Chronik/Österreich

Erasmus in Zeiten von Corona

Partys im Studentenheim, lange Nächte, volle Hörsäle. So ist ein Erasmus-Auslandssemster mal abgelaufen. Damals. Vor Corona. Auch, wenn es all das jetzt nicht gibt, wollen so manche Studenten nicht auf Auslandserfahrung verzichten.

Drei, die sich getraut haben, aus Wien wegzugehen, sind Max (21), Caro (21) und Bernhard (29). Sie kennen einander von der Fachhochschule und wohnen derzeit gemeinsam in einer WG in Lissabon. „Vom Lehrgang ist ein Auslandsaufenthalt nur im vierten Semester möglich. Ich habe mir gedacht: wenn es funktioniert, warum nicht?“, sagt Caro.

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Partys gibt es derzeit tatsächlich nicht, dafür spielt Essen eine große Rolle. Jeden Mittwoch wird in der WG gemeinsam gekocht. Und in den Bäckereien verkostet man gemeinsam regionale Desserts – wie die Puddingtörtchen Pastel de Nata. Einkaufen ist in Lissabon derzeit etwas mühsam. Die Geschäfte haben zwar offen, aber die Eingänge sind mit Tischen versperrt, sodass man nur den Mitarbeitern sagen kann, was man braucht.

Fehlende Kultur

Die Kommunikation funktioniert für die Studenten noch nicht einwandfrei, aber sie funktioniert. „Wir haben zwar einen Sprachkurs gemacht. Wenn wir versuchen, etwas auf Portugiesisch zu sagen, antworten uns die Leute aber sofort auf Englisch“, sagt Bernhard. Eine dringend benötigte Knoblauchpresse für die WG konnten sie trotzdem erstehen.

Umgekehrt trauen sich auch so manche Studenten nach Wien: Die Mexikanerin Monica (22) ist seit Herbst hier. Hart hat sie getroffen, dass Bälle und Christkindlmärkte angesagt wurden. „Davon haben alle geschwärmt“, sagt sie. Aber sonst ist sie zufrieden, den Schritt gewagt zu haben. Besonders die Museen und die Oper haben es ihr angetan. Manchmal würde Monica gerne mehr aus der Stadt hinaus: „Man kann so viele Kurztrips machen“, sagt sie. „Es gibt in Österreich so schöne Seen und man kann wandern. Manchmal fühle ich mich hier wie im Märchen.“

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Ausflug statt Bar

Ausflüge spielen auch bei den Studenten in Lissabon eine große Rolle. „Das Reisebudget ist eindeutig größer, weil die Bars zuhaben“, sagt Max. Außerdem fährt die Gruppe so jedes Wochenende zum Strand. „Wenn man feiern könnte, wäre das wahrscheinlich anders.“ Generell sieht Max die Erfahrung positiv. „Wann kann man Lissabon sonst so touristenfrei erleben? Wir haben die Stadt praktisch für uns alleine.“

Einreisen
Im Wintersemester 2020 waren 345 Erasmus-Studenten in Wien. Vor der Pandemie waren es mit 657 fast doppelt so viele

Ausreisen
Nur 125 Wiener konnten vergangenes Semester im Ausland studieren. Im Wintersemester 2019 waren es noch 472

Rumreisen
Das Erasmus-Studentennetzwerk wurde 1989 gegründet, ist in 42 Ländern tätig und vermittelt Auslandssemester

Nach Wien kommen derzeit übrigens nur halb so viele Erasmus-Studenten wie vor der Pandemie. Andersherum fahren sogar zwei Drittel weniger Wiener ins Ausland. Das liegt aber nicht daran, dass Wiener ängstlicher sind als die anderen. Sondern hat vor allem damit zu tun, dass Partnerunis Aufenthalte abgesagt haben oder das Außenministerium Reisewarnungen ausgesprochen hat, sagt  Maximilian Hofleitner, Präsident von ESN Uni Wien.

Neues Lebensmotto

Das fremde Land lernt man derzeit vielleicht sogar besser kennen als sonst, sagen die Studenten. Unterschiede bemerke man vor allem bei den kleinen, jetzt alltäglichen Dingen. Etwa in der Teststraße. Während man in Wien einen Termin hat, meist pünktlich dran kommt und die Daten vertraulich behandeln werden, laufe das in Lissabon anders ab. „Man wartet mit allen anderen vor dem Zentrum“, sagt Bernhard. „Circa eine Stunde nach dem Termin kommt jemand raus und schreit deinen Namen, weil du jetzt dran bist. Das ist lustig.“

Für Bernhard hat sich das Anstellen ausgezahlt: Sein jüngster Test war negativ und machte eine Reise zu den Azoren möglich. Und Monica? Die hat seit Erasmus ein neues Motto: „Lebe jeden Tag so, als wäre morgen Lockdown.“

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