Heimatfront des Islamischen Staates
Rund um den "Islamischen Staat" und Österreich spielen sich besonders im Internet seltsame Szenen ab. Ein mäßig begabter Wiener steigt zum Stern des Terrorstaates "Islamischer Staat" auf (der KURIER berichtete). Der bisher unbedeutende Lehrling Oliver N. posiert plötzlich in einer Videobotschaft aus einem Schlachthaus in der Islamisten-Hochburg Rakka, und ruft in deutscher Sprache Sympathisanten in der Heimat zum "Schlachten" aller Ungläubigen auf.
Die Massenmörder des "Islamischen Staates" bieten in jüngster Zeit immer mehr Österreicher für ihre Propaganda auf. Mehr, als im Vergleich zur Bevölkerungsgröße in Deutschland.
Terrorspezialisten sind darüber nicht sonderlich verwundert. Sie sehen dahinter vor allem ein Motiv: Im Gegensatz zu Deutschland hat IS-Chef Ibrahim al-Badri Österreich für die nächsten fünf Jahre zum Angriffsziel deklariert (Grafik: siehe unten).
EU-Söldner
Aus eigener Kraft könnten die Radikalen die Bevölkerung in Nordsyrien und den angrenzenden Teilen des Irak nicht unter Kontrolle halten. Insgesamt 15.000 Söldner aus 80 verschiedenen Staaten sollen daher bereits in den Diensten der IS-Mörderbrigaden stehen. Der österreichische Verfassungsschutz spricht von 140 Österreichern, die dabei sind oder waren. Darunter sind einige waschechte "Konvertiten". Aber den Großteil der Söldner machen Österreicher mit tschetschenischem oder türkischem Migrationshintergrund aus.
In diplomatischen Kreisen kursiert, dass die offiziellen Zahlen nicht der Realität entsprechen könnten. Und es noch mehr Kämpfer aus Österreich geben könnte.
Nach Erkenntnissen des deutschen Verfassungsschutzes sollen (nur) 300 Deutsche in IS-Diensten stehen. Das wäre eine vergleichsweise geringe Zahl. Denn der österreichische Verfassungsschutz kennt etwa 60 Extremisten, die sich noch im Kriegsgebiet befinden. Ein Ungleichgewicht, wenn man den Bevölkerungsschlüssel von Deutschland und Österreich im Verhältnis 10 : 1 berechnet.
Laut dem Extremismus-Experten Peter Neumann vom International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence am Londoner King's College sind die Österreicher tatsächlich überrepräsentiert.
Der strategische Ansatz einer Besetzung Österreichs durch die IS ist vermutlich einer der Gründe dafür, dass der österreichische Extremist Mohamed Mahmoud nach seiner Flucht aus der Türkei plötzlich in der IS-Zentrale im syrischen Rakka eine zentrale Rolle spielen darf.
Denn der Propagandafeldzug der Extremisten vor allem in Wien läuft weiterhin auf Hochtouren. Und das obwohl das wichtigste Instrument – das Internet – nach den verschärften rechtlichen Restriktionen einen Einbruch erlitten hat. So sind die IS-Rekrutierer der ersten Generation aus dem Facebook verschwunden.
Fanshop
Sie trauen sich derzeit nicht mehr, ihren Verkauf von Fanartikeln – wie IS-Schirmkappen und Fahnen – in der angeblichen Moschee am Wiener Carminweg zu bewerben. Auch etwa 250 "Fans" des Shops sind aus Facebook verschwunden, oder haben jetzt andere "Kampfnamen" angenommen. Es geistern auch jetzt Warnungen durch das Netz – mit Anleitungen, wie man noch kommunizieren könne, ohne dass der Verfassungsschutz dabei zuschaue.
Doch der weiteren Radikalisierung tut das keine Abbruch. Ein türkischstämmiger "Salafist" aus Wien-Donaustadt präsentiert auf Facebook stolz noch immer sein verbotenes Waffenarsenal (Grafik: siehe unten).
Wenn die Frauen weg sind, ist es zumeist nur mehr ein kleiner Schritt nach Syrien – so wie das bei jenem 16-jährigen Lehrling aus Wien der Fall war, der als erste Maßnahme auch seine Freundin "verstoßen" hatte.
Ein paar tausend Bewaffnete können Millionen Menschen unterwerfen. Das hat der "Islamische Staat" im Nordirak und in Nordsyrien bewiesen. Die Methode ist überall gleich: Man verjagt die Soldaten, stürmt die Waffenlager – und hat damit die Macht.
Eine ähnliche Methode wurde auf der Krim angewandt. Dort genügten Hunderte irreguläre Kämpfer zur Übernahme der Kontrolle. Wie viele Kämpfer braucht man für Österreich? Das ist eine Frage, die man sich beim Verfassungsschutz und Bundesheer stellt.
140 IS-Kämpfer sind bereits namentlich bekannt. Die Dunkelziffer liegt vermutlich wesentlich höher. Die Überwachung dieser gefährlichen Extremisten gestaltet sich schwierig. Wenn ein Verdächtiger neun Monate lang nicht auffällig wird, muss der Verfassungsschutz die Akten vernichten.
Ebenfalls in einer schwierigen Situation befindet sich derzeit das Bundesheer. Ein Hauptauftrag in den Sicherheitsdoktrin ans Heer ist der "Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen". Gemeint ist damit das Sichern von Regierungsgebäuden und der kritischen Infrastruktur.Gerade jetzt, wo IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi seine Kalifats-Karte einschließlich Österreich zeichnet, fehlt es beim Bundesheer aber an Fahrzeugen, Ersatzteilen, Treibstoff und Munition.