Chronik/Österreich

Deutscher Nachrichtendienst: Abhören beim Lieblingsnachbarn

Dass der Bundespräsident und der Bundeskanzler gleichzeitig an einem Samstag eine Pressekonferenz zum Thema Abhören durch den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) gaben, sorgte für Verwunderung. In Expertenkreisen ist man sich sicher, dass das vor allem von innenpolitischen Themen ablenken sollte.

2015 berichtete der KURIER bereits darüber, dass Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Ermittlungen in der Causa eingeleitet hatte. Auch der Umfang („mehrere Tausend Abhörziele“) war bekannt. Das Nachrichtenmagazin profil hat nun die Liste der Abhörziele mit rund 2000 Namen veröffentlicht.

Der BND lauschte nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen EU-Staaten bei Regierungen, Politiker, und Unternehmen mit. Im Fokus stehen dabei Firmen, die sowohl zivile als auch militärische Güter herstellen (so genannte Dual Use Güter), etwa Drohnen und Drohnenmotorenhersteller – auch in Österreich. Laut bisherigen Erkenntnissen schöpfte der BND vor allem Metadaten, sprich die Verbindungs- und Standortdaten, ab. Das heißt, wer mit wem wann und von wo aus telefoniert, gesimst oder gemailt hat. Ziel dabei ist es, Auffälligkeiten zu entdecken. Also wenn zum Beispiel ein nordkoreanischer Atombehörden-Mitarbeiter häufig mit Iranern kommuniziert.

„Ionosphäreninstitut“

„Beim BND ist dominiert der Bereich der technischen Aufklärung gegenüber der mit menschlichen Quellen“, sagt der deutsche BND-Experte Erich Schmidt-Eenboom. Zur Aufklärung dieser Telekommunikation unterhält der BND Horchposten auf deutschem Boden: in Bad Aiblingen in Bayern, in Reinhausen bei Freiburg, in Gablingen bei Augsburg und in Schöningen bei Braunschweig. Reinhausen war früher als „Ionosphäreninstitut“ getarnt, Schöningen als „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“. In Schöningen haben die 100 BND-Mitarbeiter die Fähigkeiten zur Geo-Ortung von Mobiltelefon-Benutzern und deren Identifizierung entwickelt. Dabei werden die GSM-Mobilnetze sowie Kommunikation über die Satellitensysteme Inmarsat (Großbritannien) und Thuraya (Abu Dhabi) gefiltert.

Laut deutschen Medien werden von den vier BND-Stationen pro Monat Zig-Millionen Telefon-Verbindungsdaten gesammelt und gespeichert, rund 1300 Millionen Kommunikationsvorgänge aus Krisenregionen liefert der BND jährlich an die US-Geheimdienste. So gaben die Deutschen 2011 den USA den entscheidenden Tipp über den Aufenthalt von Osama Bin Laden in Afghanistan, weil sie offenbar das Satellitentelefon (deutsches Fabrikat) seines Boten Ibrahim Saeed Ahmed auf dem Radar hatten.

Auch den Wiener Terroristen Mohamed Mahmoud soll der BND enttarnt haben. Auch in anderen Fällen von Dschihadismus half der BND den heimischen Staatsschützern mit Informationen.

Bis zu den Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden 2013 machten die BND-Horcher aber, was sie wollten. „Außenstellen wie in Bad Aibling führten ein Eigenleben“, sagte Ex-BND-Chef Gerhard Schindler zur Süddeutschen Zeitung. „Dort konnten Mitarbeiter selbst entscheiden, welche Ziele sie abhören, ohne dass das die Zentrale in Pullach das mitbekam.“ Per Gesetz wurden viele Maßnahmen legalisiert.

Spionagedrehscheibe

Der BND befindet sich mit seinen Abhöraktivitäten in Wien in „guter Gesellschaft“. Andere Geheimdienste sind offenbar noch frecher. Wie der Radiosender fm4 aufdeckte, unterhält der US-Lauschorganisation NSA mehrere Horchstationen über den Dächern von Wien, unter anderem auf dem IZD-Tower.

Auch die russischen Nachrichtendienste sollen in Wien-Donaustadt einen Horchposten betreiben.

Kein Wunder, gilt doch Wien nach wie vor als Spionagedrehscheibe, insbesondere wegen des Sitzes der UNO und der Internationalen Atombehörde (IAEA). „In die Atombehörde und in die UNO-Organisationen wird nicht nur elektronisch reingehört, sondern dort sind jede Menge Nachrichtendienstler im Personal versteckt – und zwar von allen Nationen“, sagt Schmidt-Eenboom.

„Wenn der BND die Kommunikation des österreichischen Innenministeriums und des Bundeskanzleramts tatsächlich abhören kann, dann kann er offenbar deren Verschlüsselung knacken“, meint Schmidt-Eenboom. „Es stellt sich die Frage, welche Hardware und Software und welche Algorithmen von welchem Hersteller die Österreicher verwenden.“ Lange Zeit wurden in Österreich, zum Beispiel im BVT, Blackberrys (mit einem deutschen Sicherheitssystem) verwendet, um miteinander zu kommunizieren. Aktuell werden i-Phones eingesetzt.