Chronik/Österreich

Maßnahmen für geistige Gesundheit in Corona-Pandemie gefordert

Die Corona-Pandemie ist eine medizinisch-epidemiologische Herausforderung für die Menschheit, und oft auch eine Zerreißprobe für ihre Psyche, so Expertinnen. Sie haben 800 Leute befragt und anhand ihrer Probleme verschiedene Maßnahmen erarbeitet, wie man sie in solchen Krisenzeiten stärken kann, erklärten sie Donnerstagabend vor Journalisten: So sollte man etwa die Betroffenen stärker in die Entscheidungen einbinden, wie man mit den Gefahren umgeht.

"Wir haben Menschen auf Social Media angesprochen und sie gebeten, ihre Belastungen zu beschreiben, zu erklären, worin sie genau bestehen und welche Auswirkungen sie dadurch erfahren", berichtete Claudia Lingner von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) in Wien. Ein Expertenteam stellte anschließend Maßnahmen zusammen, die man umsetzen sollte, um die psychische Belastung der Menschen in solchen Krisen zu reduzieren.

Therapieangebote fehlen

Es müsste zum Beispiel viel breiter als heute und flächendeckend Psychotherapie angeboten werden. "Das Angebot ist für die Betroffenen schon in normalen Zeiten sehr knapp", erklärte Ulrike Schmidt von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn. Jeder Mensch könne psychische Symptome bekommen, vor allem in solch einer Krise. "Viele Betroffene mit Schlafstörungen, Depressionen, Sinnlosigkeits- und sogar Selbstmordgedanken wissen derzeit nicht, wie sie Therapie bekommen und wo sie sich hinwenden sollten", sagte sie.

Auch in Schulen gäbe es viele Probleme, zum Beispiel starken Leistungsabfall und chronische psychische Belastung bei den Kindern, die zu psychiatrischen Erkrankungen führen können. Die Expertinnen empfehlen daher, in allen Schulen ein verpflichtendes Aufarbeitungsprogramm einzurichten, bei dem Psychotherapeuten, Psychologen und Psychiater mit den Schülern über deren Erfahrungen während und nach dem Lockdown sprechen. Dies sollte bereits nach der Öffnung der jeweiligen Schulstufen im ersten Quartal 2021 passieren, meinen sie.

Außerdem plädierten sie dafür, dass ein verpflichtender Homeschooling-Übungstag mit den Lehrern, Schülern und Eltern eingeführt wird, ähnlich den verpflichtenden Feueralarm-Übungen, damit hier Probleme besser identifiziert und behoben werden können.

Führungskräfte schulen

Für die krisenbelasteten Arbeitnehmer schlagen die Expertinnen ein niederschwelliges psychologisches Coaching-Angebot vor. Dies sollte anonym und online oder mit Treffen außerhalb des betrieblichen Umfelds von statten gehen, erklärte Beate Schrank von der Forschungsgruppe D.O.T ("Die Offene Tür") der Ludwig Boltzmann Gesellschaft an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems. Außerdem sollten Führungskräfte, die in Krisenzeiten oft einen starken Leistungsdruck verspüren und gleichzeitig für die Arbeitnehmer einen "chronischen Belastungsfaktor darstellen", geschult werden, selbst gut mit dem Stress umzugehen und ihre Leute in der Krise nicht über alle Maßen zu stressen.

Weil die Corona-Eindämmungsmaßnahmen die Betroffenen massiv belasten, sollte man sie viel mehr in die Entscheidungen einbinden, meinen die Expertinnen. Insbesondere sollten Vertreter von den betroffenen Gruppen wie Patienten, Pädagogen und Gesundheitsfachkräfte in die Entwicklung von Pandemieplänen und Handlungsleitfäden einbezogen werden. "Der Fokus dieser Leitfäden sollte auf präventive Empfehlungen im Umgang mit der Krise und Eigenverantwortung gelegt werden", erklärten sie: "Sie sind daher nicht als alleiniges Darstellen von Verboten und Einschränkungen gedacht". Wenn man die Leute mitentscheiden lässt, würden die Maßnahmen viel mehr Akzeptanz finden, so die Expertinnen.

Mehr Forschung nötig

Sie raten auch, die Risikobereitschaft der Menschen bei der Abwehr der Pandemie besser kennenzulernen. Es sei kaum bekannt, wie einzelne Menschen mit der Gefahr einer Erkrankung und Ansteckung der anderen umgehen, aber auch welche Risiken die Gesellschaft bei Eindämmungsmaßnahmen und dem Lockdown in Kauf nehmen würde, und welche nicht.

Schließlich sollte man auch die Krisenkommunikation der Regierungen weltweit genau unter die Lupe nehmen und wissenschaftlich analysieren, wie zielführend sie jeweils war. "Die Kommunikationsstrategie der österreichischen Regierung setzte unter anderem auf die Suggestion von Angst vor dem Coronavirus und Handlungsverbote", so die Expertinnen: "Dies haben viele Menschen als belastend und nicht zielführend empfunden." Man sollte sich international ansehen, was gut funktionierte und was nicht, und die Ergebnisse dieser Forschung in die künftigen Krisenpläne einfließen lassen.

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