Chronik/Österreich

Chinas Bustouristen: Durch Österreich im Blitztempo

Der Weg ist das Ziel.

Konfuzius, chinesischer Philosoph

 

So, los geht’s, mir nach!“* Kim Kan hält die Touristenführer-Stange mit dem blauen Fähnchen in die Höhe, bahnt sich einen Weg durch die Menschenmengen zum Ticket Center des Schlosses Schönbrunn. Die chinesischen Urlauber folgen ihm zügig, recken im Gehen die Hälse, haben ihre Handys und Kameras gezückt.

Es ist Donnerstag, kurz nach zwölf Uhr. Reiseleiter Kim Kan liegt gut in der Zeit, der Verkehr von Budapest war flüssig. Er kann der Reisegruppe die vollen drei Stunden in Schönbrunn geben.

Ein „Wow“ geht durch die Gruppe, als das Schloss in Sichtweise gerät. Sobald Kim Kan den Urlaubern die Tickets in die Hand gedrückt hat, verschwinden die meisten schnell in Richtung Schloss. Die Zeit will ausgenützt werden. Müde wirkt keiner der 42 Reisenden. Obwohl sie eine lange Busfahrt hinter sich haben und heute, wie jeden Tag, um 6.30 Uhr aufgestanden sind. Aber dafür können sie in sieben Tagen sieben Länder besichtigen.

 

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Denn Reisen hat in China seit Jahren Saison. 228 Milliarden Euro Reiseverkehrsausgaben hatten die Chinesen weltweit im vergangenen Jahr. (Zum Vergleich: 2005 waren es erst 20 Milliarden Euro.) Damit haben sie die USA mittlerweile als Reise-Weltmeister abgelöst. Und Österreich steht bei einer Reise nach Europa immer höher im Kurs: Die Nächtigungszahlen chinesischer Urlauber haben sich in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht. In der Bundeshauptstadt hat sich der Umsatz im selben Zeitraum sogar versechsfacht. Wien ist für chinesische Touristen inzwischen die drittbeliebteste europäische Stadt (nach Paris und London).

Günstig und schnell

Und auch wenn Individualreisen seit Kurzem zunehmen, immer mehr Chinesen den ganzen Urlaub lang nur an einer oder zwei Destinationen bleiben oder für besondere Events wie Flitterwochen nach Österreich kommen: Der Großteil erkundet Europa weiterhin mit dem Bus.

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Zum einen sind solche Rundreisen kostensparend. Beim Anbieter „Go EU Go“, bei dem Kim Kan angestellt ist, zahlt jeder Urlauber 78 Euro pro Tag für Fahrt, Quartier und Frühstück. Dazu kommt, dass in China viele Menschen nur zwei, maximal drei Wochen Urlaub im Jahr haben. Wenn sie sich für eine weite Reise entscheiden, möchten sie möglichst viel sehen. Mit dem Bus kommt man schnell herum. Am Ende dieser Woche wird die Gruppe 3500 Kilometer zurückgelegt haben.

Ist das nicht zu viel? Die 20-jährige Wing Lang aus Hongkong schüttelt den Kopf. „Ich finde das super.“ Sie muss lachen. „Ich mache mit meinen Eltern sogar drei Touren hintereinander.“ Hektik sei sie zudem von daheim gewöhnt. „Hongkong ist so überfüllt und schnelllebig.“ Noch drei Mal schneller als London, wo sie derzeit studiert. „Aber ich liebe das eigentlich“, sagt sie.

„Ich liebe es, mich in eine volle U-Bahn zu quetschen, auch auf Festivals, dieses Gedränge, das ist toll.“ Sie lacht wieder, dann muss auch sie los. Schließlich will sie noch etwas vom Schloss sehen.

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Kim Kan macht es sich indes im Café unter den Arkaden bequem, um kurz zu verschnaufen. Von Mai bis September ist er nahezu jede Woche mit einer Gruppe unterwegs. Natürlich sei das ein bisschen auslaugend. „Aber man sieht so viel“, meint der 58-Jährige, deutet auf das Schloss im Hintergrund. „Am Ende des Tages ist es eine schöne Arbeit.“

Durchgeplant
 

Schnitt. 19 Stunden später. Wing Lang sitzt mit ihren Eltern am Frühstückstisch in einem Viersternehotel in Wien-Meidling. Sie leert das Glas Orangensaft. Diesmal musste sie schon um 6.15 Uhr aufstehen. Das klassische Konzert am Abend davor haben sie und ihre Eltern ausgelassen, sonst wären sie erst um 23.30 Uhr ins Bett gekommen. Auf die Schlosstour war noch eine Stadttour und ein bisschen Bummeln am Graben gefolgt.

Um punkt acht Uhr ist das Gepäck dann im Bus verstaut, die Reisenden haben ihre Plätze eingenommen. Während der Bus gen Westen fährt, plaudert Kim Kan übers Mikrofon über den nächsten Stopp: Salzburg, Geburtsort von Mozart, Musikhauptstadt Österreichs (da würden ihm vielleicht ein paar widersprechen), zweitgrößte Stadt Österreichs (da würden ihm definitiv ein paar widersprechen). In Salzburg hat die Reisegruppe rund drei Stunden Zeit. Das Hotel für diese Nacht wartet in München.

„Sie können sich am Abend also ein Bier im Hofbräuhaus gönnen“, fährt Kim Kan fort. Die Gruppe lacht.

Liu Yong, 38-jähriger IT-Unternehmer aus Shanghai, hört interessiert zu. Er erfüllt die Kriterien des typischen Europa-Reisenden: 25 bis 44 Jahre alt, hoch gebildet (Hochschulabschluss) und in einer Führungsposition.

Liu Yong ist mit seiner Frau und seinem Sohn unterwegs. Es ist ihm wichtig, seinem Kind die Unterschiede zwischen Osten und Westen zu verdeutlichen, die verschiedenen Kulturen, die abweichenden Mentalitäten. „Europa ist viel langsamer“, sagt er, „auch wirtschaftlich. Der soziale Druck ist bei uns in letzter Zeit drastisch gestiegen“.

 

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Ruhiger, angenehmer, diese Wörter haben fast alle der Reisenden auf den Lippen, die zum Unterschied zwischen Europa und China befragt werden. „Ich habe das Gefühl, bei uns arbeiten die Menschen einfach immer hart“, sagt Wing Lang. „In Europa arbeiten die Menschen nur hart, wenn sie in der Arbeit sind. “

Könnten sie sich dann vorstellen, hierher zu ziehen? Zhang Ling Qin (65)schüttelt entschieden den Kopf. „Es ist zu anders hier. Die Mentalität, die Essensmanieren. Das würde zu Komplikationen führen“, glaubt sie. Stolz auf die Reise sind sie und ihr Mann aber schon sehr. „Wir posten unsere Reise auf WeChat (chinesische Antwort auf Facebook, Anm.)“, meint Zhang Huai Cheng. „Und unsere Freunde sind wirklich neidisch auf uns.“ Sie grinsen.

Der Klang der Musik

Denn Österreich kennt man. Neun von zehn Chinesen, die hierher auf Urlaub kommen, haben schon etwas von dem Land gehört, ergab eine Umfrage der Österreich Werbung. Im Bus verbinden die meisten das Land mit Sisi und Musik. Oft fallen die Begriffe „Sound of Music“ oder Mozart. Sun Mao Song, 75 und Professor des Luftfahrt-Ministeriums, habe dank Mozart den Weg zur Musik und die 20-jährige Wing Lang über den Wiener Walzer ihre Liebe zum Tanz gefunden.

Für Zhang Huai Cheng ist auf dieser Reise wiederum ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen: Er hat den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins gesehen – und ja, er nickt, es sei so schön gewesen, wie er es sich vorgestellt hat.

 

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Nach vier Stunden Fahrt, einer Toiletten- und Kaffeepause in Strengberg und zwei Gesangseinlagen (einmal von Zhang Huai Cheng, einmal von Sun Mao Song) hat die Gruppe Salzburg erreicht. Sie steigt bei der Uni aus dem Bus.

„So, los geht’s, mir nach!“, sagt Kim Kan, hält die Touristenführerstange in die Höhe und bahnt sich den Weg durch die Touristenmassen in Richtung Getreidegasse. Die chinesischen Urlauber folgen ihm zügig, recken im Gehen die Hälse, haben ihre Handys und Kameras gezückt.

* Ein Übersetzer hat die Reportage begleitet.

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* Ein Übersetzer hat die Reportage begleitet.

** Das Video wurde erstellt von Tobias Pehböck.