Chronik/Österreich

Dschihadisten: Mikl-Leitner will genaue Passkontrollen

Heute, Donnerstag, fährt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit einem dicken Aktenpaket nach Luxemburg. Beim Treffen der Innenminister geht es um die Folgen des IS-Terrors auf Europa und damit auch auf Österreich.

Nicht nur der Flüchtlingsstrom wird dabei Thema sein. Die Innenminister beraten weiters die Frage, ob sämtliche Passdaten auch von EU-Bürgern im Zuge der Einreise in den Schengen-Raum im Schengen-Informations-System (SIS) abgeglichen werden. Damit könnte automatisch überprüft werden, ob gegen den Passbesitzer ein europäischer Haftbefehl vorliegt.

3000 EU-Dschihadisten

Auslöser für diese Debatte sind die Tausenden IS-Kämpfer, die mit einem EU-Pass in den Krieg nach Syrien gezogen sind. Der Anti-Terror-Beauftragte der EU, Gilles de Kerchove, schätzte deren Zahl zuletzt auf 3000. Wie berichtet, geht das Innenministerium davon aus, dass sich darunter 140 Österreicher befinden. 30 seien bisher getötet worden; 60 Rückkehrer stehen unter Beobachtung.

Wie viele Kämpfer wirklich nach Europa zurückgekehrt sind, ist unklar. Die EU-Experten gehen von 20 bis 30 Prozent aus. Um hier die Spielräume gegen IS-Kämpfer mit europäischen Reisepässen einzuschränken, gibt es nun Stimmen für strengere Passkontrollen auch bei EU-Bürgern.

Zu ihnen zählt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner: "Auf nationaler Ebene sind wir dabei, jede Gesetzeslücke zu schließen, und haben Vorschläge zur Novellierung des Terror-Symbole-Gesetzes und des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Begutachtung. Auf europäischer Ebene können und müssen wir hier aber noch mehr leisten." Mikl-Leitner drängt jetzt, bei den bereits zulässigen stichprobenartigen Passkontrollen aufs Tempo zu drücken.

Weitere Anliegen der österreichischen Innenministerin sind eine gerechtere Verteilung der Asylwerber in Europa. Sie wird auch ihren italienischen Amtskollegen ansprechen, weil vom südlichen Nachbarland kommend immer mehr Flüchtlinge illegal nach Österreich einreisen.

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Die Arabistin und Islamismus-Expertin Claudia Dantschke spricht das Publikum direkt an. Vor 90 Sozialarbeitern und einigen Pädagogen im Saal des Wiener Instituts für Freizeitpädagogik, die einen Schnellsiedekurs über das Jugendphänomen Salafismus (Anm. eine radikale bis gewaltbereite islamistische Strömung) bekommen, sagt sie im ernsten Ton: "Salafisten sind oft die besseren Sozialarbeiter."

Dantschke, das Aushängeschild eines bisher europaweit einzigartigen Beratungsnetzwerks gegen Radikalisierung in Deutschland (siehe unten), spielt darauf an, wie Salafisten arbeiten. "Sie holen die Jugendlichen dort ab, wo sie sind." Sie referiert Begriffe und Definitionen, erläutert Fallbeispiele – alles vor dem Hintergrund junger Männer und Frauen, die mit Terrorgruppen wie dem "Islamischen Staat" sympathisieren oder in den Heiligen Krieg ziehen wollen.

"Relevanteres Problem"

Und die Islamismus-Expertin hat keine guten Nachrichten zu verkünden: In einem EU-weiten Ranking jener Staaten, aus denen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) Kämpfer rekrutiert, teilt sich laut Dantschke Österreich mit Belgien und Dänemark die vordersten Plätze. Es sei "für Österreich ein relevanteres Problem als für Deutschland". Die deutsche Expertin hat eine Erklärung dafür parat: Hierzulande sind die Ethnien "geclustert", bleiben unter sich und sind damit für die maßgeschneiderte Propaganda "leichter erreichbar". Ein Paradebeispiel sind Tschetschenen, die erfolgreich angesprochen werden. In Deutschland ist die multikulturelle Durchmischung größer. "Wer in Österreich rekrutieren will, hat es einfacher."

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Ablesbar ist das an den Zahlen: In Deutschland mit zehn Mal mehr Einwohnern als in Österreich zogen laut deutschen Sicherheitsbehörden 400 Personen in den Heiligen Krieg. Hierzulande sind es dem Verfassungsschutz zufolge 140.

Die deutsche und die österreichische Islamisten-Szenen sind gut vernetzt. Beispielhaft dafür ist etwa Ebu Tejma: Ein Österreicher, der laut Gerichtsurteil als "Hassprediger" bezeichnet werden darf und sich in der Bundesrepublik einen Namen gemacht hat. Oder Koran-Verteilaktion, wie auf den Wiener Viktor-Adler-Platz. Deren Initiatoren versammeln 72.000 Facebook-Fans hinter sich.

Dantschke sagt: "Anfangs wird Jugendlichen suggeriert, sie bringen die Menschen von der Islamophobie weg." Wer sich engagiert, bekommt Lob, Zuspruch, "eine Aufwertung. Abseits des Infostands wird dann Tacheles geredet." Zugute kommt salafistischen Bewegungen, dass sie egalitär sind. "Für Jugendliche, die labil sind und ihren Platz suchen, ist das eine große Verlockung."

Pop-Dschihadismus

Die Propaganda spricht die Sprache der Jugendlichen. Dantschke gebraucht die Wortschöpfung Pop-Dschihadismus. Comics etwa, die spielerisch salafistisches Gedankengut transportieren oder islamische Symbole in einen solchen Kontext setzen. Eine Bildagentur produziert das Material, das im deutschsprachigen Raum tausendfach im Internet geteilt wird. Dantschke sagt: "Die geistigen Brandstifter liefern für die Gefühle der Jugendlichen ein Begründungsmuster".

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All das sei aber "kein religiöses Problem", weil die Betreffenden religiöse Analphabeten seien. Das spreche Vereine und Organisationen aber nicht davon frei, ihre Jugendarbeit auf das Problem zu sensibilisieren.

Was können Sozialarbeiter tun? Dantschke rät ihnen, unermüdlich nachzufragen. "Jugendliche, die sich ausdrücken wollen, suchen das Gespräch. Wenn die vorgestanzten Antworten verbraucht sind, besteht die Chance, dass sie selbst nach Antworten suchen."