Nach dem Sturm geht im Tiroler Wald ein Schreckgespenst um
Von Christian Willim
Bäume, 100 und mehr Jahre alt, liegen geknickt wie Streichhölzer oder gleich mit den Wurzeln ausgerissen ober- und unterhalb von einem Forstweg in Navis. Allein in diesem Seitental des Wipptals, wo es ebenfalls massive Zerstörungen gibt, liegen in den steilen Hängen 5.500 Festmeter Wald flach.
ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig bekommt hier mit einer Riege von Tiroler ÖVP-Politikern einen Ausschnitt von dem Schadensbild zu sehen, das eine Sturmfront vor zwei Wochen in mehreren Bezirken hinterlassen hat, nachdem sie mit Orkanstärken durchgezogen war.
Nur noch Brennholz
„Das Ausmaß ist riesig. 600.000 Festmeter sind am Boden“, sagt Totschnig. Das entspricht der Menge an Holz, die normalerweise in einem ganzen Jahr in Tirol geschlägert wird. „Das ist jetzt maximal noch Brennholz“, sagt Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Hechenberger. Er zeigt sich betroffen, „was da an Wertschöpfung innerhalb von Minuten vernichtet worden ist.“
Die Erlöse für das Schadholz würden zudem durch die Kosten für die Aufarbeitung aufgefressen. Doch der Politikerrunde bereitet nicht nur der akute Schaden Sorge. Alle sind sich einig, dass das Holz jetzt so schnell wie möglich aus den Wäldern muss. Denn wie hier in Navis lauert auch in anderen betroffenen Regionen bereits der Borkenkäfer.
„Wenn wir das jetzt nicht in den Griff kriegen, werden die nächsten Generationen ein Problem bekommen“, sagt Hechenberger mit Blick auf die Schutzfunktion des Waldes. „Dann wird es verschiedene Seitentäler nicht mehr in dieser Form als Siedlungsgebiet geben.“ Wie rasant der Borkenkäfer ganze Landstriche verwüsten kann, ist in Osttirol dramatisch zu sehen.
➤ Borkenkäfer-Alarm: Bedrohung durch verheerenden Baumtod
Wie zuletzt berichtet, hat der Schädling dort alleine im vergangenen Jahr rund eine Million Bäume zerstört, heuer werden im vermutlich noch einmal so viele zum Opfer fallen. Nach einer Reihe von Sturm- und anderer Extremwetterereignisse ist die Lage praktisch außer Kontrolle geraten.
Besonders brisant: 80 Prozent des Waldes in dem Heimatbezirk von Totschnig gelten als Schutzwald, der Lawinen, Steinschlag und Muren abfangen soll.
Die Zeit drängt
Droht nun also eine ähnliche Entwicklung in Nordtirol. „Das ist möglich“, sagt Totschnig. „Das Schreckgespenst ist Osttirol“, meint auch Hechenberger. Das Schadholz vor dem kommenden Winter aus den Hängen zu bringen, hat also oberste Priorität.
Aber das ist nicht nur eine Frage von Geld, sondern auch anderer Ressourcen. In Osttirol etwa kommen die Sägen schlicht nicht mehr mit der Verarbeitung des Holzes hinterher.
Angesichtes der Dimensionen braucht es aber auch ausreichend Mann- und Maschinenkraft, die aufgrund der Lage aber Mangelware ist. Bei einem Forstgipfel am Donnerstag im Innsbrucker Landhaus sollen alle relevanten Protagonisten an einen Tisch gebracht werden, um Lösungen in der akuten Waldkrise zu finden. Auch der Landwirtschaftsminister wird teilnehmen und wohl Millionen bereitstellen.