Chronik/Österreich

Die Bäcker backen wieder große Brötchen

„Früher hat es hier geduftet und herausgedampft. Da hat es noch keine Straßennamen gegeben, daher nannte man das Haus einfach ,Zum großen Ofenloch’“, erzählt Bäcker Andreas Maderna. Früher, das war das Jahr 1536. Und auch heute, fast 500 Jahre später, befindet sich an diesem Standort in der Wiener Innenstadt eine Bäckerei – nämlich die Bäckerei Grimm.

Freilich, vieles ereignete sich im Lauf von 500 Jahren – doch man muss gar nicht so weit zurückblicken: Denn vor allem die jüngere Vergangenheit war für Bäcker eine turbulente Zeit. Vom „Bäckersterben“ war die Rede, das quasi an jeder Ecke erhältliche Billig-Brot vom Supermarkt setzte den Bäckern zu.

Nun zeichnet sich aber eine Trendwende ab: „Es ist wieder Hoffnung spürbar in der Branche“, erklärt Josef Schrott, Innungsmeister der Bäcker. Zwar sank die Zahl der Bäckereien in Österreich – gab es 2005 noch rund 1900 Bäcker, waren es im Vorjahr nur noch circa 1400. Vom „Bäckersterben“ möchte Schrott aber dezidiert nicht sprechen – nur von einer „Marktbereinigung“.

In Wien etwa merke man den positiven Trend: 120 Bäcker gebe es derzeit in der Stadt – „und die Zahl bleibt seit fünf, sechs Jahren erfreulicherweise konstant“. Ja, das Supermarkt-Brot sei noch Thema. „Aber seit zwei, drei Jahren bemerkt man, dass die Kunden wieder vermehrt in Bäckereien gehen“, sagt Schrott. „Es sind vor allem Junge und junge Familien, die Beratung suchen, und die ein Brot wollen, das mehr kann als ein Standard-Brot.“

Jause und Kaffee

An einem kühlen Novembervormittag stehen Kunden im warmen Verkaufsraum der Bäckerei Grimm Schlange. Junge Burschen kaufen eine Schuljause, ein Mann im Anzug trinkt Kaffee, eine ältere Dame wird von Hausherr Andreas Maderna persönlich begrüßt.

2001 übernahm er die Bäckerei Grimm von seinem Vater, nun führt er sie mit seiner Lebensgefährtin Catherine Schrott. Die Veränderungen, die er im Lauf der Jahrzehnte miterlebte, sind wohl beispielhaft für viele Entwicklungen in der Branche: „Als mein Vater den Betrieb 1962 übernahm, gab es im 1. Bezirk 13 Bäcker mit eigener Backstube, die den Teig vor Ort zubereitet haben.“ Vor zehn Jahren habe es nur noch einen gegeben – den Grimm. Aber es gehe bergauf: „Mittlerweile gibt es wieder drei.“

Infrastruktur, Arbeitsalltag, Essgewohnheiten: All das habe sich verändert. „Früher gab es zwei Supermärkte im Bezirk, heute gibt es die überall“, sagt Maderna. Dort werde der Familieneinkauf erledigt, eine Tour zu Greißler, Bäcker und Fleischer unternehme kaum noch jemand. Auch den Erfolg der Bäckerei-Filialisten wie Ströck, Mann oder Felber ab den 90er-Jahren habe man gespürt.

„Dazu kommt, dass es hier im Viertel früher viele Arbeiter in der Textilbranche gab“, sagt Catherine Schrott. Den Arbeiter aber, der zehn Wurstsemmeln als Frühstück für die Kollegenschaft kaufte, den gebe es nicht mehr. Heute prägen Souvenir-Shops, Ferien-Apartments und Büros die Umgebung. „Aber der heutige Büromitarbeiter will oft nicht hinausgehen, da er umständlich ausstempeln muss. Oder er isst lieber ein Mittagsmenü in einem Gasthaus“, sagt Maderna.

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Vorreiter und Vielfalt

Und doch ist der Verkaufsraum des Grimm gut gefüllt. Wie das geht? Fachkundige Beratung und ein zentraler Standort sind wichtig. „Man muss aber auch ein Vorreiter sein, ein Trendsetter“, erwidert Maderna. Wie einst sein Vater, der in den 70er-Jahren als erster in Österreich glutenfreie Backwaren anbot. „Damals kamen die Kunden aus allen Bundesländern und standen Schlange.“ Auch heute ist Glutenfreies gefragt, 40 entsprechende Produkte hat er im Sortiment – „von Apfelstrudel bis Zimtschnecke“. Generell sei Vielfalt wichtig: „Der Mensch will alle Tage etwas Neues – ein neues Handy, ein neues Gewand, ein neues Brot“, sagt Catherine Schrott. „Früher reichten zwei verschiedene Brote und vier Sorten Gebäck.“ Heute bietet das Grimm 105 frische Produkte.

„Und man muss gastlich sein und die Kunden persönlich kennen. Sie müssen sich wohlfühlen. Das ist das Um und Auf“, sagt die Bäckerin.

Und letztlich ist harte Arbeit nötig. „Viele haben eine romantisierte Vorstellung von dem Beruf und glauben, man bäckt zwei Gugelhupf am Tag“, scherzt Maderna. „Für mich gibt es aber trotzdem nichts Schöneres, als am Ofen zu stehen und zu sehen, dass ein Brot gelingt.“

Und er will weiter Altes weiterentwickeln, Neues erfinden, Vorreiter sein. Damit es womöglich weitere 500 Jahre duftet, dampft – und gutes Brot gelingt.

Vorreiter aus Niederösterreich: Georg Öfferl stellte auf bio um und liefert vom Weinviertel nach Wien

Wie kann sich eine  kleine Dorfbäckerei gewinnbringend aufstellen? Diese Frage beschäftigte Georg Öfferl lange. „Am Land ist das extrem schwierig. Der Brotmarkt ist gesättigt und in Pendlergemeinden sind die Leute zu den üblichen Öffnungszeiten nicht da“, sagt er. Dennoch wagte er es, die familieneigene Dampfbäckerei in der 900-Einwohner-Gemeinde Gaubitsch (Bezirk Mistelbach) in dritter Generation weiterzuführen.

 
Heute, drei Jahre später, beliefert der 27-Jährige vom Weinviertel  aus Wochenmärkte, Feinkosthändler und Spitzengastronomen im 60 Kilometer entfernten Wien mit seinen Bio-Broten.  Im März wird  in der Wollzeile im ersten Bezirk  eine Schaubäckerei eröffnet.


 Eigentlich hatte er aber mit dem Bäckergewerbe so gar nichts am Hut. Seine Mutter Brigitte, 53, hatte die Bäckerei 1998 nach dem Tod ihres Vaters übernommen und mit Ehemann Walter, 55, und viel persönlichem  Einsatz erhalten. „Meine Mutter war praktisch rund um die Uhr in der Backstube, das wollte ich nicht.  Als Jugendlicher war ich angefressen, wenn ich in der Backstube aushelfen musste.“ Mit Anfang 20 begann er doch mit Biozutaten zu experimentieren – und fing Feuer.


Öfferl absolvierte eine Lehre samt Meister in der Bäckermeisterschule  Wels und arbeitete in seiner Abschlussarbeit sein späteres Geschäftsmodell aus. „In erster Linie verkauft man natürlich Brot – aber auch eine Lebenseinstellung.“ Bei ihm heißt das: lange Teigruhezeiten, Handarbeit und alte Getreidesorten.


Warum er Bäcker wurde, statt nach seinem Studium im Ingenieurwesen zu arbeiten, klingt nach viel Überlegen und Planen: „Im Handwerk kann ich nur auf Qualität setzen, dazu brauche ich einen größeren Radius. Man muss dort hin, wo der Markt ist.“  Der ist, wie der (Sauerteig-)Brot-Boom der vergangenen Jahre zeigt,  eher in größeren Städten wie Wien anzutreffen.  
Umsetzung nicht leichtDie Umsetzung war anfangs nicht einfach, gibt Öfferl zu: die Umstellung der Rezepturen auf bio, die Skepsis der Gesellen im Familienbetrieb, die Lieferlogistik. Wie er als Junger die erfahreneren Mitarbeiter überzeugte?  Nur so viel: „Respekt kann man sich nur erarbeiten.“ Bei den Lieferungen nach Wien half von Anfang an Öfferls Cousin Lukas Uhl, 25, mit. Schon bald hängte er seinen Beruf als technischer Zeichner an den Nagel und machte die Ausbildung zum Bäcker- sowie Müllermeister. Mittlerweile setzen in Gaubitsch zehn Gesellen Sauerteige an und formen Brote, Georgs Eltern helfen tatkräftig mit. Neben dem Erfolg bei den Kunden freut ihn ein Satz seiner Mutter sehr: „Sie sagte: Der Opa hätt’ so eine Freud’.“