Gewalt gegen Frauen: Schlag auf Schlag
Beim Wort „Opfer“ rümpft Karin Pfolz die Nase. Die Bezeichnung sei nicht richtig, sagt die Wienerin. Sie nennt sich „Überlebende“. „Das trifft es besser. Das muss die Botschaft sein.“
Karin Pfolz erzählt ihre Geschichte offen – unter anderem in Schulen. Die Geschichte ihrer Beziehung, die von Gewalt geprägt war. Weil es so wichtig ist, das Reden, sagt sie. „Traut man sich einmal, eine helfende Hand anzunehmen, geht es eh. Ich habe so lange gebraucht. Und da bin ich mir selbst ein bissl böse. Denn man nimmt dem Täter alle Kraft, wenn man es sagt.“
Pfolz war zehn Jahre mit einem gewalttätigen Mann verheiratet. „Ich habe über die Jahre nur versucht, durchzukommen. Von einem Tag zum anderen versucht, zu überleben.“ Der „Liebste und Beste“ war er einst. Ab dem Ja-Wort habe sich das geändert. Von einem Tag auf den anderen. „Ich habe beim ersten Schlag gewusst, der hört nicht auf. Und mit dem ersten Schlag ist auch die Liebe verflogen“, erinnert sich die Künstlerin und Verlegerin. Geblieben ist sie trotzdem. „Weil er schon vor der Ehe begonnen hat, mein soziales Umfeld abzugraben. Die Freunde wären lästig, die Familie hat er schlecht geredet. Und das Geld auf dem gemeinsamen Konto hat er sofort abgehoben.“
Scherben
Die Wut des Mannes entlud sich grundlos. „Wenn Gläser falsch im Kasten gestanden sind oder es fiel ein Teller runter und das Service war nicht mehr vollständig. Das hat gereicht“, erinnert sie sich. Und sie erzählt auch davon, dass er sie die Stiegen hinunter stieß. Schwanger. „Das Kind habe ich verloren. Ich war bewusstlos. Als ich aufgewacht bin, war überall Blut – ich hatte einen Blutsturz und wäre fast draufgegangen“, schildert sie. Der Mann war weg. „Es war ihm egal.“
Körperliche Wunden, die vergehen, sagt Pfolz. „Ein blauer Fleck verschwindet. Eine gebrochene Rippe verheilt. Aber die psychischen Wunden, die bleiben. “ Jahrelang hörte sie, dass sie nichts wert sei. Nichts auf die Reihe bringe. Alles falsch mache. Hässlich sei. Irgendwann glaubte sie das.
Selbst als sie im Krankenhaus lag, wischte sie die Brösel weg, zupfte die Bettlaken zurecht. „Weil sich das eingebrannt hatte.“ Und noch heute, sagt sie, entschuldigt sie sich ständig. „Auch wenn ich nicht schuld bin.“
Einmal hätte sie den Mut gefasst, und beim Einkaufen einen Fremden angesprochen und ihn um sein Handy gebeten. „Mein Handy hat mein Mann kontrolliert. Ich war unter Dauerbeobachtung“, sagt sie. Pfolz rief im Frauenhaus an. „Aber da war kein Platz frei.“
Was Pfolz half: Ihr Plan. Nachts, wenn der Mann schlief, schlich sie heimlich zur Nähmaschine um für Kollegen – sie arbeitete in einem Reisebüro – kleine Näharbeiten gegen Geld zu machen. Doch der Mann fand das Geld. „Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis ich mit dem Kind wegkonnte“, erzählt sie.
Dann packte sie ein paar Sachen ins Auto, nahm das Kind – und flüchtete. Sie vertraute sich einer Freundin an und bekam endlich Hilfe. „Leicht war es nicht“, sagt sie. „Aber endlich war da Hoffnung.“
Angst macht ihr heute nur noch wenig. Vor vier Jahren gründete Karin Pfolz mit zehn Euro einen eigenen Verlag.
„Es beginnt mit Beschimpfungen und Demütigungen“
Morgen, Sonntag, ist der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Doch allein heuer wurden in Österreich 32 Frauen ermordet. Ein Interview mit Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser.
KURIER: Wie beginnt Gewalt in Beziehungen?
Maria Rösslhumer: Es beginnt mit verbaler Gewalt – Beschimpfungen, Demütigungen, Bloßstellen vor anderen. Das sind erste Anzeichen, die oft nicht ernst genommen werden. Man ist noch verliebt, lässt sich mehr gefallen.
Warum fällt es vielen Frauen schwer, aus
Gewaltbeziehungen auszubrechen?
Gemeinsame Kinder sind ein Grund. Frauen hoffen, dass es wieder besser wird. Männer sind selbst oft schockiert, wenn sie realisiert haben, was sie angerichtet haben. Sie versuchen, das wieder gut zu machen. Es gibt Versprechungen und Geschenke. Doch meistens wiederholt sich diese Dynamik. Die Intervalle werden kürzer, die Gewalt wird heftiger. Und es kann auch lebensgefährlich für die Frauen werden. Oft gibt es auch finanzielle Abhängigkeiten – wenn sie sich etwa keine eigene Wohnung leisten können.
Warum werden diese Männer gewalttätig?
Weil sie ihre Probleme nicht aussprechen können, nicht wissen, wie sie Konflikte lösen sollen. Das haben sie nie gelernt.
Was muss passieren, damit Frauen die Flucht ergreifen?
Dazu kommt es oft dann, wenn sie befürchten, dass der Mann den Kindern etwas antun könnte. Das können sie nicht mehr zulassen. Oder wenn sie merken, sie werden selbst nicht überleben.
Was passiert, wenn sich Frauen ans Frauenhaus wenden?
Wir sagen ihnen, dass sie ihr Handy ausschalten sollen – damit sie zur Ruhe kommen und sich überlegen können, wie sie sich von dem Terror befreien können. Wir raten ihnen zu einem neuen Handy und einem neuen Laptop – auch weil oft Spyware (versteckte Programme zur Überwachung, Anm.) installiert wurde. Nach einer Trennung versuchen manche Männer, die Frauen zu zermürben, sie bloßzustellen. Sie rufen bei ihren Chefs an, lauern ihnen auf. Wir geben ihnen Tipps, wie sie sich schützen müssen.
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