Chronik/Österreich

Österreicher und Deutsche überwachen Züge in Italien

153.000 Flüchtlinge haben sich in diesem Jahr bis Ende Oktober nach einer lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer an die italienische Küste gerettet. Die meisten von ihnen haben ein Ziel: Den Norden Europas. Der schnellste Weg dorthin führt über den Brenner. In Tirol ist die Zahl der Aufgriffe von illegal Eingereisten heuer um 77 Prozent gestiegen. Die Tiroler Polizei hat bis zum 25. November rund 6700 Flüchtlinge gestoppt. Vier von fünf wurden direkt wieder nach Italien zurückgeschoben. Nur die wenigsten stellen Asylanträge. Ihr Ziel lautet in der Regel Deutschland.

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Dort scheint die Nervosität angesichts des Migrationsdrucks im heurigen Jahr groß zu sein. Das zeigt ein Vorfall, der sich laut KURIER-Informationen vor etwa drei Monaten zugetragen hat. Die deutsche Bundespolizei hat dabei einen aus Italien kommenden Zug in Kufstein vor der Weiterfahrt über die deutsche Grenze stoppen lassen, weil sich mögliche Flüchtlinge an Bord befanden. Eine Maßnahme, für die es keinerlei rechtliche Deckung gibt.

Tipp von Schaffnern

Harald Baumgartner, Leiter der Tiroler Fremdenpolizei, bestätigt die behördliche Grenzüberschreitung: "Es gibt offenbar eine Infoschiene zwischen Zugbegleitern der Deutschen Bahn und der deutschen Bundespolizei. Die Schaffner dürften mitgeteilt haben, dass in dem Zug Illegale drinnen sind. Dann muss es eine Weisung der deutschen Polizei gegeben haben, den Zug anzuhalten."

Hinter den Kulissen soll das für gehörige Misstöne zwischen den Behörden gesorgt haben. Baumgartner hält den Ball hingegen nach außen flach: "Wir haben uns das ausgeredet und klargestellt, dass Züge bei uns nur dann länger halten, wenn wir die Weisung dazu geben."

Die deutsche Bundespolizei kommentiert den Fall auf Nachfrage nicht. In einer Stellungnahme heißt es lediglich: "Wenn es in der alltäglichen Zusammenarbeit zu Missverständnissen kommen sollte, werden diese besprochen und nachbereitet."

Aus gut informierten Kreisen ist jedoch zu hören, dass die Deutschen noch einen Schritt weitergegangen sein sollen und auch Kontrollen in Zügen auf Tiroler Boden durchgeführt haben. Baumgartner kann das nicht bestätigen. Aus Deutschland heißt es: "Die Bundespolizei trifft eigenständig keine hoheitlichen Maßnahmen auf österreichischem Staatsgebiet."

Gemeinsame Zugstreife

Öffentliche Kritik an Kollegen im jeweiligen Nachbarland ist verpönt. Dass Deutschland die Kontrollen der illegalen Migration in Italien und Österreich nicht scharf genug sind, ist aber ein offenes Geheimnis. Im Oktober haben die Innenminister der drei Länder daher gemeinsame trinationale Kontrollen beschlossen. Seit zwei Wochen gehen Beamte aus Italien, Deutschland und Österreich gemeinsam auf der Strecke Trient–Brenner auf Zugstreife. Eine Kooperation, die auf Druck Deutschlands entstanden ist. Es gehe darum, "die unkontrollierte illegale Migration über Eisenbahnzüge aus Italien zu reduzieren", sagt der deutsche Innenminister Thomas De Maizière.

Von "unkontrolliert" kann zumindest in Tirol keine Rede sein. Polizeistreifen überprüfen nahezu jeden aus Italien kommenden Fernreisezug. Zwischen dem Brenner und Innsbruck wurden auf der Schiene heuer bereits 5448 Aufgriffe gemacht (auf der Straße waren es 1238). In Bayern wurden trotzdem bis Ende Oktober in diesen Zügen 4388 Flüchtlinge gezählt.

Der Vorfall um den per deutscher Weisung gestoppten Zug endete letztlich in einer Kooperation. "Wir haben ihn schließlich kontrolliert", erzählt Baumgartner. Die trinationalen Streifen würden indes Wirkung zeigen, Flüchtlinge vermehrt bereits in Italien gestoppt. Die Zahl der Aufgriffe in Tirol verringert sich aber auch aus einem anderen Grund. Das Mittelmeer wird um diese Jahreszeit immer rauer und schwerer zu überqueren.

Alleine im Oktober wurden 2400 Asylstatus-Entscheidungen bearbeitet. Um diese Verfahren künftig schneller abwickeln zu können, sollen Heeresbedienstete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verstärken. 87 neue Arbeitsplätze werden eingerichtet. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) unterzeichneten nun ein entsprechendes Verwaltungsabkommen.

Der Wechsel auf den neuen Arbeitsplatz soll auf freiwilliger Basis passieren. Interessierte werden zu einem Bewerbungsgespräch geladen. Die Ausbildungszeit beträgt dann drei bzw. fünf Monate. Erste Wechsel seien bereits erfolgt, weitere sollen mit Ende des Jahres stattfinden.

Starker Anstieg

Seit 2010 war die Zahl der Asylanträge in Österreich relativ stabil bei knapp 1000 bis maximal 2000 pro Monat. Bereits im Juli und August wurde die 2000er-Grenze aber erstmals wieder überschritten, im September waren es sogar fast 3500. Das entspricht einer Steigerung von 150 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. In Summe ist damit heuer bereits ein Plus von 34 Prozent zu 2013 erreicht – Tendenz steigend. Grund dafür ist vor allem der Syrienkonflikt, der nun erstmals wirklich in Österreich durchschlägt.