Chronik/Österreich

Impfkommission: Für wen eine Impfpflicht doch Sinn gemacht hätte

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Regierung, dass die Impfpflicht ausgesetzt wird, war kein günstiger: Gestern wurde mit fast 48.000 Neuinfektionen ein neuer Höchstwert an neuen Fällen in Österreich registriert.

Die Testbereitschaft in Österreich sinkt, ebenso zeigen immer weniger Menschen Interesse, sich impfen zu lassen. Nur 4.257 Impfungen sind am Dienstag durchgeführt worden. Nicht mal zehn Prozent davon waren Erststiche.

Die Entscheidung, die Impfpflicht auszusetzen, habe "sehr wenig mit der momentanen Welle zu tun", so Komplexitätsforscher Peter Klimek in ORF Wien heute. Die Impfpflicht sei immer als Vorbereitung für den Herbst 2022 gedacht gewesen und könne auch der jetzigen Welle kaum mehr was entgegensetzen.

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Ähnliche argumentieren auch der neue Gesundheitsminister Johannes Rauch und andere Experten, wie etwa Epidemiologe Gerald Gartlehner gestern Abend in der ZiB2: Für die jetzige Welle käme die Impfpflicht zu spät, für die Welle im Herbst sei ein Umsetzen zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Das betonte auch Jurist Karl Stöger, Mitglied der vierköpfigen Impfkommission so gegenüber dem Ö1-Morgenjournal von Donnerstag.

Zudem würde es laut Klimek aktuell wenig Sinn machen, mit Zwangsmaßnahmen wie einer Impfpflicht zu agieren, wenn es ohnehin schon kein oder nur sehr geringes Interesse an den Schutzimpfungen gäbe. 

Für die nächste saisonale Welle im Herbst jedoch "entscheidend, dass man dagegen animpft", so der Komplexitätsforscher. Denn da würde die aktuell hohe Immunisierung, die sich durch die Omikron-Welle weiter steigert, in der Bevölkerung nachlassen.

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Virus wird weiter zirkulieren

Den Grund für den aktuell hohen Anstieg bei den Neuinfektionen ortet Klimek mitunter in den Öffnungen vom 19. Februar, als vielerorts von 2-G auf 3-G umgestellt wurde. Auffällig dabei, dass sich nicht nur die Variante BA.2 weiter ausbreitet, auch bei BA.1 würde man wieder mehr Fälle verzeichnen. 

"Wir müssen damit rechnen, dass dieses Virus weiter zirkuliert", so Klimek. Entsprechend müsse man sich auch nicht mehr die Frage stellen, ob man sich mit dem Coronavirus ansteckt, sondern vielmehr müsse man sich fragen: "Wie häufig werden wir uns in den nächsten Jahren anstecken?" 

Ob man im Herbst mit weiteren Lockdowns zu rechnen habe, konnte Klimek nicht konkretisieren, aber: "Ausschließen kann man gar nichts mehr."

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Wo eine Impfpflicht doch Sinn gemacht hätte

600.000 Menschen in Österreich sind weder geimpft, noch genesen. Bei dieser Gruppe wäre laut Stöger eine Impfpflicht "verfassungsrechtlich möglich und medizinisch auch durchaus sinnvoll.“

So hätte man sicherstellen können, dass diese Personen bis zum Herbst auf drei Impfungen kommen. Wobei: Um das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen, würden laut Stöger, der auf relativ neue wissenschaftliche Erkenntnisse verweist, auch nur zwei Impfungen – also die Basisimmunisierung - ausreichen. "Für die einzelne Person wäre es besser, drei Impfungen zu haben. Wenn es um den Schutz des Gesundheitssystems geht, dann reichen auch zwei Impfungen." Demnach genüge ein Impfstart im Sommer.

Eine berufsgruppenspezifische Impfpflicht, wie etwa für Gesundheitsberufe, kommt im Bericht der Impfkommission laut Stöger deshalb nicht vor, weil es darum ging, das Gesetz zu beurteilen, dass eine allgemeine Impfpflicht vorsieht.

Kritik an Impfpflicht-Aus

Deutliche Kritik kam von den SPÖ-geführten Ländern Wien und dem Burgenland: "Man kann eine Impfpflicht machen, man kann auch keine Impfpflicht machen. Aber so, wie es jetzt die Bundesregierung macht, kann man es auf keinen Fall machen", hieß es in einem knappen Statement aus dem Büro von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil kritisierte gegenüber ORF Burgenland den Zick-zack-Kurs der Regierung. „Wir haben einen Status erreicht, wo das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit der Regierung, was die Corona-Situation betrifft, verloren geht.“

Die Kärntner Gesundheitslandesrätin Beate Prettner verstehe die Bürger, „wenn sie nicht mehr wissen, wie es weitergeht.“ Schließlich sei die Impfpflicht vor einem Monat beschlossen worden, nun wurde sie wieder abgesagt.

Kritisch zu dem von Türkis-Grünen beschlossenen Vorgehen äußerte ebenso die Vorarlberger ÖVP-Landesrätin Martina Rüscher: "Das ist das falsche Signal, denn damit wird der Bevölkerung vermittelt, dass die Impfung per se nicht hilft. Tatsächlich ist und bleibt sie aber der Weg, um letztlich die Pandemie zu überwinden."

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