Seisenbacher-Prozess: "So einer hatte das nicht notwendig"
Mit drei Jahren Verspätung begann am Montag der Prozess gegen die Sportlegende Peter Seisenbacher. Der zweifache Judo-Olympiasieger betritt im weißen Rollkragenpulli und im braunen Anzug den Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht. Ein Zuhörer erhebt sich, applaudiert.
„Die Vorwürfe gegen Seisenbacher sind eine reine Rache-Aktion“, wird der ältere Herr später in einer Verhandlungspause zu Journalisten sagen und eine Visitenkarte zücken, auf der seine Judo-Titel angeführt sind. Er ist nicht der einzige Zuhörer, der dieser Meinung ist. Es sind einige Wegbegleiter von Seisenbacher gekommen, die die Vorwürfe nicht glauben können.
Seisenbacher wird schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen vorgeworfen, zudem Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Zwei mittlerweile erwachsene Frauen (eine davon lebt jetzt als Mann, Anm.) sagen aus, als Kinder von Seisenbacher sexuell missbraucht worden zu sein. Das jüngste Opfer war neun Jahre alt. Eine weitere Frau berichtet von einem Missbrauchsversuch.
Drei Opfer lügen?
„Ich bin nicht schuldig“, sagt Seisenbacher.
„Wenn Sie nicht schuldig sind, heißt das, dass drei Opfer lügen“, gibt Richter Christoph Bauer zu bedenken.
„Dafür habe ich keine Erklärung. Ich habe Vermutungen“, sagt Seisenbacher. Die drei Opfer seien eng miteinander befreundet. Sie hätten sich gegen ihn verschworen, führt er später seine Theorie aus. Doch diese „Verschwörung“ zieht Kreise. Es gibt insgesamt sechs Personen, die Seisenbacher belasten. „Die irren sich“, sagt Seisenbacher.
Peter Seisenbacher schrieb Sportgeschichte. Er war der erste Österreicher, der bei Olympischen Sommerspielen zwei Goldmedaillen gewann – die erste 1984 in Los Angeles, die zweite 1988 in Seoul.
Dazwischen wurde er Welt- und Europameister. Die heimische Sportwelt lag ihm zu Füßen. Gleich drei Mal wurde er zum „Sportler des Jahres“ gewählt.
Gefeiert und gefeuert
Nach seinem Karriereende wurde Seisenbacher Generalsekretär der österreichischen Sporthilfe. Doch es dauerte nicht lange, bis er zurück zu seinen sportlichen Wurzeln fand und Trainer des österreichischen Judo-Verbandes wurde. 1991 allerdings kam es zu einem Eklat: Bei einem Turnier in Leonding verpasste er nach einer Meinungsverschiedenheit einem Grazer Judoka eine Ohrfeige. Er wurde wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Seisenbacher musste sich beim damaligen Sportminister entschuldigen.
Zwischenzeitlich war Seisenbacher Präsident des Wiener Judo-Landesverbands. Zudem hatte er einen eigenen Judo-Klub gegründet.
Ab 2010 war er Trainer der georgischen Herren-Nationalmannschaft und führte Lascha Schawdatuaschwili zu Olympia-Gold. Im Anschluss wurde er Trainer in Aserbaidschan.
Doch warum dann die Flucht in die Ukraine kurz vor dem Prozessstart 2016? Sein Sohn kam kurz nach dem Prozesstermin zur Welt. Das wollte er auf keinen Fall verpassen, sagt sein Anwalt Bernhard Lehofer. Und außerdem: „Er hat mit den stärksten Männern der Welt gekämpft. Er war nie einer, dem es an Frauen gemangelt hat. Er passt in keiner Weise in das Schema von jemandem, der sich an Kindern vergreift. Das passt nicht zu ihm. So einer wie er hatte das nicht notwendig.
Seisenbacher hatte einige Beziehungen. Auch eine zu einer 16-Jährigen. Diese Beziehung war freiwillig, das bestätigt auch die heute erwachsene Frau. „Es war eine geheime Beziehung“, sagt Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig. „Alle meine Beziehungen waren geheim“, erklärt Seisenbacher. Er war damals „um die 40. Aber ich habe mich jung gefühlt.“
Mit Kindern und Jugendlichen hatte er viel zu tun. Er war Trainer, war mit dem Nachwuchs auf Lagern, begleitete sie auf Wettkämpfe. Die Jungen sahen zu dem erfolgreichen Sportler auf. Die Opfer sagen noch heute, dass Seisenbacher eine Vaterfigur für sie war. Als „einen Vater, den man sich gewünscht hat“, beschreibt ihn eine Frau. „Ich glaube, ich war ein cooler Trainer, aber kein Vater“, entgegnet Seisenbacher.
Kuscheleinheiten
Doch wie eng der Kontakt bei diesen Lagern war, darüber gehen die Schilderungen deutlich auseinander. Es gibt Aussagen, wonach Mädchen mit ihm in einem Bett geschlafen haben sollen. „Das stimmt nicht“, bestreitet Seisenbacher.
„Wurde in den Ferienlagern gekuschelt?“, fragt eine Opferanwältin. „Im Judoclub ist nicht so die Grundstimmung, dass gekuschelt wird. Aber abseits der Matte habe ich schon versucht, den Kindern ein lockeres Ferienerlebnis zu bieten mit Schwimmbad und Spielen. Natürlich kommt es da zu Berührungen.“
Noch jahrelang hielten die Opfer Kontakt zu Seisenbacher, zum Teil sogar sehr intensiv. „Das ist ein Phänomen, das Außenstehende nicht verstehen“, sagt die Staatsanwältin. Aber es sei nicht ungewöhnlich.
Fortsetzung am Montag.