haben." Die Sozialleistungen müssten dringend an die aktuelle Rekordinflation angepasst werden.

Das Momentum Institut rechnete erst vor wenigen Tagen vor, dass Familienbeihilfe, Studienbeihilfe, Mindestsicherung, Pflegegeld, Arbeitslosengeld und Ausgleichszulage seit Jahresbeginn durch die hohe Inflation an Kaufkraft eingebüßt haben. 36 Millionen Euro verlorene Kaufkraft beziffert der Thinktank.

Beschäftigung

Deutliche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Beschäftigung.

Im Jahr 2021 waren deutlich mehr Haushalte von Erwerbslosigkeit oder geringer Erwerbsintensität betroffen: 469.000 Personen bzw. 7,4 Prozent der unter 64-Jährigen lebten in Haushalten, in denen nur eine geringe Erwerbsintensität erreicht wurde. 2020 waren es noch 6,1 Prozent.

Dabei bewährte sich die Kurzarbeit. Menschen, die 2020 von diesem Instrument profitierten, waren zu acht Prozent armutsgefährdet. Dieser Wert unterschied sich kaum von jenem der Personen, die das ganze Jahr erwerbstätig waren (sieben Prozent). Zum Vergleich: Langzeitarbeitslose hatten mit 57 Prozent Armutsgefährdung ein erheblich höheres Armutsrisiko. Auf das hohe Armutsrisiko bei Arbeitslosen müsse bei der anstehenden Reform der Arbeitslosenversicherung ein besonderes Augenmerk gelegt werden, erklärt Rauch.

Sozialleistungen sind durch die Pandemie für mehr Haushalte zu einer bedeutsamen Einkommensquelle geworden. Sie reduzierten die Armutsgefährdungsquote im Vorjahr um 44 Prozent. Über eine Million Menschen bzw. zwölf Prozent der Bevölkerung hatten im ersten Jahr der Coronakrise hauptsächlich Einkünfte aus staatlichen Sozialtransfers, wie Arbeitslosen- oder Familienleistungen. Dabei hätten diese Haushalte zumeist einen deutlich geringeren finanziellen Spielraum als andere, erklärt Statistik Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.

Haushalte mit hauptsächlich Sozialleistungen waren häufiger mit Miete oder anderen regelmäßigen Zahlungen in Rückstand als andere (14 Prozent vs. 4 Prozent) und hatten vielfach Probleme unerwartete Ausgaben zu leisten (50 Prozent vs. 14 Prozent). Auch Freizeitaktivitäten auszuüben, die mit Kosten verbunden sind, war für hauptsächlich Sozialleistungsbeziehende (19 Prozent konnten es sich nicht leisten) seltener möglich als für den Rest der Bevölkerung (vier Prozent).

Volkshilfe

Die Volkshilfe ist unzufrieden. Denn bereits vor zwei Jahren sei von der Regierung die Halbierung der Armut versprochen worden. Zudem seien in den 2021er-Zahlen noch nicht die Folgen der Teuerung abgebildet. Zudem verweist man darauf, dass das Risiko sozialer Ausgrenzung für Kinder ungleich höher sei, nämlich 23 Prozent gegenüber der Gesamtbevölkerung mit nur 17 Prozent.

Momentum Institut

36 Millionen Euro an Kaufkraft haben Familienbeihilfe, Studienbeihilfe, Mindestsicherung, Pflegegeld, Arbeitslosengeld und Ausgleichszulage seit Jahresbeginn durch die hohe Inflation eingebüßt, ergab eine Analyse des sozialliberalen Momentum Instituts. Dieses empfiehlt eine Valorisierung der Sozialleistungen anstelle eines einmaligen Teuerungsausgleichs.

"Der Kaufkraftverlust bei den Sozialleistungen ist für Haushalte, für die jeder Euro zählt, in Zeiten hoher Inflation kaum zu verkraften", merkt Joel Tölgyes, Ökonom des Momentum Instituts, an. Die nachhaltigste Unterstützung für sie wäre, die Sozialleistungen anzuheben.

Denn Geringverdiener, die durch die rasante Teuerung bei Wohnen und Heizen überdurchschnittlich stark betroffen sind, sind besonders auf Sozialleistungen angewiesen. Und diese würden durch die Teuerung massiv an Wert verlieren. Was besonders schwer wiegt, weil sie schon in der Vergangenheit nicht regelmäßig und nicht ausreichend an die Teuerung angepasst wurden.

Von 2000 bis 2021 verlor die Familienbeihilfe etwa um 30 Prozent an Wert. Beim Pflegegeld waren es rund 28 Prozent, bei der Studienbeihilfe 20 Prozent, stellte das Momentum Institut fest. Um die Kaufkraft wieder auf das Niveau von 2000 zu heben, müsste die Familienbeihilfe um mindestens 42 Euro, das Pflegegeld um 53 Euro und die Studienbeihilfe um 184 Euro angehoben werden.

Teuerungsausgleich bekämpft Armut nicht

Wenig Abhilfe schaffen würde die diskutierte Anhebung des einmaligen Teuerungsausgleichs von 300 auf 500 Euro. Diese Maßnahme erreicht nur jeden zweiten armutsgefährdeten Haushalt, ergab eine Mikrosimulation des Momentum Instituts. Denn sie ist an den Erhalt bestimmter Sozialleistungen (wie Mindestsicherung oder Ausgleichszulage) gekoppelt. Wer knapp über 1.000 Euro verdient - was deutlich weniger ist als die Armutsgefährdungsschwelle von rund 1.330 Euro für eine Person - bekommt keine Mindestsicherung und daher auch keinen Teuerungsausgleich.

Und dieser Teuerungsausgleich ist nicht annähernd hoch genug, um armutsgefährdete Haushalte über die Armutsgefährdungsschwelle zu heben. Ihr Einkommen liegt im Schnitt rund 6.700 Euro darunter. Deshalb empfiehlt das Momentum Institut statt Einmalzahlungen die Valorisierung der Sozialleistungen - und die Erhöhung letzterer hin zur Armutsgefährdungsschwelle.

Aktuell liegen die Standardsätze der Sozialhilfe und Mindestpension nämlich für eine alleinstehende Person um mehr als 300 Euro im Monat unter der Schwelle. Einer Person mit durchschnittlichem Arbeitslosengeld fehlen knapp 190 Euro, um nicht mehr armutsgefährdet zu sein.

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