Lehrer ohne Ausbildung: "Ohne sie stünde das System vor dem Kollaps"
Über Nachhilfeunterricht als Nebenjob haben Ines U. (29) und Dominik B. (34) zum Lehrerberuf in der polytechnischen Schule im 15. Wiener Bezirk gefunden. „Ich habe Schauspiel studiert, jetzt ist die Klasse meine Bühne“, erzählt die Lehrerin im Gespräch mit dem KURIER. „Ich wurde dann ermutigt die Ausbildung nachzumachen“.
Nachdem sie neben dem Unterrichten die Ausbildung begleitend absolvierte, steht sie nun in einem regulären Dienstverhältnis. „Ich bin damals ins kalte Wasser gesprungen, aber es hat mir viel Spaß gemacht. Durch die Ausbildung bin ich dann viel sicherer geworden. Fachlich habe ich dann noch viel dazugelernt“, erzählt die Lehrerin.
Mittels Sondervertrag beschäftigt zu sein, bringe eine gewisse Unsicherheit für die Betroffenen. Die Verträge müssten jedes Jahr verlängert werden. „Steht dann eines Tages ein Lehrer mit abgeschlossener Ausbildung da, wird vorrangig der den Job bekommen“, schildert Beatrix Poppe, die Direktorin der Schule. Dazu kommt, dass man mit einem Sondervertrag finanziell schlechter gestellt ist.
Dominik B. steht noch vor dem Abschluss des Lehramtsstudiums. Seit September unterrichtet er schon, während er noch seine Diplomarbeit schreibt. „Für mich persönlich ist es sehr positiv, dass ich jetzt schon arbeiten kann. Ich empfinde das als große Bereicherung. Aber eine bestimmte Unsicherheit bleibt natürlich“, erzählt der Lehrer.
Momentan unterrichten über 8.000 Lehrer ohne abgeschlossene Lehrerausbildung in Österreich, „ohne sie stünde unser Bildungssystem schon vor dem Kollaps“, sagt Paul Kimberger, Vorsitzender der Gewerkschaft für Pflichtschullehrer. Angestellt werden die Lehrkräfte mittels Sondervertrag. Besonders hoch ist die Zahl im Pflichtschulbereich in Wien – sie liegt bei 12,1 Prozent, das sind 1.830 Stellen.
„Ich bin seit 2012 Direktorin, damals gab es hier zwei Lehrkräfte im Sondervertrag. Aktuell sind es sechs“, erzählt die Direktorin. Martin Netzer, Generalsekretär des Bildungsministeriums, relativiert diese Zahlen gegenüber dem KURIER: „Sonderverträge sind ein wichtiges Werkzeug für uns, vor allem in technisch-gewerblichen Schulen. Quereinsteiger sind sehr wertvoll. Außerdem gibt es große regionale Unterschiede beim Lehrerbedarf, wir müssen ein flexibles System schaffen. Dass die Qualität gefährdet ist, sehen wir nicht“.
Ein Problem sei die Erwartung an den Job. Dass der Lehrerberuf nicht nur aus dem Unterrichten an sich bestehe, sei vielen nicht bewusst, so Poppe. „Da gibt es ganz viele organisatorische Dinge nebenbei. Wir alle sind verantwortlich, dass der gesamte Schulbetrieb funktioniert“, schildert die Direktorin. „Der ganze Sonntag ist bei mir immer eingeplant zur Vorbereitung“, schildert der junge Lehrer, Dominik B.
Zu wenig Hilfspersonal
Die Politik müsse mehr Geld für Hilfspersonal an den Schulen in die Hand nehmen, fordert Kimberger. Laut einer OECD-Studie kommen im EU-Schnitt acht Lehrkräfte auf eine pädagogische Unterstützungskraft. Österreich ist EU-Schlusslicht mit einem Verhältnis von 19 zu eins. Ähnlich schlecht sieht es beim administrativen Schulpersonal aus. „Unserer Lehrer werden erschlagen von Bürokratie“, so Kimberger.